Der Rausch…

February 5th, 2009

…taucht vor einem Monat in einer silvester-induzierten Diskussion auf, und ein Teetrinker schlägt sogleich beim Gegenstandpunkt nach, wo sich Folgendes findet:

>>Die bürgerliche Gesellschaft hat ein interessantes Angebot auf Lager: Rauschgift wird als Ware angeboten. Kundschaft zu finden ist offenbar kein Problem. Es scheint genügend Mitglieder dieser Gesellschaft zu geben, die die Betäubung ihres Bewußtseins attraktiv finden. Leute, die ihr subjektives Glück auf eine merkwürdige Art suchen. Wohlbefinden verschaffen sie sich nicht – oder nicht mehr – im Verhältnis zur Realität, sondern durch chemische Beeinflussung ihres Hirns. Drogenkonsumenten legen so viel Wert darauf, sich “gut zu fühlen”; daß sie alles daransetzen, an sich einen Zustand der Zufriedenheit herzustellen, auch und gerade dann, wenn die Welt ihnen keinen Grund zur Zufriedenheit bietet. Sie brauchen sich noch nicht einmal einzureden, daß sie die Realität anders sehen, sie manipulieren lieber ihren Realitätssinn und versetzen sich so in einen körperlichen Zustand, daß sie sie anders bzw. überhaupt nicht mehr sehen. Rauschgifte verschaffen ihnen das psychologische Erlebnis einer Gefühlswelt, die sich auf nichts bezieht. “Drogenkarrieren” werden mit diesem Bedürfnis nach grundloser Zufriedenheit begonnen; ein Bedürfnis, das durch die physiologische Wirkung der Rauschgifte – mehr oder weniger schnell – in körperlicher Abhängigkeit endet.<< Wow, was für eine Botschaft: Rauschgifte machen alle abhängig! Überhaupt: Rauschgifte! Und verstehe ich das richtig, daß sie sagen, das Funktionieren des Nervensystems sei keine Realität? Später sagt der Teetrinker:

>>Bei Kommunisten (…) ist der Widerspruch einfach nur noch ne Stufe härter: die wissen sogar um die Gründe der Notwendigkeit der Schädigung im Kapitalismus und halten dann dennoch daran fest, unbedingt in ihm glücklich sein zu wollen und das per Drogen gegen sich durchzusetzen.<< Weiß entsprechend der (kommunistische) Teetrinker um die Gründe der Notwendigkeit mangelnder Konzentrationsfähigkeit im Kapitalismus und hält dennoch daran fest, sich konzentrieren und wach bleiben zu können und setzt das per Tee gegen sich durch? Er konstatiert jedenfalls einen “Unterschied zwischen Genuss und Erholung einerseits, sich wegzubeamen andererseits” bzw. zwischen “Alkohol des Genusses des Getränks wegen zu konsumieren” und “sich dadurch in einen Rauschzustand versetzen zu wollen”. Rausch ist kein Genuß? Und Genuß kein Rausch? Interessant. (Oder sollte ich sagen: interessiert? *schmauch*)

Nach verschiedenem Hin und Her über Drogen als Kompensations- und Betäubungsmittel postet schließlich Dorfdisco dieses schöne Stück aus einem Hörspiel, in dem sich Sherlock Holmes mit Karl Marx unterhält:

>>“Ich muß zugeben, daß, auch wenn ich ihre politischen Schlüsse verdammenswert und aufrührerisch finde, vieles von dem was Sie sagen aufgrund der Kraft seiner Logik und Deduktion nicht widerlegt werden kann.”
“Ah, ja.”
“Aber… [Holmes lacht] Sie begehen einen gewaltigen, unverzeihlichen Fehler.”
“Nur einen? Welchen?”
“Wenn Sie schreiben: Religion ist das Opium des Volkes. Eine schreckliche Metapher, ein ganz und gar negativer, unfairer und sensationslüsterner Vergleich.”
“Sie meinen also, ich irre mich.”
“Über Religion keineswegs. Aber Sie haben nie Opium probiert.”
<< Da nippe ich noch mal an meinem leckeren Earl Grey und versuche, davon nicht zu angeregt für die Arbeit zu werden. Sonst muß nachher noch wer einen bauen. Dann wieder Kaffee. Und wenn die Musikabteilung noch einen passenden Beat zum Klang der Alarmanlage anmacht, könnte ich konterrevolutionärerweise den Tag noch irgendwie rumbekommen.

