Alice the Jabberwocky Slayer?

March 16th, 2010

High expectations: Was für ein Zusammenprall! Johnny Depp als Hutmacher und Helena Bonham Carter als die Rote Königin in Tim Burtons Expansion-Pack zu “Alice im Wunderland”, Titelrolle auch noch gespielt von Mia Wasikowska, der Chaya Dziencielsky aus “Defiance“.


Mia/Chaya übt Partisanenkampf gegen Antisemiten

Überdies mein erster Film mit 3D-Brille auf der Nase. Doch dann gibt’s neben dem einen oder anderen Augenschmaus wie etwa dem sprichwörtlichen Absturz in den Kaninchenbau vor allem Enttäuschungen. Der Plot ist nirgendwo rätselhaft oder wunderbar wie Carrolls Erzählungen und kaum etwas vom Film hat ähnliche Aussichten darauf, einmal so liebe- wie wirkungsvoll zitiert zu werden wie der Kaninchenbau in The Matrix oder der wahrnehmungsverändernde Pilz bei Jefferson Airplane. Und das war offenbar so beabsichtigt: “Burton said the original Wonderland story was always about a girl wandering around from one weird character to another and he never felt a connection emotionally, so he wanted to make it feel more like a story than a series of events.”


Das Zitat zitiert: Enterprise spaced out

Diese Erweiterung des Kindermärchens über eine Sechsjährige, die sich in der verwirrenden Welt der Wunder als “pawn in the chess game” erlebt, in eine Erzählung übers Erwachsenwerden verspricht auf den ersten Blick viel, doch bleibt es fast durchweg nur bei Ankündigungen der nun 19jährigen Alice, sich dem Erfüllen von Prophezeiungen und Rollenerwartungen zu verweigern. Es gibt einfach weniger Wunder, ohne daß Alice deshalb schlauer geworden wäre – sie läßt sich schließlich von der blauen Raupe doch dazu überreden, wie vorherbestimmt für die Weiße Königin zu kämpfen, weil sie ganz wie die Sechsjährige glaubt, die Raupe wäre nach ihrer Verpuppung tot.

Die Drogenreferenzen, im Original unbeabsichtigt oder nicht, wurden gründlicher noch als in der Disney-Zeichentrickfassung getilgt. Kein Stück Pilz verschiebt jetzt mehr die Proportionen; dafür ist aus Disneys bunten Keksen, die größer machen, ein Stück weißes Gebäck geworden und aus der verkleinernden Flüssigkeit, die nach Erdbeeren, Kirschen und Schokolade schmeckte, ein offenbar urinhaltiges Getränk.

Wer es als Trip-Metapher sehen will, bekommt dennoch durchaus hilfreiche Anleitungen, die jedoch genauso funktionieren, wenn sie sich an vom Alice-im-Wunderland-Syndrom Betroffene richten. Hier wie da ist es wohl angebracht, auftauchenden Wesenheiten keine Gewalt anzutun (Alice: “I don’t slay”), den Ausgang immer im Blick zu behalten (“I can’t stay”) und zu versuchen, aus dem Erlebten für die Welt nach dem Trip oder dem Anfall Orientierung zu gewinnen (“I got answers to give and things to do”).

Doch das mit der Gewalt ist komplizierter. Alice spielt als junge Erwachsene nun nämlich auch das revolutionäre Bürgertum, als das sie sich in der Eingangssequenz gegen aristokratische Heiratsversprechen und die Ständegesellschaft mit ihren Anstandsregeln und ihrer Doppelmoral auflehnt. Und das würde sie gern gewaltlos tun, weil es ihr angeblich wesensfremd ist zu töten.

Alice: “I don’t slay.”
The Caterpillar: “You don’t slay?”
Alice: “I couldn’t if I wanted to.”

