SI vs. KT

October 11th, 2006

Gerade habe ich das Protokoll unserer zweiwöchentlichen Kulturindustrie-Lesegruppe angetippt und hielt diese Passage über die Gegensätze von Situationisten und Kritischer Theorie bzw. Debord und Adorno für mitteilenswert:

Während die Situationisten vom Kampf zwischen Rekuperation und Detournement reden und somit eine prozeßhafte Praxis befürworten, geht es bei der Kritischen Theorie um Ohnmacht und vielmehr ein prozeßhaftes Denken. Die situationistische Praxis funktioniert als Hase-und-Igel-Spiel, in dem alle “neuen” Erscheinungen automatisch als Teil des Spektakels gewertet werden, während die Kritische Theorie sie differenzierter zu kritisieren vermag. Die Situationistische Position erscheint als Anleitung zur Praxis, während in der Kritischen Theorie das Denken die einzig verbliebene Praxis ist.

In einem historischen Exkurs rekapitulierten wir die Abwendung der Kritischen Theorie vom Parteikommunismus unter dem Eindruck der Niederlage gegen den Faschismus in den 30ern und die Abwendung der New Left vom Stalinismus in den 50ern, wobei ersteres klar als resignativer Akt und zweites als neuer Aufbruch funktionierte. Auch stehen sich der positive Bezug auf proletarische Traditionen in Frankreich und das abschreckende Beispiel populären Handelns in Deutschland gegenüber, daraus resultierend eine hauptsächlich proletarische Position der SI und eine vorwiegend bürgerliche der Kritischen Theorie. (Nebenstrang: Schwer zu entscheiden, was an Adornos Jazz-Kritik Standesdünkel ist…)

Bezogen auf die Gegenwart stellten wir Überlegungen zur Warenförmigkeit unbezahlter geistiger Arbeit (Bloggen etc.) und von Hausarbeit an und machten uns Gedanken über die Ökonomie von Werbung und Marken. Hannes stellte die Frage: Wer kauft Werbung?, und überlegte, ob Debord den Fetischbegriff auf einen Markenfetisch verengt. Es folgte die Frage, wie sich der Wert einer Marke ermittelt und ob die Kritische Theorie von Kommodifizierung nur unter dem Monopol spricht. Dem hielten wir entgegen, daß das Monopol eher als historisches Übergangsphänomen zu werten sei, daß es erst den Wert und dann das Monopol gegeben habe und dessen Präsenz oder Dominanz vor allem von technologischen und politischen Gegebenheiten abhinge. Eine erneute Dezentralisierung, wie sie durch Popkultur und Internet befördert wird, ist nur eine Dezentralisierung der Warenproduktion, belibt aber eben genau das. Sonst wäre jeder Baumarkt bereits ein Vorschein des Kommunismus. Der Wert einer Marke wiederum ergibt sich aus ihrer Beschleunigungswirkung für die Kapitalzirkulation – es wird meßbar schneller mehr verkauft, was die Zirkulationsphase des Kapitalkreislaufs ebenso meßbar verkürzt und somit mehr Gewinn erzeugt.

Es gibt also Arbeit in der Produktion und Arbeit in der Zirkulation, das oberflächlich betrachtet irrsinnige Wettrüsten der Werbebudgets folgt der inneren Logik, die Zirkulation stärker zu beschleunigen als die Konkurrenz, die es auch bei noch so starker Monopolisierung immer gibt.

19 Responses to “SI vs. KT”

  1. jochmet Says:

    Harter Stoff. Sach doch mal Bescheid, wenn das geklärt ist.

  2. nonono Says:

    Na, sicher wenn das Kapitalverhältnis aufgehoben wurde…

  3. l f o Says:

    Heute mittag gelesen: Im Artikel “Kapitalismus, Städte und die Produktion symbolischer Form” argumentiert Allen J. Scott, dass es sich heute um ein postfordistisches Akkumulationsregime handeln würde (genau genommen spricht er von urbanen Ökonomien, aber das soll hier keine Rolle spielen), bei dem die Produktion symbolischer Formen (=kulturelle Güter) zentraler Bestandteil sei. Adorno wird von ihm als Kritiker des Fordismus ernst genommen aber abgehakt: im Fordismus sei die Standardisierung von Kulturgütern praktiziert worden, heute würde “Diversifikation eine rentable Produktionsstrategie” darstellen.
    Als Proto-Globalisierung (und das erscheint mir als diskussionswürdige These) haben in den Nachkriegsjahrzehnten amerikanische Firmen, da sie am besten angepasst waren, die Führungsrolle auf den Weltmärkten eingenommen. Heute seien internationale Firmen der Kulturökonomie unterschiedlichen nationalen Ursprungs und würden eben die genannte Diversifikationsstrategie betreiben. Bleibt immer noch die Frage offen, ob sich empirisch nachweisbar das Oligopol der Musikwirtschaft gerade auflöst. Wobei das für die Warenproduktion abseits davon auch egal ist, weil, wie von Daniel erwähnt, die Warenproduktion auch dezentral erfolgt. These: zur Durchsetzung der Mechanismen der Standardisierung war eine Monopolbildung in der Kulturindustrie historisch notwendig, heute jedoch wird sie zunehmend obsolet, die Warenproduktion wird von den Individuen auch selbstverwaltet betrieben.

