Ökonomischer Gottesdienst, Lage der arbeitenden Klasse

April 17th, 2008

Richtige Mitarbeiter gibt es hier im Laden nur wenige, hauptsächlich, weil das niemand lange genug aushält. (In der mittleren Leitungsebene finden sich Mittzwanziger, die kaum mehr verdienen als ihre Kollegen, kaum weitere Aufstiegschancen haben und vor Zahlendruck ständig zu bersten drohen.)

Meine Theorie ist, daß es genau so viele feste Mitarbeiter gibt, wie es ohne Betriebsrat noch geben darf. Alle zusätzliche Arbeitskraft wird als bunte Schar von externen Ausstattern und externen Security-Leuten, am meisten jedoch über Promotoren und Praktikanten zugekauft. Dabei ist “zugekauft” nicht ganz richtig, da die Ausstatter und Promotoren in der Regel von ihrem jeweiligen Hersteller oder Anbieter bezahlt werden.

Als Kunde trifft man besonders zu Stoßzeiten entweder auf Promotoren, die keine Ahnung haben, weil sie nur ihre eigenen Produkte kennen und von niemandem darüber hinaus geschult werden, oder auf Praktikanten, die keine Ahnung haben, weil sie noch nicht so lange dabei sind und zumeist einfach ins kalte Wasser geworfen werden.

Während sich langjährige Promotoren wie auch ältere feste Mitarbeiter die schlimmsten Zumutungen teilweise vom Hals zu halten verstehen und auch hier und da sowas wie menschliche Beziehungen aufbauen, werden Praktikanten und weniger erfahrene Promotoren von den Waren beliebig herumgescheucht. Für sie gilt zwar der gleiche Maßstab wie für alle – die Zahl, die zahlenmäßige Planübererfüllung – doch wissen sie (noch) nicht, wann und unter welchen Bedingungen dieser Maßstab auch mal egal ist bzw. mit welchen Ausreden man durchkommt.

In den kurzen Atempausen ihrer Hatz sind diese armen Jungpriester der Ware hauptsächlich mit der Rationalisierung der von ihnen als irgendwie gespenstisch empfundenen Welt des ökonomischen Gottesdienstes beschäftigt – sie quatschen’s sich schön, sie quatschen sich schön (ständig sagt einer von ihnen “positiv denken”) und sie versuchen andere Wertmaßstäbe herbeizugrübeln, die es nicht gibt.

Ob sie irgendwann feste Mitarbeiter oder langjährige Promotoren (wie Euer lieber Autor) werden, hängt davon ab, ob sie irgendwann kapieren, daß es letztinstanzlich nur um die Zahl geht, und davon, wie sie dann mit dieser Erkenntnis klarkommen.

Ist die Erschütterung zu groß, kann man sie zuweilen noch ein paar mal laut herumwundernd antreffen, bevor sie dann verschwinden. Halten sie wirklich länger durch, haben sie sich entweder mehr oder weniger demütig dem Kult der Ware verschrieben oder sie entwickeln meine zynische Indifferenz, die es mir ermöglicht, die meisten – wenn auch nicht alle – Demütigungen abzufangen und in dem Bewußtsein, daß ich vergleichsweise gut bezahlt werde und mir auf diese Weise viel Freizeit erkaufe, freundlich-unverbindlich mit den Mitpredigern umzugehen und freundlich-unverbindlich mit den Gläubigen Tauschverkehr zu treiben.

11 Responses to “Ökonomischer Gottesdienst, Lage der arbeitenden Klasse”

  1. roland Says:

    Meine Theorie ist, daß es genau so viele feste Mitarbeiter gibt, wie es ohne Betriebsrat noch geben darf. – meines Wissens gibt es keine gesetzliche Regelung, die ab einer bestimmten Unternehmensgröße einen Betriebsrat vorschreibt – oder hab ich den Satz falsch verstanden?

  2. classless Says:

    Ich hab das noch nie überprüft. Von verschiedenen Mitarbeitern in verschiedenen Märkten stammte die Auskunft, daß es eine Anzahl an Mitarbeitern gebe, unterhalb derer der Laden keinen Betriebsrat zulassen muß. (Es wurde auch behauptet, das sei einer der Hauptgründe, weshalb jeder Laden der Kette als eigenständiges Unternehmen gelte.)

    Weiß das jemand genauer?

  3. roland Says:

    Ich glaube, so rum stimmts: also Vorschrift einer Mindestgröße, ab der ein Betriebsrat gegründet werden kann (oberflächliches googeln behauptet: ab 5 festen), jedoch keine Regelung ab der muss

  4. classless Says:

    Hier arbeiten aber schon mehr als 5 Leute fest. Hm.

  5. roland Says:

    http://tinyurl.com/6ha27m (wie gesagt, auf die schnelle)

  6. classless Says:

    Eine Blitzumfrage ergab gerade ein gemischtes Bild. Manche meinen, das wäre mal so gewesen, sei jetzt anders; andere führen es auf den Schiß der Beschäftigten wegen der recht markigen Ansagen der Geschäftsleitung zum Thema zurück.

