Rausch, Angst und Herrschaft

March 28th, 2012

(Crossposting Mädchenblog)

In dem Buch, das bei mir gerade entsteht, soll es um Rausch gehen, also nicht nur um dessen Auslöser (Substanzen, Handlungen), sondern um diesen Zustand, diesen Prozeß selbst, um dessen Funktion, Rolle und Veränderungspotential sowie um seine Unterdrückung und Verwaltung als wesentliche Bestandteile von Klassen- und Geschlechterherrschaft bis in die Gegenwart.

Die mit dem Rausch einhergehende Änderung von Wahrnehmung, Fühlen, Erleben wird vom beherrschten und sich selbst beherrschenden Menschen als Kontrollverlust erlebt. Wie sehr, scheint eng mit dem Ausmaß an Angst in der jeweiligen Person zusammenzuhängen, die denn auch als Angst vor Kontrollverlust in den meisten Schilderungen von Rauscherlebnissen oder Vorstellungen von unerprobten Räuschen vorkommt.

Diese Angst ist – abhängig von der realen Bedrohung – völlig berechtigt und in dieser grundsätzlich gewaltförmigen und übergriffigen Gesellschaftsordnung, in der die veränderten, berauschten Sinne als Kontrollverlust gelten, Kontrollverlust als Schwäche und Schwäche wiederum als Anlaß für Stärkedemonstration, Ausnutzung und Angriff, in fast jedem Menschen anzutreffen. Nicht nur werden solche “Anlässe” ständig übergriffig ausgenutzt, auch der Rausch selbst ist ein anderer und gefährlicherer, wenn die Angst überwiegt. Rausch kann Angst weiter verstärken und zum psychisch bedrohlichen “bad trip” werden.

Besonders ausgeprägt müßte die Angst vor Kontrollverlust bei besonders stark bedrohten Menschen in besonders gewalttätigen oder konkurrenzintensiven Lebensumständen sein; nochmal spezifisch stärker je nach dem Grad der Ohnmacht und Entwaffnung in diesen Umständen; und nochmals spezifisch stärker bei denen, für die aufgrund ihrer sozialen Rolle gerade Situationen von Vergnügen, Lust, Verbindung und Entspannung Situationen des größten Angriffs- und Übergriffsrisikos darstellen.

Dirndlverfütterung

Aus der Erfahrung mit berauschten (unzurechnungsfähigen, entgrenzten) Über- und Angreifenden und mit der vorgesehenen Rolle als berauschtem (wehrlosem, mitspielendem oder stillhaltendem) Opfer resultiert oft eine Abwendung und Ablehnung von Rausch, mit der sich jedoch das Subjekt in Angst auch die lustvollen und persönlichkeitsverändernden Möglichkeiten des Rauschs vorenthält und somit Ausschluß, den Herrschaft und Rollenzuweisung betreiben, selbst reproduziert und erweitert.

Da ich Rausch auch positiv in seinem Potential für individuelle und kollektive Veränderung fassen möchte, stehen diese Verdopplung des Ausschlusses vom Erkenntnis- und Lustpotential des Rauschs sowie Strategien zu ihrer Vermeidung/Überwindung mit im Zentrum meiner Überlegungen. Ich bin an Kommentaren, Anregungen und Kritik dazu (wie überhaupt zum Thema Rausch) sehr interessiert, auch an Literaturhinweisen innerhalb und außerhalb des Netzes.

5 Responses to “Rausch, Angst und Herrschaft”

  1. Qaumaneq Says:

    Hingabe macht verletzlich – Intimgewalt erfordert Selbstschutz:

    http://asbb.blogsport.de/2008/07/24/queering-intimate-violence-antisexistische-praxis-gegen-gewalt-im-queeren-kontext/

  2. lasterfahrerei Says:

    “Die mit dem Rausch einhergehende Änderung von Wahrnehmung, Fühlen, Erleben wird vom beherrschten und sich selbst beherrschenden Menschen als Kontrollverlust erlebt.”

    Das kann aber auch von dem Standpunkt aus gesehen werden, dass der berauschte Zustand ein vom Rausch beherrschter Zustand ist. Was er ja unbestreitlich der Dialektik nach ist. Nach deiner Logik ist das schon mehr eine wertende Richtung. Wenn du einerseits vom sich selbst beherrschten Menschen sprichst und die andere Seite der Beherrschung nicht in Betracht ziehst, baust du diese als eine mögliche Befreiung auf.

