Geheimgesellschaften und ihr Milieu

October 13th, 2007

Gastbeitrag von godforgivesbigots.

Metapolitik verhält sich zur Politik wie die Fata Morgana zur Wüste: In den unerschlossenen Grenzbereichen, wo der rationalistische Mythos ins semiotische Niemandsland übergeht, wird unter Umständen die Erzählung über die Politik selbst zum politischen Akt. Wenn die Zeit nicht ausreicht um ein Gerücht zu prüfen, kann es seine eigentliche Fernwirkung entfalten. Die Metapolitik geht damit um, indem sie den Blick von einer gegebenen politischen Situation abwendet und ihn stattdessen auf die Bedingungen richtet, unter denen sie vorkommen kann.

Für die Entschwörung heißt das: Anstatt zu untersuchen welche Geheimgesellschaften möglicherweise existieren und die Gegenwart nach Anzeichen intentionsgeleiteter Hintergrundaktivität abzusuchen, nimmt sie die Voraussetzungen in den Blick, unter denen dieses Phänomen zum Tragen kommen kann.

Das vielleicht spannendste Dilemma der Verschwörungstheorie ist, daß sie an einer Allmachtsphantasie aufgehängt sein muß: Die Stauffenberg-Verschwörung beispielsweise verfügte über die Chance zum offenen Tyrannenmord, doch da ein solcher keine Allmacht erfordert, sondern bloß eine gute Gelegenheit, interessiert sich die Verschwörungstheorie nicht für den Fall. Wenn man sich verschwört, muß man schon mindestens dazu in der Lage sein, einen Überraschungsangriff auf eine sogenannte Supermacht vorzugaukeln, um das Interesse der Verschwörungstheoretiker zu wecken. Die Verschwörungstheorie benötigt nicht nur die Annahme einer Verschwörung, sondern auch eine Allmachtsphantasie, mit der diese assoziiert werden kann.

Die Vorstellung der Allmacht der Verschwörer ist für den Verschwörungstheoretiker ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite ermöglicht sie es ihm, sein Selbstbild zu verankern: Je mächtiger die angenommene Verschwörung, umso mehr ist seine Opposition dagegen ins Recht gesetzt. Andererseits führt sie ihn damit in eine ontologische Sackgasse: Mit dem Erfolg seiner Opposition entfällt besagter Fixpunkt, und sein Selbstbild unterliegt der spontanen Drift im freien Spiel der Kräfte. Dabei ist die Vorstellung der Allmacht kulturgeschichtlich eine sehr alte Konstruktion: Die prähistorischen Gesellschaften institutionalisierten sie in Totems, erst in der Moderne ist sie zum Gegenstand der privaten Phantasie geworden.

In einem Ausstellungseröffnungsvortrag im Völkerkundemuseum Freiburg befaßte sich Ed Bryant mit Geheimgesellschaften in der Gesellschaftsordnung der Tshimshian-Indianer von der amerikanischen Nordwestküste und präsentierte die zeremonielle Hymne einer historischen Geheimgesellschaft (mp3, 27:40):

>>„I´ve studied this a few years ago and I´ve taken one song called the newsmen [sp?] song. It belonged to a secret society from Laguerre [sp?]. It used it exclusively during its ceremonies, I want to reintroduce it to the people again. That is a really strong song, the older Lady who was singing had a really powerful voice, I thought it was very unique. [Ü:] … das ist ein Song der ist ziemlich powerful, also ein mächtiges Lied, das von der Secret Society, von einer geheimen Gesellschaft der Nordwestküste, das ist also die in einem besonders für spirituelle Zwecke eingesetzt wurden und eben der eine ungeheure Wirkung auch hat. – I´ll tell you what it means after I finish singing it. [Ü:] Er erzählt uns danach was der Song bedeutet.“

(Es folgt die Gesangsdarbietung.)

