Vertriebene fühlen sich schlecht behandelt

August 14th, 2006

(Dokumentation des Redebeitrages der Antifaschistischen Initiative Moabit auf der Kundgebung “Kein Vertreibenenzentrum, nirgends!” am 12.8.2006.)

Der Bund der Vertriebenen (BdV) umfasst 21 Landsmannschaften und 16 Landesverbände für die Bundesländer. Seine Vorsitzende ist Erika Steinbach, CDU-Bundestagsabgeordnete. Ihr Vater war als Wehrmachtsunteroffizier in Rumia in Polen stationiert, als sie dort 1943 geboren wurde. 1945 musste die Familie flüchten und fühlt sich seitdem schlecht behandelt.

In den einzelnen Verbänden des BdV sind nach eigenen Angaben rund zwei Millionen Mitglieder organisiert. Er ist damit sicherlich der größte rechtsgerichtete politische Interessenverband der Bundesrepublik. Obwohl ihm die BRD als Betätigungsgebiet sicherlich zu klein ist. Das Deutschland des BdV heißt nämlich „Deutsche Siedlungsgebiete“ und erstreckt sich über die BRD, große Teile von Polen, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Ungarn, Rumänien, dem ehemaligen Jugoslawien, und und und.

Kurzum, die Klientel des BdV streckt 61 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs noch immer ihre Finger nach überall dorthin aus, wo sogenannte Deutschstämmige oder Volksdeutsche während des Eroberungsfeldzugs der faschistischen Wehrmacht deutsche Landser jubelnd begrüßten um im zweiten Schritt ihre nichtdeutschen Nachbarn zu enteignen, zu vertreiben oder auch zu ermorden. Sie haben übrigens einen Begriff dafür und der heißt Heimat.

Nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus durch die Alliierten mochten die ehemaligen gequälten Nachbarn in den überfallenen Ländern mit ihren Peinigern nicht mehr zusammenleben und siedelten diejenigen, die sich nicht schon selber auf den Weg gemacht und die Flucht ergriffen hatten um – heim ins Reich. Die Volksdeutschen hatten ja in ihrer überwiegenden Mehrheit bewiesen, dass sie an einem gleichberechtigten Zusammenleben nicht interessiert gewesen waren. Die Umsiedlungen waren von den Alliierten und Vertretern der überfallenen Ländern 1945 in einem völkerrechtlichen Abkommen, dem Potsdamer Abkommen festgelegt und damit ins internationale Recht aufgenommen um eine friedliche Nachkriegsordnung zu garantieren.

Und hier beginnt die Geschichte des BdV und seiner Vorgängerorganisationen.

Angekommen in München, Köln und Flensburg gründeten sich ab 1946 sofort zahlreiche Landsmannschaften und Interessensverbände von Umgesiedelten. Anfangs waren diese von den Alliierten noch verboten, die auch angesichts der zahlreichen ehemaligen NSDAP-Mitglieder und ehemaligen nationalsozialistischen Besatzungs- und Volkstumsfunktionäre, die in diesen Organisationen maßgeblich wirkten, fürchteten, daß diese zu NS-Nachfolgeorganisationen werden könnten. Fortan nannten sich die Geflüchteten und Umgesiedelten „Vertriebene“. Ein Begriff, der bis dato noch nicht existierte. Er wurde in Abgrenzung zu den Millionen Flüchtlingen und „displaced persons“ gewählt, die es damals in in Deutschland und Europa gab.

Die deutschen Vertriebenen wollten schon im Namen nichts mit ihren Opfern zu tun haben, den Überlebenden des Holocaust, den befreiten ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangenen. Weshalb es auch wundert weshalb sie heute in der Ausstellung „Erzwungenen Wege“ mit Juden, Griechen, Armeniern gleichgestellt werden wollen. Schon der Begriff Vertriebene sollte den Grund der Flucht und der Umsiedlungen der Deutschen vergessen machen, die Verbrechen der Deutschen während des Nationalsozialismus.

1950 verabschiedeten dann auch die Vertriebenenverbände die „Charta der Heimatvertriebenen“, in der sie das angebliche „Recht auf Heimat“ als das höchste menschliche Gut bezeichneten, das dem Menschen durch Geburt verliehen sei und das durch nichts zu verwirken ist. Nur 5 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz hatten sie sich damals zu den eigentlichen Opfern des Nationalsozialismus erklärt. Die Juden hatten ja schließlich nur ihr Leben aber nicht ihre Heimat verloren. Zynisch boten sie den Europäern in ihrer Charta die Mithilfe beim friedlichen Wiederaufbau Europas an, wenn diese das „Recht auf Heimat“ anerkennen würden. Und fühlten sich von ihrer Schuld entlastet.