Hier zeigt sich das historische Bürgertum schon vollständiger: als feige und unfähig, und als besessen von der Idee, selbst keiner Fliege was zuleide tun zu können, weil es für derlei ja Personal gibt. Wie es normalerweise Facharbeiter für Gewalt gibt, so gibt es im Idealfall auch Herrschaftspersonal, so daß sich gar nichts großartig ändern muß und die bürgerliche Revolution äußerlich als Austausch einer absoluten Monarchin durch eine konstitutionelle Monarchin veranstaltet werden kann.

Erstere wird im Film von der Roten Königin verkörpert, deren Herrschaft wie im bürgerlichen Bilderbuch ausschließlich auf Terror gegründet ist und die ihre Macht durch gedankenlose Willkür, besonders durch schnell entschiedene Enthauptungen (“Off with the head!”), zur Schau stellt. Um sie zu stürzen und die Weiße Königin, laut ihrer Darstellerin Anne Hathaway “a punk-rock, vegan pacifist”, zu krönen, muß das Bürgertum blöderweise selbst zur Tat schreiten. Von allein schafft es das Fußvolk nicht, und die Weiße Königin fühlt ebenfalls an den Eid gebunden, immer nur andere töten zu lassen.

In dieser Situation nimmt Bürgertum-Alice dann doch mal die prophezeite Rolle an und bricht mit der Gewaltlosigkeit. Da das feige Bürgertum sich immer noch im Rechtfertigungszwang für die Guillotine zu befinden scheint, wird das “Off with the head!” dann nicht an der Tyrannin vollstreckt, sondern an ihrer Massenvernichtungswaffe Jabberwocky, dem Monster, das sie gegen Alice in die Schlacht schickt.

The Jabberwocky from Alice Through the Looking-glass

Als der Kopf ab ist, wird die Rote Königin in die Verbannung geschickt und der Ewige Frieden ensues. Die schlechte Herrschaft war wirklich nur ein Kartenhaus und bricht zusammen. Alle Gewalt war nur Notwehr und antiroyalistischer Bürgerkrieg für die bessere Monarchie, und das Fußvolk, das sich eben noch bereitwillig fürs jeweilige Blaublut als Spielkarte (das Glücksspiel des Ancien regime) oder Schachfigur (das Logikspiel der aufgeklärten Monarchie) ins tödliche Gemetzel begeben hat, legt prompt die Waffen nieder und freut sich darüber, nun irgendwie anders beherrscht zu werden.

Zurück in der Realität, aus der sie am Anfang ausgebüchst war, gibt Alice aufgeklärte Antworten und bricht, statt den Aristokraten zu heiraten, auf, um im Handel mit China Pioniertaten zu vollbringen. Beziehungsweise jetzt wieder: vollbringen zu lassen; Alice selbst qualifiziert sich ja bereits dadurch, ein solch großes Vorhaben überhaupt ersinnen zu können; dann steht sie dekorativ auf dem Schiffsbug. Romantik und unternehmerisches Abenteuer! Für die tanzenden Tische! Ayn Rand wäre stolz auf sie gewesen…

Gar nicht schlimm und auch nicht überraschend, daß so ein Plot in diesem Film vorkommt, und auch gar nicht schlimm, daß es bunte Familienunterhaltung ist. Es ist nur so wenig bis fast gar nichts anderes als das. Und das ist angesichts der Vorlage, der Mittel und der versammelten Mitwirkenden schade.

15 Responses to “Alice the Jabberwocky Slayer?”

  1. Cyrano Says:

    Verstehe ich das richtig, dass der Plot von Alice´s Adventures in Wonderland mit der Schachthematik von Through the Looking-Glass verknüpft wurde?
    Denn eine weiße Königin kommt ja im ersten Teil ebenso wenig vor wie der Jabberwocky, der überhaupt erst in der Fernsehserie von der Ebene des Textes im Text auf die einer realen Figur überführt wurde…