  4. bigmouth Says:

    verständnisfrage:

    “Eine erneute Dezentralisierung, wie sie durch Popkultur und Internet befördert wird, ist nur eine Dezentralisierung der Warenproduktion, belibt aber eben genau das. Sonst wäre jeder Baumarkt bereits ein Vorschein des Kommunismus. ”

    -> für die leute in der gruppe hat kommunismus was mit dezentralisierung zu tun?

  5. classless Says:

    “Die Leute in der Gruppe” sind eher dabei, sich Texte zu erschließen, über die alle reden. Im Zusammnehang mit Kulturindustrie geht es mehr um so was wie Aneignung und eben die Frage nach Nicht-Warenförmigkeit. Erwartungsgemäß sind wir noch nicht zu Antworten vorgestoßen.

  6. Tioum Says:

    “zur Durchsetzung der Mechanismen der Standardisierung war eine Monopolbildung in der Kulturindustrie historisch notwendig, heute jedoch wird sie zunehmend obsolet, die Warenproduktion wird von den Individuen auch selbstverwaltet betrieben.”

    Da stellt wer was auf den Kopp. Die Monopolisierung folgt der ökonomischen Logik und nicht einem “Mechanismus der Standardisierung”. Und wenn sie obsolet wird, dann bloss, weil sich die Anforderungen der Kapitalakkumulation verändert haben. Man merkt halt schon, dass der von dir geschätzte Theoretiker der Regulationstheorie entstammt, welche das politische Moment im Kapitalismus wesentlich überbewerten. Ich weiss nicht, ob die komische These von der “selbstverwalteten Warenproduktion” von daher kommt (immerhin müsste ja WARENproduktion sich verkaufen lassen, sonst ist sies per Definition nicht -> Weblogs, DIY etc.) oder ob ich da nur noch Negri rauschen höre.

  7. nonono Says:

    Yeah, battle like it’s KF ’99! (oder so…)

  8. l f o Says:

    Tioum,
    Um nochmal meinen Punkt klarzustellen: es ging darum die Kulturindustriethese mit anderen Ansätzen abzugleichen und auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen. Adorno versucht nachzuweisen, wie das Profitmotiv auf die geistigen Gebilde übertragen werden, also die Kommodifizierung von Kunst zu erklären. Dabei kommt es zu einer Standardisierung, d.h. Vereinheitlichung der kulturellen Waren. Gleichzeitig kam es empirsch nachweisbar in der Musikindustrie (um das an einem Fallbeispiel zu zeigen), zu einer quasi-Monopolisierung. Es kann aufgezeigt werden, dass dadurch bestimmte Standards verbindlich durchgesetzt wurden (etwa Formate für die Vermarktung von Musik aber eben auch die musikalischen Form selbst). Die Überlegung war jetzt hier, dass die Standardisierung (die hier erklärt werden soll als aV nicht uV) durch diese Monopolisierung durchgesetzt wurde, ein Markt mit vielen kleinen Produzenten hätte dies wahrscheinlich nicht erreichen können. Standardisierung also als Resultat der Monopolbildung, wobei ich keine Aussage über den Grund der Monopolbildung getroffen habe.
    Heute dagegen löst sich das Monopol (in der Musikwirtschaft Oligopol) potentiell auf, der Marktanteil der 4 Majorkonzerne sinkt. Als Akteure werden Klein- und Kleinstproduzenten (Indielabels) wichtiger, das sollte mit “selbstverwalteter Warenproduktion” bezeichnet werden. Das Monopol verliert seine Relevanz, dies wird von Theoretikern von Scott oder Negri positiv bewertet. Dagegen spricht aber: auch kleine Labels vermarkten die Ware Musik. Die Art und Weise der Produktion ändert sich, der Warenfetisch bleibt. Die Frage war, ob die Kulturindustriethese auch ohne der Annahme eines Monopols tragfähig ist. Und hier die Antwort: ja, wenn sie als Kritik am System des Warenfetischismus gelesen wird.

