In Elsässer denkt’s weiter: Ohne Verein machen sie dich ein

October 14th, 2009

>>Die freundlichsten, höflichsten Leute in Berlin sind die Türken, vielleicht nicht alle, aber zumindest wenn man in türkische Geschäfte geht. Aber der normale Berliner, die typische Berliner Schnauze macht einfach alles nieder, im Mund ist ein Maschinengewehr. Und diese vorgefundene ruppige Mentalität, die schon immer da war, kommt jetzt in den massenpsychologischen Sog der neuen Weltordnung. Und dieser Sog ist die Hyper-Individualisierung. Partyhauptstadt des Kontinents. In Berlin wird ja nicht mehr gearbeitet. In Berlin gibt’s keine Industrie mehr. Die Haupteinnahmequelle von Berlin ist die Partyindustrie. Das heisst, über Easy-Jet und ähnliche Vereinigungen fliegt die vergnügungssüchtige Jugend aus Spanien oder auch aus Griechenland für eine Nacht oder ein Wochenende nach Berlin ein und feiert durch die Clubs durch und hinterlässt eine Spur der Verwüstung in der Stadt. Das ist eine der Haupteinnahmequellen von Berlin.

Die ganze Ideologie, die die Stadt prägt, ist die Fetischisierung des entfesselten Individuums. Dagegen wird jede Form von Kollektivität oder Mitmenschlichkeit der Verachtung preisgegeben. Es beginnt bei der Familie. Familie ist eine Zwangsanstalt, Familie ist «out». Familie ist die Keimzelle des Faschismus. Es geht weiter über die Vereine, die Schützenvereine, da wird der Amoklauf ausgebrütet. Stammtische sind sowieso faschistoide Männerbündeleien. Die Kirche und die Religion: ganz schlimm, natürlich Hexenverfolgung, Inquisition, das weiss man ja. Und Nation oder Volk? Da gilt: Nation, Nationalismus, Faschismus, das ist eine Gleichung, die kann auch der Pisa-Gebildete in Berlin schnell aufzählen.

Alle diese Formen von Kollektivität werden verächtlich gemacht oder unter Faschismusverdacht gestellt. Auf dieser Folie erstrahlt dann das Individuum, das sich in jeder Form selbst verwirklichen muss. Der Fluchtpunkt dieser Entwicklung ist, dass der Einzelne als Atom isoliert dem totalen Markt gegenübersteht. Weil alle Formen von Vergesellschaftung oder von Vergemeinschaftung kaputt sind. Und als Partner des isolierten Individuums bleibt nur noch der Computer, das Internet. Von dort beziehst du Unterhaltung, von dort beziehst du Sexualität, von dort beziehst du Information. Und auf der andern Seite des Bildschirms ist Big Brother und gibt dir alles, was du brauchst.<< Jürgen Elsässer: Nicht wie Sarrazin (komplett bei Zeit-Fragen: Mensch oder Sklave, Republik oder Imperium?)

12 Responses to “In Elsässer denkt’s weiter: Ohne Verein machen sie dich ein”

  1. David Says:

    Hmm, so unrecht hat Elsässer hier gar nicht.

  2. » hedonisten-rückführung jetzt! | kotzboy.com Says:

    […] elsässer via kulla: “… über Easy-Jet und ähnliche Vereinigungen fliegt die vergnügungssüchtige Jugend […]

  3. Gehirnschnecke Says:

    Hat Elsässer noch keiner verklickert, dass sein neu (?) entdeckter konservativer Scheissdreck (Familie, Schützenverein, Vaterland) bisher auch nichts gegen die “Isolierung des Individuums” gebracht haben?

  4. Gehirnschnecke Says:

    @ David

    Als ich noch in einer Familie steckte und in diversen “Vereinen” tätig war, kam ich mir vereinzelter vor als heute alleine vor dem Bildschirm. Glaubst Du ernsthaft, dass Volk, Nation und Schützenverein “dem totalen Markt” irgendwie mehr entgegenzusetzen haben als Hedonisten auf einer Party?

  5. Tom Fancy Says:

    Na, der sollte sich mal die in die Jahre gekommenen Feier- und Randalespezielist_innen ansehen. Die sitzen doch alle mit Anfang dreißig im Familienlifestyle mit Kind, Kegel, Biosiegel und musikalischer Früherziehung für Einjährige. Deutschlands Kinderreichste Strasse (vom Anteil der Kinder zu den Einwohnern aus berechnet) liegt in Potsdam. Die Ossietzkystrasse. Das sind alles alte Party- und/oder Hausbesetzerhäs_innen aus den alten “In”Bezirken Berlins.
    (ich weis, man kann und darf nicht verallgemeinern, aber ich tu es trotzdem)

