Bei Bilderbergers unterm Sofa – Entschwörung unterwegs, Teil 2

July 12th, 2006

Wie berichtet, verfolgten mich Verschwörungstheorien und deutscher Wahn bis nach Portugal. In Spanien begegnete mir bei der Erwähnung von Atocha die gleiche Indifferenz wie bei jedem anderen Thema. Zwar hatten sich die politischen Rivalen in Zeitnähe zum Ereignis gegenseitig mit dem Vorwurf der Verschwörung belegt, das schien aber eher dazu gedient zu haben, den Verdacht von sich abzulenken, was wohl beiden Fraktionen ganz gut gelang. Jetzt scheint jedem Spanier klar zu sein, daß Aznar ein Mörder und außerdem ein Hurensohn ist, beziehungsweise im Massenbewußtsein war. Dazu bedarf es keiner besonderen Verschwörungstheorie, es genügt vollauf der Common Sense, Spanien wäre bis zu seiner glorreichen Wahl ein Vasall Amerikas gewesen und nun endlich auf den Weg nach Kerneuropa umgeschwenkt. Sogar der Papst kommt jetzt von dort zu Besuch nach Valencia.


In England lag der Fall dann komplizierter. Die gleiche Bekannte, die mir das schon heiß ersehnte “Them. Adventures with Extremists” von Jon Ronson auslieh, meinte bezüglich meiner Beurteilung von Atocha und 7/7, das entspräche dem, “what they try to make you believe.” Der gleiche alte Hippie, der London für seine Internationalität lobte und seit jeher von der Verkommenheit und Überflüssigkeit von Regierungen überzeugt war, zeigte ein unstillbares Entsetzen über die von diversen 9/11-DVDs behauptete Möglichkeit, die amerikanische Regierung könnte vielleicht lügen. Der alte Gelehrte, der die Freizügigkeit der Gegenwart bewarb, sprach im nächsten Atemzug davon, daß dies eben die letzten Tage von Babylon wären.

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Der Guardian, Hausblatt des britischen Bauchlinken, bot Mark Honigsbaum eine Woche vorm 7/7-Jahrestag die Möglichkeit, seine Verwendung durch Verschwörungstheoretiker zu thematisieren. Er hatte unmittelbar nach der Explosion an der Edgware Road eine Zeugenaussage zitiert, nach der sich der Boden des Zuges gehoben hatte. Schon kurz darauf war durch andere Zeugen, die näher an der Explosionsstelle gewesen waren, klargeworden, daß die Bombe im Zug und nicht darunter hochgegangen war. Das Audio seines Livebeitrags kursierte jedoch bereits im Internet und triggerte später Postings wie “Did July 7 bombs explode under trains?” oder auch gleich “How Black Ops staged the London bombings”. Just benutzte der bekannte Sprengstoffexperte Jürgen Elsässer dieselbe Kolportage für seine kritische Reportage für die Physiker- und Chemikerfachpresse, was dann gleich von Mathias Bröckers in seinem Weblog weiter kolportiert wurde.

Ich las also den großartigen Jon Ronson, der bei seiner teilnehmenden Bobachtung unter Extremisten aller Couleur immer wieder auf die Vorstellung einer geheimen Weltregierung gestoßen war und sich daher auf die Suche nach ihr begeben hatte. Als er tatsächlich auf die Bilderberger stößt und mit einem ihrer Mitbegründer redet, stellt er fest, daß sie eben wirklich wichtige Dinge zu besprechen haben und nicht wollen, daß ständig Antisemiten vorbeischauen und stören.