    Die Möglichkeit der Beherrschung kann wiederum ungeahnte Freiheiten freisetzen. Damit meine ich soetwas wie Beherrschung von Angst, Beherrschen der Sprache, Beherrschen des Fahradfahrens usw. usf.

    Frage: Ist die Beherrschung des Rausches eventuell nicht hilfreicher als ein Kontrollverlust?

    ps. Es gibt dann noch eine dritte Form der Erfahrung zusätzlich zu der des “mit berauschten (unzurechnungsfähigen, entgrenzten) Über- und Angreifenden und mit der vorgesehenen Rolle als berauschtem (wehrlosem, mitspielendem oder stillhaltendem) Opfer” und das ist die als Täter, die, wenn man sie selbst im berauschten Zustand erfährt, auch eine ablehnende Haltung zu Rausch bringen kann.

  3. dirk Says:

    Das Wort “Rausch” wörtlich zu nehmen, ist in meinen Augen zielführend. So wird man zum Begriff des Rauschens geführt. Rauschen – das ist der unsystematische Urgrund des Seins. Die Kontrolle aufzugeben und diesen Urgrund anzuzapfen, ist in der Tat eine Befreiung von den eigenen Zwangsläufigkeiten. Hier kann Rekreation stattfinden. Der Rausch ist anarchisch und damit nicht herrschend. Der Rausch kann gar einen nicht beherrschen, denn man ist der Rausch und Rausch ist jenseits der Begrifflichkeiten.

    Es gilt wohl im Leben eine gute Mischung aus Kausalem und Rauschendem zu erzeugen. Überbetonungen jeweils einer Seite dürften auf Dauer wenig erqicklich sein.

    Rauschmittel haben schon von daher einen Wert weil sie uns erlauben den Quell-Zustand in den Vordergrund zu rufen. Die Verteufelung derselben ist in meinen Augen tatsächlich dem gefürchteten Kontrollverlust geschuldet.

    Sedierende oder Schmerzstillende Drogen hingegen würde ich dabei gar nicht so signifikant als Rauschmittel betrachten. Sie erlauben tatsächlich eher die Flucht durch Reduktion und Abtrennung. Dadurch kann zwar schon Rausch entstehen, aber das ist dabei nicht der Punkt oder das Ziel.

    Ein gutes Rauschmittel limitiert nicht sensorische Durchsätze sondern fügt unerwartete Bifurkationspunkte in die Prozesse ein. An diesen Punkten springt das System aus der Schiene und gewinnt die nötige Sensibilität um das Rauschen abzutasten. Schmetterlingseffekt im Kopf!

  4. lalala Says:

    “für individuelle und kollektive Veränderung fassen möchte, stehen diese Verdopplung des Ausschlusses vom Erkenntnis- und Lustpotential des Rauschs sowie Strategien zu ihrer Vermeidung/Überwindung mit im Zentrum meiner Überlegungen”

    Ich vermute, Vereinzelung könnte ein wesentliches Stichwort sein. Ums anzureißen: nur wessen soziale Grundbedürfnisse einigermaßen befriedigt sind, kann in den meisten Fällen einen guten Rausch erleben.

  5. lasterfahrerei Says:

    Ich finde den Begriff Rauschmittel nicht so optimal. würde eher von substanzen sprechen die die nerven und gehirnfunktionen verändern. Das deckt mehr ab, vorallem aber auch die zustände die ohne zutun von chemie schon von alleine im körper hervorgerufen werden.

    Was soll ein Rauschender Urgrund sein? Superstition?

    Der Begriff des Rauschens: In jeder Kommunikations vermittlung gibt es immer eine einstreuung von Rauschen, zumindestens in der nicht Digitalen form. Das Rauschen kann da zu Kommunikatione Problemen führen.

    An meinem Synthesiser ist das beste Rauschen das ich kenne: White Noise, Colored Noise ( Pink, Brown etc ) gewöhnlich Taste ich das mit einem Sample & Hold ab und kann dadurch Zufallsspannungen erzeugen. Wenn es einen Urgrund gibt dann ist es der Zufall, dieser muss aufgefangen werden. Das muss aber auch beherscht werden, sonst endet alles in unsinnigen Permutationen.

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