    …Through the Looking-Glass ist dann ja bei Carrol trotz der scheinbar linearen Bewegung über das Schachbrett vor allem von Dualismen geprägt, deren jeweils sich ergänzenden, wenn auch bekämpfenden Seiten (Tweedle Dee and Tweedle Dumm, The Lion and the Unicorn, The Walruss and the Carpenter, Red Queen and White Queen), sinnlos, doch von der eigenen Bedeutung überzeugt, umeinander kreisen… die Krönung Alice´s am Ende ändert da auch nichts dran, sondern überführt sie wieder in die reale Welt, wo die Königinnen Alice untertan sind (als Katzen), Alice aber wiederum der elterlichen Macht Ausgeliefert, so dass das sich lossagen von der Traumwelt keinen unmittelbaren Gewinn bringt…

    … und die Verfilmung erkauft sich ihre Verfilmbarkeit durch die Transformation des nur scheinbar linearen Stoffes in widerspruchsfreie narrative, die Ansätze dialektischer Kritik, die im Moment des Träumerischen Abstandnehmens bei Carrol möglich werden, werden auf das scheindialektische, lineare Geschichtsmodell, in dem sich das Bürgertum gegen die “Gewalt” durchsetzt, heruntergedampft … interessant….

    … Insbesondere die Formulierung von der “Massenvernichtungswaffe Jabberwocky, dem Monster, das sie gegen Alice in die Schlacht schickt”, ich müsste mir den Film wohl ansehen, um zu verstehen, wie das genau in die Story passt, aber so wie ich es mir vorstelle manifstiert sich im real-Werden des Monsters, das in der Fernsehserie zumindest noch unter niemandens Kontrolle stand, eine Sehnsucht nach Krisenfreier Akkumulation einerseits, der Versuch die Krise (hier im archaischen, das dem Bürgertum noch im Wege steht), zu externalisiern, und einer exklusion des natursubstrates Andererseits. Denn im Gedicht vom Jabberwocky in Through the Looking-Glass ist der Jabberwack ja das ungreifbare bedrohliche, die Sprache, mit der er beschrieben wird, gehorcht nur formal der englischen Grammatik, und erhält Sinn durch die Tradition der Heldengeschichte, für die selbst im Land hinter dem Spiegel kein Platz mehr ist. Der Jabberwack ist ebenso innere Bedrohung wie ewige äußere Natur, der düstere Unterton der Selbstzurichtung. Ganz gut fängt das sogar die Disney Version ein, auch wenn es gern übersehen wird, hier ertönt das Gedicht während Alice sich im Wald verliert…

    … soweit erstmal ein paar locker zusammenhängende Gedanken ohne den neuen Film gesehen zu haben. Der Film, wie hier beschrieben, scheint an einem Stoff, der besser kaum gewält sein könnte, die Konstitution des bürgerlichen Bewusstseins zu spiegeln. Verdrängung des Unterbewussten (Grinsekatze, Walderfahrung, Pilz), vs. Homogenisierung des Selbst zum handlungsfähigen Subjekt. Wäre interessant ob das mit voller Absicht geschieht, oder ob von Produzenten und Zuschauern gleichermaßen nichtmehr verlangt werden kann, sich in die “Original Alice” hineinzuversetzen. Immerhin, eine typische coming-of-age Geschichte zu verfilmen ist eine Sache, Alice in eine solche zu transformieren eine andere…

  2. classless Says:

    “Verstehe ich das richtig, dass der Plot von Alice´s Adventures in Wonderland mit der Schachthematik von Through the Looking-Glass verknüpft wurde?”

    Das war ja in der Disney-Zeichentrickfassung auch schon so.

    Die Sache mit dem Jabberwocky wirkt im Film, als würde der sonstigen Charakterisierung der schlechten Herrschaft noch nicht getraut werden – es scheint noch einer Zuspitzung zu bedürfen, in der sich die Ahnungen übers Ancien regime zu einem realen Monster bündeln.

  3. bigmouth Says:

    a) halte ich interpretation bei so einem film schlicht für zeitverschwendung

    b) ist avatar als 3d-spektakel erheblich besser

  4. classless Says:

    Avatar habe ich nicht gesehen.