“To say we were striving for a one-world government is exaggerated, but not wholly unfair. Those of us in Bilderberg felt we couldn’t go on forever fighting one another for nothing and killing people and rendering millions homeless. So we felt that a single community throughout the world would be a good thing… That isn’t a conspiracy! That is the world. It is the way things are done. And quite rightly so… But I will tell you this. If extremists and leaders of militant groups believe that Bilderberg is out to do them down, then they’re right. We are. We are against Islamic fundamentalism, for instance, because it’s against democracy.”
“Isn’t Bilderberg’s secrecy against democracy, too?” I asked.
“We aren’t secret,” he snapped. “We’re private…”

(Bilderberg Chapter)

Ronson beschreibt den irgendwie desillusionierenden Effekt, den diese banale Begegnung mit der angeblich sinistren Weltverschwörung für ihn hatte: “At times, I become nostalgic for when I knew nothing. There are so few mysteries left, and here I am, I presume, relegating Bilderberg to the dingy world of the known.”

Dann stellt er fest, daß die Art, wie die Islamisten und Neonazis und Verschwörungstheoretiker über westlichen, kosmpolitischen Liberalismus als eine Art Glaubenssystem reden, ihm wenigstens daß Gefühl geben würde, er hätte eins. Nur um gleich darauf zu erfahren, daß auch die Bilderberger und die Teilnehmer des als satanisches Ritual verschrienen Promi-Freakouts im kalifornischen Bohemian Grove die über sie verbreiteten Verschwörungstheorien durchaus genießen, da sie ihnen das Gefühl geben, wirklich noch die Kontrolle zu haben. Denn, so sagt einer von ihnen, “keiner regiert die Welt. Die Märkte regieren die Welt.”

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Nicht sehr überraschend, daß Ronson von Hardcore-Verschwörungstheoretikern als “einer von ihnen” angesehen wird. Unter dem Telepolis-Artikel zum Buch finden sich etwa folgende Kommentare:

“Jesus war der erste Verschwörungstheoretiker und wurde von den J…. auch schwupps gekreuzigt. 2000 Jahre Judenverfolgung sprechen für sich – und sie machen so weiter, prost shalom!!!
Heil Jahwe”

(Surfcheng, ergänzt um die Empfehlung des Buches von Armin Risi: “Machtwechsel auf der Erde, Der multidimensionale Kosmos, Band 3, Die Pläne der Mächtigen, globale Entscheidungen und die Wendezeit”)

“Vielmehr werden da wohl eher Themen durchgesprochen, wie sich eine Unterjochung des arbeitenden Volkes mit dem geringst möglichen Widerstand durchsetzen lässt.”
(arthur dee)

“Nahezu alle Tollheiten, die zu unser gegenwärtigen globalen Krise (sei es wirtschaftlicher, sozialer oder politischer Natur) geführt haben, wurden bei solchen Treffen in Geheim-Zirkeln ausgedacht…. (Es gibt nicht nur Bilderberger!)”
(sensortimecom)

Schöner ist da ein Interview, das CNN mit Ronson führte und das folgendermaßen endete:

J.R.: „Ich denke, die Geheimnistuerei der Bilderberger geht insbesondere auf Henry Kissinger zurück, einem der Gründungsmitglieder der Bilderberger, der, ich denke auf eine recht dumme Weise, die Idee liebt, so eine geheimnisvolle Schattenfigur zu sein. Es ist wirklich dumm, in der Tat. Einige Mitglieder, zum Beispiel Lord Owen…“

CNN: „Der frühere britische Außenminister und Führer der Social Democratic Party.“

J.R.: „Ja, also er sagte mir, er würde sich wünschen, die Bilderberger würden diese Geheimhaltung aufgeben, denn sie gibt Anlaß für immense Verschwörungstheorien.“

(http://myblog.de/classless/art/3977383)

One Response to “Bei Bilderbergers unterm Sofa – Entschwörung unterwegs, Teil 2”

  1. classless Kulla » Blog Archive » Wem nützt welche Verschwörungstheorie? Says:

    […] versuchten und versuchen, zur Rettung des jeweiligen Selbstbildes ihren Anteil an der Geschichte zu übertönen: die Konservativen ihr dilettantisches Manöver, die Wahl durch die Beschuldigung der ETA zu […]

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