    Noch kurz zu dem letzten Punkt der Waren: wenn Kulturindustrie wie Adorno dazu tendiert in Reklame überzugehen – wer kauft das Produkt Reklame? Auch unkommerzielle Weblogs lassen sich in ökonmisches Kapital ummünzen: sie verschaffen dem Schreibenden zum Beispiel Aufmerksamkeit und ein soziales Netz (oder nach Bourdieu soziales Kapital, dass sich in ökonomische umwandeln lässt). Auch das Unternehmen CocaCola verschenkt gelegentlich Produkte auf der Straße – genauso versuchen in Blogs Menschen ihre Arbeitskraft anzupreisen durch Produkte, die scheinbar kostenlos angeboten werden. Erstaunlicherweise ist beim DIY auch alles so, wie man es von den Großen abgeguckt hat: mit kopierten Fanzines werden Hochglanzmagazine imitiert, Rockstars werden als Rockstars vermarktet wenn auch auf anderem Niveau, zuerst macht man Streetart und stellt dann in Gallerien aus etc. Dass es ihr nicht-marktförmig zuginge, würde ich anzweifeln.

    Wo das politische Moment des Kapitalismus bei dem Gesagten überbewertet wird, habe ich nicht verstanden – bitte um Erklärung.

    Und: Hier gibt es keinen Battle. Superleichtgewicht (ich) gegen Heavyweight-Champion, das wird so nichts.

  9. bigmouth Says:

    welche standards sind jetzt gemeint? dass schallplatten 12 ” messen, und 33 rpm haben? dass songs 3 – 5 minuten dauern, bridge & refrain besitzen? dass rockbands die und die instrumente benutzen?

  10. bigmouth Says:

    mE krankt die DdA eh sehr stark daran, dass adorno und horkheimer sich sehr auf pollock verlassen, dessen kapitalismus-konzeption nicht wirklich toll ist, und den moment des monopol- und staatskapitalismus völlig überbetont. bei Postone findet sich in “zeit, arbeit & gesellschaftliche herrschaft” ne gute kritik daran

  11. scrupeda Says:

    @LFO: Dass Adorno dazu tendiert, in Reklame über zu gehen ist jetzt aber mal wirklich eine verdammt radikale Lesart des Kulturindustriekapitels;-) Und natürlich ist die Frage nach den Käufern der Werbung erstmal leicht zu beantworten – eben genau die, die die Werbung in Auftrag geben. Wobei natürlich im Endeffekt die Aufmerksamkeit der Nutzer gekauft wird; die Art und Weise, wie sich Radio schon immer finanziert hat (jaja, außerhalb Deutschlands meinetwegen). Der aktuelle Wahn ist ja vielmehr, wie viele Menschen ständig Werbung für alles mögliche Machen, ohne tatsächlich noch von irgendwem dafür bezahlt zu werden, bzw. wie die Hoffnung auf Lohn den Lohn ersetzt.

  12. Ungi Says:

    Mir ist das mit der Kulturindustrie zu hermetisch abgeschlossen, oder, anders gesagt, es neigt zum Tautologischen.

    Sich der Warenförmigkeit seines Outputs völlig zu entziehen, halte ich für unmöglich. Sobald jemand vorbeikommt und ein Preisschild an mein Blog pappt (es gibt ja auch Webseiten, die den Blog”wert” ermitteln), ist es schon passiert. Zudem kann man jemandem, der sich explizit nicht um Warenförmigkeit bemüht, immer unterstellen, dass er
    a) den bestimmenden Code durch explizite Verneinung indirekt anerkennt
    b) sowieso nur kulturelles Kapital durch Distinktion einsammeln will.

    Diese Vorwürfe sind sogar irgendwie berechtigt, weil ich die Konventionen erstmal als solche erkennen muss, um sie zu vermeiden. (gelegentliche auftretende geniale Sonderlinge mal ausgenommen)

    Deshalb bin ich aber noch lange nicht Sony, wo Musiker unter Vertrag genommen und ihre Musik einer Einheitsverpackung (im weiteren Sinne) und auch künstlerischen Eingriffen unterworfen werden.

