14. Tag des Schreibmonats in Thale

June 25th, 2003

Die Arbeit am Waubuch mußte ich kurz unterbrechen, um die “Chemischen Kampfstoffe” vom Jochen Gartz durchzusehen. Was für ein ekliges Thema. Erfreulicherweise ist der Gartz aus dem Osten und schreibt daher mit erfreulicher Klarheit von den praktischen Bedingungen und weniger vom ideellen Gequase. Beispielsweise fingen die Deutschen eben nicht mit dem Gaskrieg an, weil sie so barbarisch waren, sondern weil ihre Chemie aufgrund mangelnder Kolonien weiter vorangeschritten war.

Das ist eine – abgesehen vom Thema – angenehme Abwechslung zum gestrigen Abtippen der spirituellen Ausführungen Erich Margranders zu Wau oder viel mehr zu sich selbst. Daß er dem logischen Gedanken ausweicht, daß die Forderung nach freien Informationsfluß in einer Situation mit wenigen Informationsmonopolen in den 80ern gleichbedeutend mit minimal Umverteilung, im Grunde aber mit Enteignung ist, bin ich mittlerweile gewohnt – die Konditionierung aus der westdeutschen Repression der Siebziger, die Eigentumsfragen noch öbszöner als sexuelle Angelegenheiten einstuft, funktioniert weiterhin sehr gut.

Aber das Einschießen auf Monopole wird dann grotesk: “Ein Monopol wird nie die Preise senken, wenn es nicht nötig ist.” Wann, wenn nicht bei Notwendigkeit, senkt denn ein Unternehmer die Preise? Dann: “Die Post hat ihre Gewinne benutzt, um ihre Haushaltslöcher zu stopfen.” Nutzen Unternehmer nicht ebenso Gewinne, um ihre Kredite abzuzahlen und Kosten zu decken? Wird heute Kindern gesagt: ‘Spiel da nicht mit rum’, wenn sie Logik-Wörterbücher in der Hand haben oder einen Taschenrechner? Womit Erich wohl traurigerweise recht hat, ist die mindestens teilweise selbstverschuldete Implosion des CCC Ende der Achtziger. Die Verweigerung gegenüber Strukturen und Ordnung nimmt absurde Züge an und befördert die Selbstbedienung. Die ‘Älteren’ im Club hätten sich um die Kasse kümmern können, an der gar nicht geringe Geldbeträge vorbeiliefen. Das hätte den Kids Mittel in die Hand gegeben, das Kabel nicht zusammendrehen zu _müssen_. Das verstärkt aber meinen Eindruck, daß Wau in den Neunzigern eine völlig andere Atmosphäre kennenlernt, in der zwischen Chaos und Ordnung eher pragmatisch gependelt wird. Naja, da muß ich noch ein paar mal drüber schlafen.

Wir sind immer noch dabei, das Essen vom Wochenende aufzubrauchen; wenn ich ins Bett gehe, sind die Vögel schon total überdreht; bei EU2 Moskau zu spielen birgt seinen Reiz und wirft historische Fragen auf (beispielweise hab ich noch nicht kapiert, warum einem praktisch alle anderen augenblicklich den Krieg erklären, wenn man Ingermanland unter seine Kontrolle bekommt); um nicht am Stuhl festzukleben, hilft nur, hin und wieder vorsichtig aufzustehen – keinesfalls das Fenster öffnen, dann wird es tropisch. Scheinbar wird meiner Ma das seit sechs Jahren angesammelte Zeitkonto doch noch ausgezahlt, sie haben einen Umrechnungsfaktor eingebaut, der etwa die Hälfte, ähm, abschmilzt, aber immerhin hat sie dann was in der Hand, um es in den nächsten Jahren dem Zahnarzt zu geben.

Ich bastele eine Mixvideokassette voller Musikclips, Crank Yankers, South Park, Ali G. und seltsamen Spots und Trailern. Ob man sich das dann noch anschauen kann? Des nachts war zu besichtigen, daß Frauen im Fernsehen die Zuschauer immerhin dann zwischen ihre Beine blicken lassen dürfen, wenn sie sich vorher ordnungsgemäß mit Schlammcatch-Schlamm eingeschmiert haben.

Vielleicht versuche ich die Massenakzeptanz meiner Privatsphäre später am Tag in ähnlicher Weise zu testen, indem ich mich im Wald im Dreck wälze. Das klappt aber sicher besser, wenn es endlich mal regnet.

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