8 Responses to “Der Rausch…”

  1. Wendy Says:

    Wie man aus so einem langen Zitat so wenig herausziehen kann, wird wohl nur verständlich, wenn der Zweck der Denunziation des Gegners schon von vornherein feststeht. Und das sage ich als jemand, der die Schlüsse des Artikels für verfehlt hält.

    Das der sich allerdings mit bürgerlichen Individuen und nicht mit Kommunisten beschäftigt, sollte nicht unter den Tisch fallen.

  2. neuronal Says:

    Na toll, jetzt habe ich während der Arbeitszeit so viele Endorphine ausgeschüttet, dass mein revolutionäres Bewußtsein empfindlich beeinträchtigt ist. Schönen Dank auch!

  3. oppa Says:

    hahaha, wendy! als wären kommunisten vom schlage mpunkts keine bürgerlichen individuen. MEHR DENN JE! (zu sehen eben an seiner vorstellung von rausch- und genussmitteln)

    ansonsten: geh mal drauf ein, was classless schrieb!

  4. classless Says:

    Anderswo schrieb ich zum Thema Rausch und bürgerliches Subjekt:

    “Nach der langen Nacht des Mittelalters steht der Frühbürger ausgenüchtert im kalten und klaren Morgen, mutmaßlich mit einem Kater. Er möchte dem kollektiven Rausch entkommen, welchen Gedankenlosigkeit und Opportunismus auszeichneten. Die zumeist als Besäufnis daherkommende gesellige Form der Berauschung steht dem protestantischen Projekt der Selbstverantwortlichkeit entgegen.

    Gern greift das Bürgertum zu Tee und Kaffee, deren Appeal in der historischen Rückschau oft in derselben Weise dargestellt wird wie zu Zeiten ihrer Erstverbreitung von den feudalen Eliten: als austrocknend, die Lebenssäfte ausdörrend. (…) Auch beharrlichst bekämpft wirkt der Rausch weiter. In der unumstrittenen Hochphase der Ausnüchterungspropaganda werden die Abstinenzprediger im England des frühen 19. Jahrhunderts auf hysterische Weise besessen von Bewußtseinstrübungen, erbarmungslos gegenüber Zeitverschwendungen und jeder Form von Hingabe an die Versuchung, getrieben von der wachsenden Verbreitung industriell gefertigten Branntweins, der in seiner sozialen Wirkung noch die schlimmsten Befürchtungen zu übertreffen scheint. (…) Die Gottesdienste selbst sind nun Schauplatz immer bizarrer werdender kollektiver Hysterien, in denen sich das Bedürfnis nach Rausch im Angesicht der sozialen Dekomposition Bahn bricht.”

  5. travis Says:

    Kommunismus ist das Opium der Enttäuschten.

  6. Gehirnschnecke Says:

    Ich hab es leider noch nie geschafft mich derart mit Drogen so zu “manipulieren”, dass mein “Realitätssinn” derart “verändert” war, dass ich lustfeindliche Askesemarxisten “überhaupt nicht mehr sehen” konnte.

    Sollte die bürgerliche Gesellschaft demnächst eine derartige “Ware Rauschgift” anbieten, scheisse, seltsame linke Splittergruppen könnten für mich total bedeutungslos werden…

  7. Cannabis Kommando Says:

    Die Quelle ist ja nun auch schon zwanzig Jahre alt, aber denselben Drogenwahn nur etwas prägnanter formuliert hat auch vor vierzig Jahren schon Bernward Vesper in seine Autobiographie geschrieben… heutzutage ist man sowas eher von Jesus-Wracks und Mohammed-Freaks gewohnt.

    Und Sherlock Holmes hat Marx nicht gelesen, der sagt nämlich: “Die Chinesen werden allerdings ebensowenig auf den Opiumgenuß verzichten wie die Deutschen auf den Tabak.”

    GSP könnte vielleicht mal was aktuelles über Susanne Bätzing schreiben…

  8. Cannabis Kommando Says:

    Link-Nachbesserung: Jesus-Wracks

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