    Dass Blogger oder Indielabels sich gelegentlich oder meinetwegen auch meistens bestimmten kulturindustriellen Konventionen unterwerfen (was verständlich ist, die Produkte der “Großen” sind ja ohnehin nicht von Aliens, sondern auch bloß von Leuten wie uns gemacht) bedeutet nicht, dass sie das gleiche Spiel spielen. (Zum Beispiel stellt sich die Frage, nach welchem Code inhaltliche Fragen geklärt werden.) Im Gegenteil wird es doch theoretisch erst interessant, wenn man in der Lage ist, die Veränderungen zu analysieren, die sich aus der Longtailisierung oder sonst einem häßlichen Wort ergeben.

  13. scrupeda Says:

    Bei Adorno ist das eben nicht nur so hermetisch, wie eine Totalität normalerweise sein sollte, sondern auch ganz schön abstrakt. Bezogen auf Kunst findet er die Warenförmigkeit also nicht nur in dem, was sich besonders bereitwillig feil bietet, sondern auch in den von ihm so verehrten autonomen Kunstwerken. Wobei sich in der Vermittlung von Form und Inhalt, von Allgemeinem und Besonderem, so DdA-mäßig der Niederschlag der falschen Verhältnisse findet; die Regeln tun den Elementen Gewalt an, der Künstler versucht, das Material zu beherrschen, und wenn sich das besondere/individuelle etc. (z.B. Expressionismus und so) gegen die Form bzw. die Kategorie des Werks aufzulehnen scheint, ist das wiederum eine Äußerung des falschen Individualismus und gleichzeitig ein Hinweis auf den richtigen, den es vielleicht irgendwann mal geben könnte. Wenn dann mal irgendwann das Kapitalverhältnis aufgehoben ist…

    Fuck, das ist schon wieder so vulgäradornitisch und erklärt wahrscheinlich trotzdem nix. Nun ja.

  14. Ungi Says:

    Doch, die Subtilität von Adornos Argument lässt sich durchaus erahnen. Wobei mir auch dann scheint, dass der Künstler heute in der Wahl der Form (ich zähle den Weg der Verbreitung mal grob dazu) sehr viel freier ist als früher. Natürlich nicht absolut frei, und das Hauptproblem ist dabei selbstverständlich das Kapitalverhältnis bzw. der Zwang zum Geldverdienen, aber flexibler, unabhängiger.
    Auf der anderen Seite bauen sich natürlich im konkreten Jahr 2006 youtube und myspace auf mit ihren enorm formatierenden Vorgaben.

    Aber ich reformuliere nochmal die gravierenden Haken, über die ich bei meinem persönlichen Verständnis der kritischen Theorie nicht hinwegkomme:
    Es reicht nicht aus, die finsteren Drahtzieher aus den Verschwörungstheorien durch ein abstraktes Prinzip zu ersetzen. Man muß auf diese Art der allgemeinen Adressierung, die dazu führt, dass sich das Denken im Kreis bewegt, wirklich ganz verzichten.
    Und des weiteren finde ich die Vorstellung eines kommenden besseren Lebens, das irgendwann mal das jetzige “falsche” ablösen soll, suspekt. Da denke ich zu naturwissenschaftlich. Was ist denn – Dath räsonnierte neulich irgendwo darüber (finde es gerade nicht, oder war es in “Dirac”?) – wenn das Bewußtsein nur eine vorübergehende Laune der Evolution ist, eine freundliche Nische, die überhaupt erstmal zu verteidigen ist?

  15. classless Says:

    Sich zum Parteigänger einer solcherart verstandenen Kritischen Theorie zu machen, heißt, keine kritische Theorie von irgendwas mehr zu betreiben. Ein beherrschendes Prinzip abzulehnen, ohne angeben zu können, wie es sich gegenwärtig überwinden ließe, schließt nicht aus, das Bestehende als Vorübergehendes zu betrachten und auch nicht, seine unleugbaren Vorzüge zu verteidigen, wie das gerade viele von der Kritischen Theorie beeinflußten Menschen tun.

    Unter diesen ist das Problem der bloßen Abstrahierung des antisemitischen und/oder verschwörungstheoretischen Feindbildes auch ein Thema, etwa die Funktion des zur überhistorischen Entität erhobenen Kapitals oder eben des von Pollock übernommenen Begriffs des Monopolkapitalismus.

    Es gefällt mir daran festzuhalten, daß es etwas Besseres als das verwertungslogische Bestehende geben muß, auch wenn ich es für den Augenblick nur in selbstvergessenen Momenten der Euphorie irgendwo zu entdecken meine.

  16. Ungi Says:

    Na gut.

  17. scrupeda Says:

    Geben muß? Zumindest geben könnte…

  18. bigmouth Says:

    oder sollte…

  19. classless Says:

    Die Euphorie spricht: es muß doch anders gehen. Muß es natürlich leider gar nicht, habter recht.

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