Wir machen uns das nett

May 23rd, 2008
Wohnen im Gefängnis

Auf dem bis vor kurzem noch dick ummauerten Gelände des ehemaligen Arbeitshauses und späteren Fluchthelfer-Knasts Rummelsburg wird betriebsam gebaut und eingezogen. Zu den neusachlichen Neubauten, die in den letzten Jahren das Ufer entlang entstanden, kommt nun somit eine Art neo-panoptisches Wohnen, das auf eine ähnliche neureiche Klientel aus der linksalternativen Kultur- und Politikelite einen besonderen Reiz auszuüben scheint.

Der Wachturm bleibt stehen, die gesamte Gefängnis-Optik wie aus einem Foucault-Bilderbuch bleibt erhalten. Das wird dem Denkmalschutz gerecht, wirft aber auch die Frage auf, wer unbedingt in solche Gebäude einziehen oder dort arbeiten mag bzw. wem die Nähe zu all den anderen Neubewohnern des Rummelsburger Ufers, für die mutmaßlich in Prenzlauer Berg mittlerweile kein Platz mehr ist, wichtig genug erscheint.

Im Hintergrund Lichtenberger Platte
Die Handykamera läßt die Lichtenberger Platte im Hintergrund nur erahnen

Derzeit lassen sich die Bewohner gerade der ufernahen Häuser noch gern von Spaziergängern dabei bestaunen, wie sie ihren Reichtum und Geschmack zur Schau stellen, sitzen auf ihren Terrassen in unmittelbarer Nähe und ohne Sichtbarriere zu den Gehwegen, scheinen die deutlich neidischen Blicke zu genießen. An vielen Stellen ist aber schon dafür vorgesorgt, daß die Blicke mit der Zeit vielleicht feindseliger werden könnten, wenn der sozial abgehängte Lichtenberger Plattenbaubewohner sich beim n-ten Hundausführen vielleicht mal einen Gesprächsfetzen von der Terrasse darüber aufschnappt, daß eben auch nur die Bewohner diese tolle Wohnlage zu genießen verstünden.

So sind da und dort Hecken und Bäume gepflanzt; vor den schon etwas länger bezogenen Häusern wurden die Bauzäune einfach nicht entfernt und haben sogar ihre Beschriftung behalten, obwohl hier alles fertig gebaut ist.

Keine Baustelle mehr, aber trotzdem

(Die Überschrift stammt aus dem Antitainment-Song “True ’til bored to death” – und überhaupt fallen mir verschiedene Antitainment-Songs ein, wenn ich dort herumlaufe und den Bewohnern begegne, z.B. auch “Richtet hin, was euch einrichtet”)

7 Responses to “Wir machen uns das nett”

  1. philip Says:

    ich war am pfingstmontag auch auf radtour da vorbeigekommen und war überrascht. ich kannte ja nur den blickwinkel von der 21 aus, so durch lichtenberg; von der richtung sieht es noch gar nicht so krass aus. vor allen dingen weil man dann auch eher die trostlose architektur nördlich sieht.

  2. godforgivesbigots Says:

    Gibt´s da schon Straßenschilder? Ggf. einfach mal welche anbringen, auch den Gebäuden kann man Namen geben. Foucaultallee. Haus des Epigonen. Strukturalismusgasse. Platz der Singularität. Am Krachtwinkel. Den Zurichtungsweg runter, den Langen Eduard rechts liegen lassen und dann links in den Essentialistentrakt rein. Was immer das Lexikon und die Architektur hergibt, macht euch den Namensraum Rummelsburg nett liebe Berliner. Das wäre doch eine Schande wenn irgendwelche Bauzaunschilder das einzige blieben was dort die Welt zum Text macht.

  3. therarestwords.com Says:

    😮

  4. jaegerzaun Says:

    “wem die Nähe zu all den anderen Neubewohnern des Rummelsburger Ufers, für die mutmaßlich in Prenzlauer Berg mittlerweile kein Platz mehr ist, wichtig genug erscheint.”
    das ist spassig gemeint was?

  5. classless Says:

    Vielleicht.

  6. unkultur Says:

    Aufgepasst mit dem Ziehen an Zigaretten mit Inhalt während des Sonntagsspaziergang – sonst kommt man noch auf die Idee, dass absichtlich Bauzäune stehen gelassen werden, um Kulla und andere Flaneure aus der Rummelsburger Bucht draußen zu halten. “Reich” geht wirklich irgendwie anders.

  7. classless Says:

    Ich würde einfach sagen, daß ihnen die Lust an der Zurschaustellung mehr oder weniger schnell vergeht. Und daß sie anfangs aber schon am Start war. Ansonsten läßt sich nur spekulieren, daß sie sich das zunächst alles ganz offen vorgestellt haben – so sah das nach meinem Dafürhalten zumindest aus -, aber vielleicht nicht drüber nachgedacht haben, daß nicht nur die sozial doch recht homogene Gruppe der Siedlungsbewohner auf den Wegen herumläuft.

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