„So what this Lady was singing about when these people were dancing around like this was: Come in, look around in the house, see what I have here, because after you see what I have you´re going to eat with me. And what it meant what they would eat was flesh of a dog. [Ü:] Der Song bedeutet wenn die Leute hereinkommen dann heißt es schaut euch um in dem Haus was ich hier zu essen habe, und das was ich halt zu essen habe das war Fleisch vom Hund. – Because only the people who were initiated into this society, this newsmen [sp?] society, were able to eat like this. [Ü:] Nur die Angehörigen dieser Gesellschaft waren fähig eben dieses Fleisch zu essen und niemand anders. – When others who weren’t initiated into this society tried to eat this they would die, so only these… certain societies were brought in. [Ü:] Andere Leute wenn davon gegessen hätten die wären sofort gestorben, so daß eben nur Leute die diesem Bund angehörten das essen konnten. – There´s lot of complex secret society… other avenues with access and what they call… because they had supernatural birds and supernatural beings, both from the air and from the Earth. [Ü:] Diese Gesellschaften hatten besondere Fähigkeiten, da spielen auch die Kräfte von übernatürlichen Vögeln mit rein, oder von übernatürlichen Lebewesen die auch auf der Erde lebten. – So all these tribes from the South introduced these certain societies to the Tsimshian people and Haida, coming in with these stupid initiations to these groups that make certain teams a higher standing than other ones so that nobody could touch them. [Ü:] Das war ein hierarchisches System bei den verschiedenen Gruppen, den Tsimshian und bei den Haida, und nur bestimmte Personen konnten eben in diese Bünde eintreten – und ja. [Gelächter im Publikum 33:49] – Then it came to a thing where we had special artists who were allowed to carve these things, called bitsom [sp?]. [Ü:] Und in diesen Bünden gab es dann spezielle Künstler, die Bitsom heißen in der Sprache der Tshimshian, nur denen war erlaubt Gegenstände, also solche Embleme, in denen diese übernatürlichen Wesen dargestellt werden, zu schnitzen, anderen war es nicht erlaubt. – Such things like puppets, manipulating people’s heads looking like if they chopped the head of somebody, and blood would come of grizzly bears, attacking people and slaying them, all at dark in the night, it was only done theatralically. People were only terrified by this, people were getting killed, they’re dying, knives and stabbing people, like what you see in theatre nowadays. We used all this earlier. [Ü:] Was man heutzutage im Theater sieht, dass Leute geköpft werden und das Blut rausspritzt usw., solche Sachen haben sie sind auch theatralisch bei diesen Bünden eben abends bei ihren Theater – in Anführungszeichen – Aufführungen eben so aufgeführt worden.“

Der Widerspruch könnte kaum eklatanter sein: Das Milieu der Verschwörungstheorie ist die Informationsgesellschaft, das Milieu der Verschwörung hingegen der Stammesverband. Die historische Zwischenform, der Feudalismus, ist die durch ihr Heraustreten aus der Geheimhaltung geadelte Verschwörung, die sich nur noch als erklärte Aristokratie den kapitalistischen Sachzwängen gegenüber behaupten konnte. All diese Gesellschaftsordnungen haben wenn nicht bis heute, so doch bis gestern auf der Erde nebeneinander existiert, so daß der Triumphzug der Verschwörungstheorie im zwanzigsten Jahrhundert von Adolf Stöcker bis Ayatollah Khomeini als eine Folge der in ihrer Begegnung entstandenen Konfusion gedeutet werden kann.

So auch die Ausstellung des Freiburger Völkerkundemuseums, die natürlich nicht ohne das obligatorische antiamerikanische Quotenexponat auskommt: Die Schaufensterpuppe, die in der Vitrine die Insignien des American Indian Movement präsentiert, trägt auch ein T-Shirt, das sich ausdrücklich an Bush und Cheney abarbeitet. Also fragte ich Ed Bryant bei der Souvenirausgabe was er über Leonard Peltier denkt, das 1976 in Kanada festgenommene und an die USA ausgelieferte Aushängeschild dieser Bewegung (mp3).

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