Geschichte und Verschwörung

April 14th, 2007

Alle drehen an der Uhr.

(Thesen zu meinem Vortrag am Sonntag, 15.4.07, 18 Uhr im Neuen Geschichtssalon zu Berlin, Sahara City, Ottostr. 19.)

Mit der für die Verschwörungstheorie typischen Frage nach dem “Cui bono?” lassen sich positiv gefaßt sowohl für die Gegenwart als auch für die Vergangenheit Verdachtsmomente formulieren. So wie in der Kriminalistik hilft die Suche nach dem Motiv nur beim Umreißen des Verdächtigenkreises, die vermutete Tat muß immer noch nachgewiesen werden. Was auch bedeutet, daß mit Verdächtigen nicht wie mit Schuldigen umgegangen werden sollte. Die Gleichsetzung von Verdacht mit Schuld ist aus der Praxis des NKWD, des irakischen “Apparats der Sehnsucht”, aber auch aus der Sensationspresse oder aus deutschen Abschiebeverfahren bekannt – sie markiert den Übergang von der offenen Fragestellung und sachlichen Beweisführung zur politisch-ideologisch motivierten Vorverurteilung.

Gerade der Nachweis, der sich bei komplexen Vorgängen schon in der Gegenwart als schwierig entpuppen kann, stellt uns in bezug auf die Vergangenheit vor enorme Probleme. Die Kriterien, nach denen wir die Stichhaltigkeit historischer Beweise beurteilen, können gerade in Anbetracht der immensen Fälschungstätigkeit der Renaissance immer wieder an bereits “gestrickten” Vorbildern gewonnen worden sein. Wir halten dann eine Information für falsch, weil sie in einem anderen gefälschten oder einfach falsch tradierten Dokument anders lautete. Ähnliches gilt für die Bildung von Verdachtsmomenten aus Wahrscheinlichkeiten, die zu Unmöglichkeiten ausgedeutet werden. Die Zahl der Kämpfer im Perserheer, die uns “Herodot” nennt, mag unwahrscheinlich groß sein, unmöglich ist sie nicht. “Seine” Darstellung des gesamten Konflikts mag eine gigantische Indiziensammlung gegen seine Version der Geschichte sein, doch diese Indizien widerlegen “ihn” noch nicht. Das schafft erst die Kritik der Tradierung und die Auswertung eines chronologisch und quellenkritisch bereinigten Bestands an historischen Belegen.

Das Argument, ein bestimmtes Ereignis sei unwahrscheinlich, ebnet nicht zuletzt all das ein, was eben überraschend, zufällig, banal, unfaßbar und schrecklich, kurz: kontingent ist. Wenn wir uns nicht vorstellen können, daß der industrielle Massenmord an den Juden vollzogen wurde, heißt das nichts in bezug auf dessen Realität. Die Herausforderung einer kritischen Geschichtsbetrachtung besteht gerade darin, solche aktenkundigen Singularitäten auszuhalten und sie nicht im Dienste einer bestimmten Geschichtsphilosophie auszubügeln. Wir könnten uns fragen: Wozu sollte die chinesische Regierung Hekatomben von Menschen verhungern lassen? Was hätte ihr das genützt? Wäre ein solcher Wahnsinn vorstellbar? Und dabei müßten wir unsere Vorstellungskraft nur an Verbrechen schulen, die in jüngster Vergangenheit wohldokumentiert stattgefunden haben, etwa im Sudan.

Im Kopf behalten sollten wir, daß der wechselseitige Vorwurf sowohl der Geschichtsfälschung als auch der Verschwörung, oft von beidem in Kombination, zum Repertoire der Geschichtsproduzenten gehörte und gehört. Die germanisierenden Geschichtsschöpfer warfen es den Jesuiten vor und diese wiederum ihnen. Die historisch-materialistischen Geschichtsmechaniker warfen es den bürgerlichen “Miethirnen” vor und die bürgerlichen Historiker den Marxisten. Noch im Februar 2002 rief Yassir Arafat aus: “Das palästinensische Volk verteidigt die heilige Erde und die heiligen Stätten des Christentums und des Islam gegen die Juden, die den Verlauf der Geschichte ändern wollen.”

Insgesamt erscheint die Annahme einer Verschwörung von der Geschichtsschreibung geradezu provoziert zu werden. Denn es gehörte meist zum Modus der Geschichtsschreibung, gesellschaftliche Prozesse und komplexe Ereignisse als Taten Einzelner oder kleiner Gruppen auszugeben. Die Verschwörungstheorie nimmt also die klassischen spätmittelalterlichen Geschichtsvorstellungen nur beim Wort.

Später wandelten sich die impliziten Deutungen des Geschichtsbildes, als im Zuge aufkommender Nationalismen entsprechende nationale Geschichtsschreibungen die meisten historischen Superlative und Errungenschaften fürs je eigene Volk zu reklamieren versuchten. Gleichzeitig erging der Vorwurf an alle anderen, die Geschichte zu fälschen, da die eigene Bedeutung in ihr nicht angemessen zum Ausdruck kam.

Versuchen wir es aufzudröseln: Die Formulierung von Verdachtsmomenten verschafft uns Startpunkte für eine Recherche, die Geschichtsproduktion nachweisen kann. Genau in dieser Funktion, nicht aber als vermeintlich bereits gültiger Beweis, ist auch das wildeste Spekulieren von Nutzen. Der Vorwurf der Verschwörungstheorie läßt sich also aushalten, und ihm läßt sich mit der Frage begegnen, ob denn jemand naiv genug sein kann, Verschwörungen auszuschließen. Verschwörungstheorie als Mittel der Verdächtigung ist also zu begrüßen.

Der ideologische Vorwurf der Verschwörung wie auch der Geschichtsfälschung entspringt fast immer dem Versuch, das je eigene Geschichtsbild zu retten. Die beste Versicherung dagegen ist also logischerweise, sich von solchen Lieblingsgeschichten zu lösen und sämtliche Aussagen über die Vergangenheit als wissenschaftliche Modelle zu behandeln. Jeglicher Verschwörungsideologie zur Rettung von Geschichte ist entgegenzutreten.

2 Responses to “Geschichte und Verschwörung”

  1. Nemesis Says:

    Was hälst du eigentlich von der Beschäftigung mit Alternativ-Geschichte? Das wird zwar im literarischen Bereich betrieben, man erinnere an “Vaterland” oder K.Dick’s “Orakel vom Berge”, aber soweit ich sehe gibt es sogar Wissenschaftler die sich damit beschäftigen.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Kontrafaktische_Geschichte

  2. classless Says:

    Als Szenarien sind solche Sachen lustig, schon deshalb spiele ich ja so gern Civilization und Europa Universalis. Aber für sich genommen ist das noch keine Geschichtskritik.

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