Zu sinnlos gescheitert

June 9th, 2015

Neueste kommunistische Jugendliteratur

Ich wurde gebeten, das Büchlein “Vom Sinn des Scheiterns” von Lena Hofhansl als “Drogenroman” zu besprechen und kann dem teilweise nachkommen. Zur literarischen Besprechung fühle ich mich nicht berufen, verweise auf meine wiederholten Erklärungen, daß mich die meiste Belletristik einfach langweilt – formal zu konventionell, zu vorhersehbar, zu einfache Identifikationsangebote, zu wenig Hip Hop, zu wenig Samples, zu wenig Brüche, zu wenig Verwirrung, zu wenig Technik und Logik und Experiment und solche Sachen.

Das gilt nun leider für den vorliegenden Text ganz ähnlich, so daß ich da vielleicht manche Nuancen auch nicht wahrnehme – ob nun diese Art von Namedropping (“Jeder sollte ein bißchen Pink Floyd hören” … “So wie Eminem”), Referenzen und Posen (“Soll ich dir mal zeigen, wie das aussieht? Der perfekte Blowjob?”) besonders plump oder filigran ist, ob das Buch als Jugendroman besonders gut funktioniert oder nicht, ob die Sprache, die Inhalte und die Beziehungsprobleme zeitgemäß und aus dem Leben gegriffen sind (“Dabei ist das Alternative doch das neue Massentaugliche”), die Darstellung im Rahmen der Form gelungen oder die Form clever ausgenutzt ist, weiß ich einfach nicht zu sagen, kann ich schlecht beurteilen.


Zum Buch auf der Seite von GegenKultur

Zu dem Teil mit den Rauschmitteln kann ich mehr sagen. Zuallererst, daß der Rausch, der hier vorgestellt wird und um den’s geht, so gut wie nur aus den Drogen kommt und auch insoweit fast vollständig verdinglicht ist, daß er entweder als Betäubung oder Kompensation funktioniert, die Drogen sozusagen nur als Betäubungsmittel benutzt werden, die Logik des BtmG von der Seite der Rechtssubjekte nachgebildet wird: Ja, seht her, wir machen das wirklich bloß, um uns zu betäuben – “Wie soll man die Scheiße denn sonst aushalten?”

Das ist ja auch fraglos ein gewichtiger Teil der Sache und spielt offenbar in der geschilderten Lebenswirklichkeit eine große Rolle. Aber die Frage stellt sich, warum es dort so vollständig so aussieht, warum der Rausch dort so vollständig in seiner Warenform aufgeht: “Um unsere Gefühle ausdrücken zu können, brauchen wir fünf Longdrinks oder zwei Teile.” Und da hab ich das nächste Problem: daß das irgendwie nicht meine Welt ist und sie mir durch diesen Text auch nicht nähergebracht wird. Diese Welt von unterschiedlich sehr wohlhabenden weißen, größtenteils gesunden Deutschen in und um Stuttgart, die hauptsächlich in Stuttgart sind, über Stuttgart reden und nachdenken, mit Menschen aus Stuttgart zu tun haben und Stuttgarter Probleme haben, die vermutlich fast alle Menschen auf der Welt lieber hätten als ihre eigenen. Der sympathische Teil des Plots, die kriminellen Umverteilungsaktionen, kommen größtenteils Einrichtungen in und um Stuttgart zugute.


Trailer zum Buch

Die Perspektive, den Rausch so komplett auf Ware, Betäubung und Kompensation runterzubrechen, zeigt sich auch deutlich in der konkreten Schilderung des Drogenrauschs an verschiedenen Stellen – nirgendwo ist der Eindruck zu gewinnen, daß sich da mal mehr Gedanken drüber gemacht wurde, was da passiert in Nerven und Körper; es kommt die Idee nicht auf, es beim Rausch mit etwas Erlernbarem, Erkundbaren zu tun zu haben (bzw. bleibt das eben als “Indianer”-Sache exotiert), und an manchen Stellen liest es sich so erfahrungsfern oder minderinformiert wie bei der BzgA.

Wenn es etwa heißt, daß MDMA “langsam die Serotoninschleusen im Gehirn” öffnet, deutet das auf einen recht gedankenlosen und eben auch sehr warenförmigen Gebrauch hin – auf der Empfindungsoberfläche nachvollziehbar, aber es fehlt der ganze Teil, wie diese Substanz “über Bande” wirkt, wie die Wiederaufnahmehemmung das Gehirn auf Vorfreude schaltet, wie also die Schleusen immer noch selbst geöffnet und das Serotonin immer noch selbst ausgeschüttet werden muß usw.