  6. Cyrano Says:

    Es beeindruckt mich noch immer (obwohl hier vielleicht fast verdammenswerter restidealismus aus mir spricht), wie Elsässer den turn vom durchaus aufgeklärten “Antideutschen”, zumindest aber von einem, der nicht mehr scheiße gelabert hat als der Szenedurchschnitt, hin zur mittlerweile ganz offen propagierten negativen aufhebung des Kapitalverhältnisses so reibungslos hinbekommen hat. Denn um ideologie im eigendlichen Sinne (als notwendig falsches Bewusstsein), scheint es sich kaum zu handeln, vielmehr wirkt der Wechsel zu dem was Elsässer heute “denkt” (in Bezug gesetzt zu dem was er vor 20 Jahren “dachte”), strategisch motiviert, auf Anschlussfähigkeit ausgerichtet. Was wiederum die Motivation hinter Elsässer früheren texten zumindest fragwürdig erscheinen lässt. Er selbst versucht ja noch immer eine logische Kontinuität herzustellen, wo vielleicht die einzige Kontinuität Bewegungsbindung ist (denn Ende der 80er, Anfang der neunziger ließen sich ja zumindest noch ein paar Leute hinter Bannern mobilisieren, die unter dem liefen, was damals als “antideutsch” galt (Das war dann auch noch nicht so “theorieüberfrachtet”, und ging zumindest in der Breite gegen einen klatren Feind, den man mit größen wie Wahl-Ross Günter Grass teilte). Es bleibt aber trotzdem die Frage: Kleingarten? Fußballverein? Großfamilie? Warum dann überhaupt sich als Widerstand gerieren? Achja! Weil das in Deutschland, und längst nicht nur dort, längst jeder macht. Vielleicht kann der volks-gemeinschaftsnahe Elsässer mir folgende Frage beantworten (brennt mir schon lange auf der Zunge), wenn wir alle Widerstand sind: Sitzen wir dann im selben Boot (das auch nach Elsässer implizit, denke ich, voll ist), oder kämpfen wir “alle gegen Alle”. Und ist dann nicht Jürgen E., mit dem wir alle Widerstand sind, schuld an der “Hyper-Individualisierung”…? Fragen über Fragen… vielleicht ist der Elsässer die Aufregung dann doch nicht wert.

    P.S.: Der letzte Satz gilt auch und vor allem, weil es sich einige Leute nur zu leicht machen, und in der Person Elsässers, der nun “Nazi” sei, Gedankengut exorzieren, dass so ähnliche auch im “alternativen Spektrum” seine Kreise zieht.

    Cyrano

  7. Aktionskletterer Says:

    Eine freie Assoziation eigenverantwortlicher Individuen welche nach denselben Sicherheitsstandards arbeiten bietet einfach mehr Möglichkeiten als so ein hierarchischer Verein, mehr Selbstbestimmung und weniger Bürokratie beispielsweise. Aber es kommt natürlich auch immer darauf an in welcher Verfassung mensch einsteigt.

  8. knecht Says:

    “ich schätze menschen mehr als grundsätze, und menschen ohne grundsätze, schätze ich über alles.” oskar wilde

  9. lasterfahrerei Says:

    »…feiert durch die Clubs durch und hinterlässt eine Spur der Verwüstung in der Stadt. Das ist eine der Haupteinnahmequellen von Berlin.«
    hab ich auch letztens miterlebt. der hbf war total neutralisiert. die berliner leben anscheinend immer noch vom wiederuafbau, leergut einsammeln und girlanden recyclen.

    »…Fetischisierung des entfesselten Individuums.«
    wer will schon ernsthaft eine entfesselte kommune, welche auf massen psychose basiert.

    »Und als Partner des isolierten Individuums bleibt nur noch der Computer, das Internet.«
    genau! diese mysteriöse maschine die ständig bilder, töne und texte produziert. woher kommen die? das sind bestimmt keine menschen sondern – eben das internet. mir waren schon bücher und radio und fernsehen unheimlich und jetzt ist das auch noch irgendwie symetrisch was da passiert. jedenfalls erscheint es mir so. das radio hat nie geantwortet, der fernseher auch nie, obwohl ich ständig bei den nachrichten rief: ihr wixer ich trete euch gleich in die fresse. selbst da null reaktion.

    wo jetzt genau der unterschied zwischen einem stammtisch und einer party ist wird mir nicht so bewusst. mag sein das hier mehr getrunken wird und dort mehr getanzt. was jetzt weniger kollektiv ist – scwer zu sagen. aber mich gehts ja nichts an, ich kann ja mit dem jet nach hause fliegen und mich mit meiner “familie” über berlin unterhalten. höhö.

  10. Bernd Says:

    Der Elsässer ist sich komplett treu geblieben. Er hat nur aus seiner Enttäuschung über das deutsche Volk entgegen mancher – längst nicht mehr aller – Antideutscher wieder zu ihm gefunden. Über Nationalismus wusste der – wie übrigens alle Antideutschen inkl. dem Blogbetreiber – nie was korrektes, sondern nur, dass einer ganz schrecklich ist: Argument Auschwitz. Das gleiche Argument zieht heute für das deutsche Volk und seine Regierung: s. Ivo Bozic. Oder gegen die noch schlimmerein Amis: Elsässer.

  11. posiputt Says:

    also hatt herr e. jetzt vom antideutschen (unterstell ich einfach, wegen seiner beteiligung an “konkret”, korrigiert mich ggf.) ueber den sich bauchlinks-pragmatisch gebenden die kurve zum unverhohlen voelkischen reaktionaer gekriegt?
    ich versteh das ja nicht.

    und wo ist denn irgendeine art entfesselten individuums zu sehen? bestenfalls im sinne eines konsumptionsindividualismus.

    quark alles.

    und bernd: ist das problem nicht allein schon der bezug auf voelker? ist mir voellig unklar, wie das was anderes als ein ausschlussmechanismus sein kann, so ein volk. da steckt doch “blut und boden” immer ohne weiteres drin. “wir hier und die da”. wem da was fehlt, der hat hier auf das vorhandene aber kein recht, unabhaengig von der verfuegbarkeit. weil: is ja unseres! weil ja wir und so. alle zusammen. kurz: schmu!

  12. Gehirnschnecke Says:

    @ Bernd

    Was muss man denn über den “Nationalismus” so wissen?

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