In den ersten Jahren der Existenz der Vertriebenenverbände bildete der innenpolitische Bereich den Schwerpunkt ihrer Arbeit. Das vorrangige Ziel war die Aufnahme und Integration der Neubürgerinnen und Neubürger aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten ins bundesdeutsche Wirtschafts- und Sozialgefüge sowie deren finanzielle Entschädigung. Gleichzeitig integrierten sich zahlreiche ehemalige Nazifunktionäre in die bundesrepublikanischen Verwaltungen, Parteien, Vereine und Interessensverbände. Die Veranstaltungen und Institutionen, Meinungen und Forderungen der Vertriebenen wurden zum festen und einflussreichen Bestandteil der Gesellschaft der Bundesrepublik. Es wurde eine Sondergesetzgebung für ihre Klientel geschaffen, sie bekamen einen eigenen Vertriebenenminister und der „Vertriebenenstatus“ erhielt Gesetzesrang.

Gegenstand des öffentlichen Interesses war in der Vergangenheit immer wieder die aus öffentlichen Mitteln erfolgte Finanzierung der Vertriebenenverbände. Gestützt auf das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) erhalten die Vertriebenenorganisationen jährlich Mittel in Millionenhöhe, mit denen das “Kulturgut der Vertreibungsgebiete” im “Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes” erhalten werden soll.

So ausgestattet versuchten sie immer wieder ihre Forderungen auf Rückgabe der sogenannten deutschen Ostgebiete in die Außenpolitik der BRD einzubringen.

Doch spätestens mit Zusammenbruch der Realsozialistischen Staaten, den 2-plus-4-Verträgen, in denen die BRD 1990 die Außengrenzen seiner östlichen Nachbarländer entgültig anerkannte, dem absehbaren Beitritt Polens und der Tschechischen Republik und weiterer Staaten in die EU, stand der BdV vor dem Problem das seine revanchistischen Forderungen nach Grenzrevisionen und Rückgabe als Munition im kalten Krieg überflüssig geworden waren.

Die Forderung nach einem „Zentrum gegen Vertreibungen“ verbunden mit dem alten Ruf auf ein „Menschenrecht auf Heimat“ sind eine Reaktion der Vertriebenen auf ihre drohende Bedeutungslosigkeit. Die Ausstellung „Erzwungene Wege“ soll für diese Idee werben. Nicht mehr allein das sogenannte Schicksal der Vertriebenen soll hier thematisiert werden, sondern das 20. Jahrhundert als das „europäische Jahrhundert der Vertreibungen“. Doch es ist wieder das alte Lied. Hatte der BdV bisher die deutschen Vertriebenen stets in den Mittelpunkt gestellt um gibt er sie jetzt noch zusätzlich mit einer Kette von teils unfreiwilligen Unterstützern. Aus den Tätern und ihren tatsächlichen und politischen Nachfahren werden Kämpfer fürs Menschen- pardon das Heimatrecht, Und gleichzeitig versucht der BdV in der alten und neuen deutschen Hauptstadt die Deutungshoheit über die europäische Geschichte an sich zu reißen. Das hatten wir ja schon mal. Und zusammen mit der Ausstellung „Flucht Heimat und Integration“ des Deutschen Historischen Museums wird das „Zentrum gegen Vertreibungen“in den nächsten Wochen schon mal temporär vorweggenommen.

Wirklich unerträglich wird es wenn der Holocaust,.der Mord an den europäischen Juden einfach in zwei Phasen aufgeteilt wird, gerade so wie es der Argumentation des BdV nutzt. Denn die erzwungene Flucht der Juden aus ihren Ländern Städten und Häusern ist nicht zu trennen von den Verbrennungsöfen von Auschwitz und Treblinka. Da wird die angebliche Empathie zur zynischen Verhöhnung der Opfer.

Marek Edelmann, der letzte überlebende Anführer des Warschauer Ghettoaufstands von 1943 rückt die Sicht des BdV und seiner Unterstützer wieder gerade. In einem Interview sagt er:

Selbstverständlich ist es traurig, wenn man aus seinem Haus gejagt wird, wenn man sein Land verlassen muss. Während des Krieges musste ich selbst bestimmt zwanzig Mal umziehen. Nicht, weil ich wollte, sondern weil die deutschen Behörden mich von einem Ort zum anderen trieben, oder weil ich mich vor ihnen versteckte, um nicht getötet zu werden. Aber irgendwie habe ich überlebt. So schrecklich ist das nicht.

Die Deutschen, die nach dem Krieg ihr Zuhause verlassen mussten, sind damit nicht so schlecht gefahren. Natürlich gab es Tragödien während der Vertreibung: Morde und Vergewaltigungen. Aber die, die in Westdeutschland ankamen, entgingen der Armut und landeten in einem Land des Wohlstands. Die Amerikaner halfen ihnen mit dem Marshallplan und Erhard brachte ihnen das Wirtschaftswunder. Sie konnten sich Autos von Volkswagen und Mercedes kaufen.“

Dem und den Protesten unserer europäischen Nachbarn möchten wir uns anschließen.

Weg mit den Ausstellungen „Erzwungene Wege“ des BdV und „Flucht Heimat und Integration“ des Deutschen Historischen Museums! Kein Zentrum gegen Vertreibungen! Gegen die Relativierung der deutschen Verbrechen! Gegen Revanchismus und völkischen Rassismus! Vertreibt die Vertriebenen und den BdV!