Nur bei der geschilderten Bulimie blitzt mal der Rausch auf, den der Körper selbst macht und sich selbst verschafft – wenn auch vermittelt über Nahrung, Selbstbelohnung/bestrafung und Zwangsverhalten schon als abhängiger, eingeklemmter Rausch.

Zum Drogenhandel und zur Arbeitswelt im Buch: die meisten können sich (in Stuttgart) offenbar schon mindestens ein bißchen aussuchen, wie sie sich ausbeuten (und dafür ausbilden) lassen wollen, und die Protagonistin Alice funktioniert schon als besonders arm, nicht weil sie arbeitslos ist, sondern weil sie eher prekäre Scheißjobs machen und sich noch um andere Leute kümmern muß – die Entfernung vom Rest der Welt ist wie gesagt recht groß. Die Problematisierung etwa bestimmter Eintritts- und Getränkepreise ist von außerhalb (für mich) nur schwer nachzuvollziehen.

Alice hat zwei, drei gute Stellen, in denen sie die Erwartung bricht (“Ich liebe dich, Alice.” – “Du schmeckst nach Kotzesuppe.”) – das rastet aber schon über die Kürze des Textes eher zur Masche ein.

So deprimierend die Enge der erzählten Perspektive, gerade im Verhältnis zu den offenbar zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, schon ist, so ernüchternd funktionieren auch die eingestreuten GSP-Erklärpassagen, die zwar immerhin und erstaunlicherweise einmal in ein Plädoyer für Arbeitsverweigerung, Streik und Zusammenschluß münden, gerade damit aber seltsam neben der Handlung und den Personen im Buch herumstehen.

Schade insgesamt.


Lesung mit der Autorin

4 Responses to “Zu sinnlos gescheitert”

  1. Camilo Says:

    sehr spezielles Buch….

  2. classless Says:

    Die Autorin hat auf mein Posting geantwortet:

    «Antwort auf eine Rezension:

    Daniel Kulla erklärt, was „Vom Sinn des Scheiterns“ nicht ist:

    1. Es ist kein Drogenbuch

    Es ist ein coming-of-age Roman und handelt stellenweise von Drogen, weil das zum Erwachsenwerden vieler Jugendlicher dazu gehört. Mehr nicht. Kulla stört sich daran, dass der beschriebene Rausch nur aus Drogen resultiert. Ich bin mir nicht sicher, welche anderen Räusche er sich gern gewünscht hätte: Meditation? Chanten? Körpereigene „Drogen“ wie Angst, Verliebt sein? Bis auf letztgenanntes kenne ich mich da wirklich gar nicht aus und hätte es in einem Jugendroman auch eher unpassend gefunden.

    Weiter bemängelt Kulla, die beschriebenen Räusche seien „warenförmig“ oder „verdinglicht“, worunter ich mir wirklich gar nichts vorstellen kann, und was für mich eher nach leeren, von Marx geklauten Worthülsen klingt. „Warenförmig“ bedeutet beim alten Karle immerhin, dass jene Sache nur das Licht der Welt erblickt hat, um für jemand anderen nützlich zu sein. Das trifft auf die Drogen zu. „Verdinglicht“ wird dabei meine Beziehung zum Dealer – diese erscheint nicht mehr als eine Beziehung zwischen ihm und mir, sondern zwischen zwei Charaktermasken: Käuferin und Verkäufer, vermittelt über die Ware. Was genau sagt das nun über Drogen aus?!

    Kulla bemängelt weiter, dass nicht beschrieben wird, was da im Körper und mit den Nerven passiert, beim Drogenrausch. Das ist ja aber auch gar nicht Zweck des Romans.

    Einem Menschen, der sich ernsthaft für Drogen interessiert, sollte man besser nicht „Vom Sinn des Scheiterns“ in die Hand drücken, sondern ein Buch, dass es sich zum Zweck gesetzt hat, ernsthaftes über Drogen auszusagen.

    2. Es ist kein Buch über schwarze Lesben im Iran

    Kulla kritisert, dass er sich in dieser beschriebenen Welt von weißen, privilegierten Deutschen in Stuttgart, nicht wiederfindet. Wenn man findet, dass Geschichten über weiße Menschen in Stuttgart trivial sind, sollte man diesen Roman besser auch nicht lesen.

    Da ein Autor über das schreibt, was er kennt, habe ich als jemand der in Stuttgart wohnt über Stuttgart geschrieben. Wer schon einmal versucht hat, eine Geschichte ins Vierzehnte Jahrhundert oder nach Teheran zu verlegen, obwohl man nie dort war, weiß, wie viel Arbeit allein die Recherche beansprucht, damit aus der Geschichte eine wirklich runde Sache wird und dem Autor selbst Menschen aus Teheran abnehmen, er wüsste genau wovon er rede.