    Und bei mir würde wohl sehr viel Zeit draufgehen, wenn ich versuchen würde, Filme, die ich gesehen habe, nicht zu interpretieren… 😉

  5. Scrupeda Says:

    weil sie ganz wie die Sechsjährige glaubt, die Raupe wäre nach ihrer Verpuppung tot”

    Weder erinnere ich mich an diese kausale Verknüpfung, noch hatte ich den Eindruck, dass Alice das bis zum Ende der Raupenansprache nicht geschnallt hat.

  6. posiputt Says:

    @classless guck avatar, wenn du lust auf furryporn hast.

  7. spiegelschrift Says:

    Ich sah den Film weit eher noch unter dem Fokus auf die Emanzipation der bürgerlichen Frau (nach dieser Lektüre: als Folge der bürgerlichen Emanzipation) – und muss sagen, dass mich dieses Thema bei einem Disney-Film doch recht positiv überraschte.

  8. n99 Says:

    Dann vielleicht doch lieber Neco z Alenky (http://www.imdb.com/title/tt0095715/)…

  9. bigmouth Says:

    bei alice merkt man, dass 3d komplett nachträglich im rechner hinzugefügt wurde – deswegen hat da 3d immer so einen icing on the cake-effekt, wirkt aufgesetzt bis effekthascherisch. avatar dagegen ist eine cinemtographische revolution – mit der 3d-kamera mit den zwei linsen gelingt es cameron, ganz normalen bildern eine große tiefe einzuhauchen, uA durch sehr geschickten einsatz von ebenenverschiebungen, zooms, unschärfe usw – avatar ist visuell wirklich atemberaubend. alice nur ganz nett

  10. bigmouth Says:

    ehrenwort: ich schrieb das, BEVOR ich http://gizmodo.com/5493832/the-movie-studios-big-3d-scam gesehen hatte

  11. Aktionskletterer Says:

    Ist es das denn? Wenn die Mehrgenerationenfähigkeit das hervorragendste Merkmal der Branche sein soll, dann müsste es so sein dass wer mit dem Plagiat sozialisiert worden ist dadurch einen besseren Zugang zum Original erhält. Ist das so? Oder ist es nicht eher so dass die kommerzielle “Familienunterhaltung” sich dadurch auszeichnet dass ihr der überwiegende Teil des Publikums auf seinem späteren Lebensweg das Vertrauen aufkündigt, und die Branche eigentlich nur davon lebt dass immer wieder neues Publikum nachwächst welches man vergrämen kann und die Mehrgenerationenfähigkeit bloss als Etikettenschwindel pflegt?

  12. maison en cristal Says:

    Gibt es eine Möglichkeit mit Cyrano / der Sonntagsgesellschaft in Kontakt zu treten?

    Auf eurer Homepage habe ich – ohne besonders gründlich zu sein – keine Möglichkeit gefunden.

    maison en cristal.

  13. HD Schellnack Says:

    Oh, das mit dem gegen den Feudalismus aufbegehrenden Bürgertum finde ich aber schön entdeckt – vor allem mit der Auflösung, dass Alice dann als Mega-Kapitalistin nach dem Zerschlagen der feudalistischen Grenzen direkt nach China aufbricht. Die Ex-Kinderjunkie-Drogenqueen Alice dann hier als ernüchterte Superneoliberale Ayn Rand zu sehen ist ja grandios! Schöne Deutung…

  14. classless Says:

    Alice, mugged by surreality…

  15. Aktionskletterer Says:

    Carrolls Werk mit dem Chinageschäft zusammenzubringen ist nicht wirklich weit weg, wenn man Marx’ etwa zeitgleich erschienene Artikel zum Drogenkrieg in der englischsprachigen Handelspresse kennt, aber statt aus diesem Subtext heraus eine Ästhetik des Widerstands zu entwickeln, wird er hier offenbar auf dem Niveau eines Architektenromans verarbeitet. Wenn es dem Filmemacher aber nicht um die Realität des Drogenkriegs geht, sondern um die Idealisierung des Kapitalismus, wieso meint er sich damit ausgerechnet auf Carrolls Grab erleichtern zu müssen?

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