Nie wieder Heimat!

2 Responses to “Vertriebene fühlen sich schlecht behandelt”

  1. walter brühn Says:

    Guten Tag.
    Mit Interesse habe ich Ihren Artikel gelesen und frage mich ernsthaft, ob ich im GeschichtsLK nicht aufgepaßt habe oder ob hier jemand die Rhetotik des BdV anwendet, um die Kehrseite einer Medaille zu spielen.
    Zu allererst: die 12 Millionen Deutsche, die (auch Polen, Tschechien/Slovakei, Ungarn etc. benutzen dieses Wort) vertrieben wurden, durchgängig als Nazis zu titulieren, ist eine geschichtlich nicht zu verifizierende Unterstellung.
    Ich behaupte als Privatmensch sogar: eine böswillige Unterstellung, damit jede neutrale Beschäftigung mit menschlichen Schicksalen im Keim erstickt wird.
    Oder einfacher, dem Stil des Propagandatons des Artikels gemäß: Wer behauptet, daß “sogenannte Deutschstämmige oder Volksdeutsche während des Eroberungsfeldzugs der faschistischen Wehrmacht deutsche Landser jubelnd begrüßten”, lügt.
    Doch weiter. Den Geburtsort Erika Steinbachs einfach mit “Rumia in Polen” anzugeben, zeugt von einem etwas verkürztem Denken. Es stimmt zwar, daß dieser Ort in Polen liegt, doch erst erzwungenermaßen seit 1920. Klassischerweise gibt man dann “Rumia/ Woiwodschaft Pommern, Polen” an; damit auch Polen wissen, worüber geredet wird.
    “Nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus durch die Alliierten mochten die ehemaligen gequälten Nachbarn in den überfallenen Ländern mit ihren Peinigern nicht mehr zusammenleben” ist eine Äußerung wie aus einer Bush-Rede.
    Sie suggerieren, daß 12 Millionen Deutsche bis 1945 nicht in Deutschland, sondern woanders und unberechtigterweise gelebt haben.
    Die “Umsiedlung” war aber eine, nicht zwingende Folge von Grenzverschiebungen, die Churchill und Stalin am Kaffeetisch beschlossen hatten.
    Will sagen, die 12 Millionen Deutschen wurden aus deutschen Gebieten vertrieben und nicht aus Polen oder Tschechien.
    Aber das ist auch zu kurz beschrieben, zumindest aber der Versuch der Unterlassung von Polemik.
    Sollte Marek Edelmann diesen menschverachtenden Mist wirklich geäußert haben mit dem Sie ihn zitieren, was ich mir nur schwer vorstellen kann, kenne ich doch andere, kluge Äußerungen von ihm, dann hatte er einen sehr schlechten Tag.
    Die zehntausenden, von russsichen Generälen befohlene, “taktischen” Vergewaltigungen als “Tragödien” (also ein dem “Helden” unentrinnbares, von den Göttern auferlegtes Schicksal, ohne menschliches Zutun!) zu bezeichnen, verhüllt nur leicht ein menschenverachtendes Weltbild.
    Oder, um es in Ihrer Gut-Sprech auszudrücken: Wieso Vergewaltigung, die wollte es doch, die hatte es doch provoziert mit ihrem Minirock.
    Warum so vehement gegen diese Ausstellungen? Sie provozieren, regen an zu denken und zu diskutieren, sich zu informieren.
    Lehnen Sie den Geist, den Sie zu erkennen glauben, ab, aber beschäftigen Sie sich mit den Tatsachen und werten Sie sie aus.
    Und dann der Schluß des Artikels: Weg mit… Kein Dies&Das… Gegen XY… Es fehlt eigentlich nur noch: Für Dieses&Jenes.
    Aber es gipfelt ja in “Vertreibt die Vertriebenen”. Aber wohin? “Ins Meer” vielleicht?
    Warum kehrt ein Teil der Linke immer wieder zu dem alten rhetorischen Scheißdreck zurück, ich kann diese Darbietungen nicht mehr hören!
    Die NeoNazis und die, die es noch werden wollen, freuen sich über das Futter, das
    ihnen vor die Füße gelegt wird.
    MfG
    WB

  2. classless Says:

    Wie oben zu ersehen ist dieses Posting lediglich die Dokumentation eines Redebeitrages einer Antifa-Gruppe. In meinem eigenen Bericht von der Kundgebung habe ich mich zu den traditionsmarxistischen Elementen der Beiträge geäußert, finde dennoch, daß im Rahmen der Veranstaltung deultich wurde, was mit dem Slogan “Vertreibt die Vertriebenen” gemeint war: sie sollten nicht an einer solch prominenten und konnotierten Stelle für ihr Vertriebenenzentrum werben dürfen.

    Die von Ihnen angehängte Frage “‘Ins Meer’ vielleicht?” finde ich ziemlich daneben.

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