    Dazu fühle ich mich nicht berufen, das sollen die Menschen machen, die einen Bezug zu diesen Orten haben.

    3. Es ist kein Buch über die größte Scheiße

    „Die Problematisierung etwa bestimmter Eintritts- und Getränkepreise ist von außerhalb (für mich) nur schwer nachzuvollziehen.“

    Kennt man auf dem Planeten Kulla nicht die traurige Situation, schon ab der Mitte des Monats kein Geld mehr zu haben für den coolen Club, sondern nur noch für die Eckkneipe „Zur Taube“, um dann am Ende des Monats bei Dosenbier auf der Parkbank zu frieren, wenn es nicht gerade Sommer ist?

    „Zum Drogenhandel und zur Arbeitswelt im Buch: die meisten können sich (in Stuttgart) offenbar schon mindestens ein bißchen aussuchen, wie sie sich ausbeuten (und dafür ausbilden) lassen wollen, und die Protagonistin Alice funktioniert schon als besonders arm, nicht weil sie arbeitslos ist, sondern weil sie eher prekäre Scheißjobs machen und sich noch um andere Leute kümmern muß – die Entfernung vom Rest der Welt ist wie gesagt recht groß.“

    Klar, es geht immer schlimmer: Schlimmer als ein prekärer Job ist vielleicht die Arbeitslosigkeit – wer mag sich da schon entscheiden? Schlimmer als die Bulimie von Alice wäre wohl ausgeprägtes Borderline. Schlimmer als eine Jugend im kapitalistischen Stuttgart wäre wohl eine Jugend in den französischen Vorstädten. Aber was ist damit eigentlich über den Inhalt des Buches ausgesagt, wenn an ihm nur festgehalten wird, dass es schlimmer sein könnte? Macht das die Beschädigung von Alice weg, dass es sie noch übler erwischen könnte? Es ist die Logik der Rechtfertigung jedes Drecks, dass es noch schlimmer sein könnte. Wohl war, es könnte aber auch alles besser sein!

    Und warum es das nicht ist, auch darum bemüht sich das Buch an ein paar Stellen.
    Hier hat Kulla Recht, die „Erklärpassagen“ stehen noch „seltsam neben der Handlung“ – das wird besser im nächsten Roman. Seltsam wieder ist sein „immerhin und erstaunlicherweise [!]“ als er „ein Plädoyer für Arbeitsverweigerung, Streik und Zusammenschluß“ in den politischen Analysen entdeckt. Als ob GEGEN_KULTUR als politisches Projekt – oder der Gegenstandpunkt, als dessen Leserinnen wir identifiziert werden – ein Projekt wäre, dass zum kollektiven Defätismus aufruft.

    Schade insgesamt.»

    Dazu noch ein paar Bemerkungen von mir:

    zu 1.) Die Anfrage lautete im Ganzen: “Magst du unseren Drogen-Roman rezensieren?” Deshalb steht für mich im Zentrum, wie eng Rausch hier gefaßt ist, wie sehr er auf Drogen reduziert ist, was tatsächlich sehr viel damit zu tun hat, daß er in der Gegenwart vor allem in seiner Warenform behandelt wird. (Eine ganz kurze Zusammenfassung meines Rauschbegriffs findet sich hier unter “Mehr so Erklärteil”)

    zu 2.) Es bleibt für mich erstaunlich, wie abgeschlossen und selbstbezogen die geschilderte Welt ist.

    und zu 3.) Ich kann die Maßstäbe einfach nicht beurteilen (was ich ja auch recht deutlich vorausgeschickt habe) – ich konnte mir die meisten Clubs und Getränke meistens nicht leisten und das ging sehr vielen anderen um mich herum immer ähnlich.

    Naja, und das “erstaunlicherweise” hat damit zu tun, wie Diskussionen mit GSP-beeinflußten Menschen über die Jahre und bis in die jüngste Vergangenheit immer aussahen – der Zusammenhang von Klassenkampf und Revolution war da eigentlich immer eine riesengroße Leerstelle bzw. da gingen unsere Auffassungen sehr weit auseinander. (Dazu vielleicht die erste Hälfte hiervon, falls Interesse: 2014 wie 2015 – neue alte Lieder)

    Nu ja!

  3. Andreas Says:

    Ich finde das ja schlechten Stil, auf ne (in meinen Augen faire, aber auch unabhängig davon) Rezension mit so einem Kommentar zu kontern. Das wirkt einfach unsouverän und kindisch.

  4. classless Says:

    Naja – man könnte das auch Debatte nennen…

    (vgl. Meine Antwort auf die erste “Sin Patrón”-Besprechung)

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