    Ich bleibe mal am Thema dran, auch wenn’s mich selbst nur indirekt betreffen würde…

  7. küster Says:

    Das stimmt schon so, ab fünf ArbeitnehmerInnen ist die Wahl eines BR möglich. AN im Sinne des BetrVG sind i.d.R. alle direkt beim Betrieb Beschäftigten, d.h. auch zB Leute mit befristeten Verträgen, in Teilzeit und sogar die auf “Minijob”-Basis.

    Mindestens drei davon müssen auch passives Wahlrecht haben, also für den BR wählbar sein. Wählbarkeit tritt ein nach mindestens sechsmonatiger Beschäftigung. Bei unter 20 ArbeitnehmerInnen wäre der BR nur einköpfig, ab 20-49 AN dreiköpfig usw. mit ungeraden Zahlen.

    Die Wahl eines BR ist an sich kein großes Problem: Es braucht (nach einfachem Wahlverfahren, wie in kleinen Betrieben anwendbar) einen dreiköpfigen Wahlvorstand, der per Aushang eine Wahlversammlung einberuft, auf der für die KandidatInnen eine Liste mit sog. Stützunterschriften herumgereicht wird, an einem weiteren Termin findet dann die Wahl statt. In der Praxis kleiner Betriebe mit wenig engagierten/mutigen Leuten wählt sich der Wahlvorstand praktisch selbst als Betriebsrat. Ab dem Zeitpunkt der Bekanntmachung der Wahlversammlung tritt übrigens auch der besondere Kündigungsschutz ein, der für Mitglieder des Wahlvorstands und des BR gilt. Das sind alles eher Formalitäten der sog. Wahlordnung (Anhang zum BetrVG), dazu gibt die jeweils zuständige Gewerkschaft sicherlich gerne Unterstützung oder schickt sogar einen Referenten zur Wahlversammlung vorbei.

    Heikel wird’s, wenn zB befristete Arbeitsverträge die Regel sind, die verlängern sich nämlich auch für BR-Mitglieder nicht automatisch. Und über die Handlungsspielräume eines BR in kleinen Betrieben und/oder in stark deregulierten Branchen (womöglich ohne Tarifbindung) sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Man kann schon einige typische Ärgernisse im Arbeitsalltag per Betriebsvereinbarung mildern oder abstellen. Aber gerade beim Geld ist es schwierig, etwas durchzusetzen, wenn der Betrieb nicht unter Tarifvertrag fällt.

  8. godforgivesbigots Says:

    Was Geld in den Beziehungen zwischen Menschen anrichtet. Geld ist ein Problem.

    “Wo Geld ist, da ist der Teufel; aber wo keins ist, da ist er zweimal!” – Georg Weerth

  9. Benni Bärmann Says:

    Möglicherweise ist auch die Anzahl Beschäftigte gemeint ab der ein Betriebsrat freigestellt werden muss. Also der wird dann bezahlt aber macht nur noch Betriebsratsarbeit. Das sind glaube ich so um die 60. Vielleicht gibt es zwischen den 5 und den 60 auch noch Schritte wo dann Teilzeit freigestellt werden muss, das weiss ich nicht.

  10. Benni Bärmann Says:

    “Es wurde auch behauptet, das sei einer der Hauptgründe, weshalb jeder Laden der Kette als eigenständiges Unternehmen gelte.”

    Das kann man evntl. dann sogar auch vor Gericht durchsetzen, dass es einen Gesamtbetriebsrat geben muss. Aber da wirds dann spätestens kompliziert.

  11. küster Says:

    Zur Freistellung: Nach § 38 BetrVG wird ab 200 ArbeitnehmerInnen ein BR von der beruflichen Tätigkeit völlig freigestellt, ab 500 AN zwei usw. Bei über 200 AN hat der BR aber auch schon sieben Mitglieder.

    Aus § 40 BetrVG (Die Kosten des Betriebsrats trägt der Arbeitgeber) ergibt sich aber: Für kleinere Betriebsräte bzw. die übrigen BR-Mitglieder in großen gilt, dass sie für die BR-Tätigkeit ebenfalls freigestellt werden, und zwar im erforderlichen Umfang für Sitzungen, Sprechstunden, Fortbildungen und anderes. Da können nach gängiger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte pro Mitglied schon wenigstens 2-3 Stunden wöchentlich geltend gemacht werden. Je größer der Betrieb, desto mehr. Es gibt auch keine Pflicht, gegenüber dem Arbeitgeber minutiös nachzuweisen, wofür man die Zeit benötigt hat, es genügt eine summarische Angabe.

    Im Betriebsrat zu sein, bietet also auch eine – möglicherweise willkommene – Abwechslung vom üblichen Geschehen.

Leave a Reply

2MWW4N64EB9P