Ein Tag voller Flashbacks, am Ende dennoch unerklärliche Zuversicht

February 25th, 2005

Mußte ich mich am Mittwoch wirklich eine ganze Stunde zur Ernst-Busch-statt-Bush-Fraktion stellen, um zu merken, daß die Verhinderung einer Kranzniederlegung am Grab des SA-Manns Horst Wessel als Konsens nicht taugt und die meisten Anwesenden lieber dem “Krieger” Bush “kontra” (junge Welt) geboten hätten? Wie lange habe ich an traditionssozialistischen Kundgebungen wie dieser nicht mehr teilgenommen? War es die Faszination an der eigenen früheren Begeisterung für möglichst entschlossene Rotfrontbeschallung, die mich so lange ausharren ließ? Was habe ich früher eigentlich gehört, wenn im “Lob des Kommunismus” davon die Rede ist, gegen “den Schmutz” und selbst die wahre “Ordnung” zu sein? Wenn die Sowjetsoldaten auch noch “allein” den “deutschen Arbeitersohn” von den Nazis befreien und ihr Blut den Sozialismus zum Erblühen bringt?

Ich reihte mich beim fünften an mir vorbeigehenden Gesprächsfetzen über die zu vielen USA-Fahnen in Dresden nicht in die gerade von olle Busch beschworene “Arbeitereinheitsfront” ein und ging zur Bahamas-Veranstaltung über Deutschpunk in die Jerusalemgemeinde.

Hier las Jan Gerber hauptsächlich seinen Artikel aus der letzten Bahamas vor (dieser und lauter Gründe für die Überfälligkeit dieser Diskussion im entsprechenden Thread im Kommunistischen Forum), der Gruselteil waren dann aber die Klangbeispiele, Slime und Daily Terror. Ganz wie zuvor bei den Friedenstreibern plagten mich nietzscheanische Selbstzweifel à la: Das Gedächtnis sagt, so war es, der Stolz sagt, so kann es nicht gewesen sein. Slime: “Yankees raus, wir sind Millionen und wir schreien es raus… Friedenswille stößt euch vom Thron… Eure Gegner stellen eine Nation” – ich weiß noch, in welchem Thalenser Autoradio das vor zehn Jahren ständig zu hören war und das mich zumindest auch damals schon die überraschende Allianz mit so vielen Menschen etwas aus dem Konzept brachte. Aber der vom gesamten sozialen Umfeld nahezu widerspruchslos bestätigte Antiamerikanismus wackelte leider erst viel später. Daily Terror: “Der Holocaustkredit ist längst verspielt, sie haben lange noch auf unser Mitleid geschielt” – das war mir bisher gar nicht bekannt, meine Jugendverfehlungen bestehen eher in hingebungsvollem Mitsingen der “Palästina, dein Volk wird siegen irgendwann”-Sachen vom Herrn Quetschenpaua. In der Pause wies ich Sören darauf hin, daß die gegenwärtigen Vertreter auch gern vorgeführt werden könnten, da es beim Anti-Merkel-CSU-Skatersportpunk von Terrorgruppe noch mal viel absurder mit der Rebellionshaltung wird, sah aber ein, daß die therapeutische Wirkung mit den alten Schinken durchaus größer war.

Nach Mitternacht endete ich in der Kastanie in einem erfreulich antideutschen Kontext. Eine eher aus der Kunst zufällig dazugekommene Frau mit Palituch wurde auf ihrem Weg durch die kleine Kneipe gleich dreimal auf die Umtauschaktion im Buchladen auf der Mainzer Straße hingewiesen, wo es einen Schal für ein abgegebenes Palituch gibt, so daß schließlich überlegt wurde, sowas an Ort und Stelle auch zu machen. Einem in seiner Amerikabegeisterung ungetrübten Sohn einer 1987 aus der DDR in die USA getürmten Frau (da kann ich wirklich nur sagen: seeking a better life), ließen wir seine Übertreibungen, da es so selten ist und selten so authentisch, gern durchgehen, seine Homophobie aber ebenso entschieden nicht.

Ihm erklärte ich dann meine antiamerikanische Vergangenheit und stellte dabei selbst noch mal fest, daß es eindeutig die ja in den Augen vieler gar nicht vorhandene amerikanische Kultur war, die das Eis bei mir brach: das Zelebrieren der Widersprüche bei den Simpsons, der hintergedankenlose Groove im Hip Hop, die Intensität und Bedeutung der Onlinedebatten. Ich bin insgesamt ein gutes Beispiel dafür, daß es auch bei im Grunde gutem Informationsstand sehr lange dauern kann, bis die wirklich dem Gesamtkontext widersprechenden Inhalte überhaupt ankommen. Vielleicht ist deshalb auch mein Optimismus nicht zu erschüttern: ich kann mir vorstellen, daß wenigstens eine größere Minderheit als bisher sich über ihre Feindbilder belehren lassen würde. Die Bahamas-Diskussion mag im Innern der linksradikalen Kreise in Berlin, Hamburg, Frankfurt und Freiburg einigermaßen durch sein, schon weniger politisierte Linke haben nach wie vor nur Ahnungen oder schlimmer noch indymedia-Vorstellungen davon, in anderen Teilen des Landes sieht es teilweise noch aus, als wäre auch in der Linken nichts davon bisher angekommen. Gerade Dresden war dafür zuletzt ein dramatischer Beleg.

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