►ENTSCHWÖRUNGSTHEORIE – Hinter den Kulissen: immer die anderen

“Verschwörungstheorien” als Universalkleber für Ideologie

“Entschwörungstheorie” ist ein ironisches Label. Ziel ist nicht die Einheitliche Feldtheorie zur Widerlegung sämtlicher Verschwörungstheorien. Vielmehr geht es darum, das Thema für eine kritische Diskussion überhaupt zugänglich zu machen und die dafür wichtigen Fragen aufzuwerfen. Motiv ist die Unzufriedenheit mit der bisherigen Beschäftigung mit Verschwörungsdenken, die besonders in Deutschland vorwiegend in unkritisches Durchwinken einerseits und akademisch-elitäres Bashing à la Wolfgang Wippermann andererseits zerfällt.

In meinem Buch zum Thema betone ich die Besonderheit des modernen Verschwörungsdenkens gegenüber früheren Formen; es werden nicht mehr hauptsächlich aufgrund unzureichender Informationen wilde Spekulationen angestellt, sondern es findet eine Reduktion trotz verfügbarer Informationen statt. Dabei kleidet sich moderne Verschwörungsideologie ins Gewand etablierter Autoritäten (Wissenschaftler, Historiker, Politiker) und übertrifft diese in der Wirkung beim Publikum in vielen Fällen. Dieser von mir als “Travestie” bezeichnete Mechanismus gehört zu den wichtigsten Verbreitungsweisen des Verschwörungsdenkens und sollte nicht durch die üblichen Reaktionen bestärkt werden.

Am wichtigsten jedoch scheint mir die Unterscheidung in offenes und geschlossenes bzw. ideologisches Verschwörungsdenken. Ersteres zeichnet sich durch offene Fragestellungen und die Beschäftigung mit der Realität von Verschwörungen (klandestine Machtstrukturen, Geheimdienste) aus, während zweiteres als geschlossene Ideologie daherkommt, in der die Antworten immer schon vorher feststehen, mittels derer durch Vorverurteilungen Opfer- und Feindmarkierungen vorgenommen werden und somit Brennstoff für die Politik von Ausschluß, Verfolgung und Massenmord geliefert wird.

Ideologie, Herrschaft und Verschwörung – Kritik der Kritik am Verschwörungsdiskurs

Ausgehend von meinen Veröffentlichungen und Vorträgen unter der Überschrift “Entschwörungstheorie” kritisiere ich Begrifflichkeiten und Ansätze der öffentlichen, politischen und akademischen Beschäftigung mit dem Verschwörungsdiskurs. Schwerpunkte sind dabei der Ideologiebegriff, der Zusammenhang mit Herrschaft und typische Fallstricke der praktisch-alltäglichen Konfrontation. In Abwendung von der häufigen, oft auch ausschließlichen Konzentration auf Einordnung, Verurteilung und Pathologisierung soll es um Gemeinsamkeiten der “Verschwörungstheorien” mit anderen Formen von Ideologie gehen, um im Anschluß daran um den spezifischen Inhalt der “Verschwörungstheorien” und dessen Rolle als Kitt für ideologische Erzählungen herauszuarbeiten. Schließlich diskutiere ich die Grenzen der diskursiven Auseinandersetzung und andere, vor allem praktisch-politische Möglichkeiten, um Ideologie die Grundlage zu entziehen.

Vortragsankündigung

Daniel Kulla will die Diskussion um „Verschwörungstheorien“ vom Kopf auf die Füße stellen und beginnt dazu mit den Grundlagen: Welche Rolle spielt die Annahme oder Unterstellung von übermächtigen Verschwörungen für ideologische Erzählungen? Kommt Ideologie wirklich von unten und von den Rändern der Gesellschaft? Was ist Ideologie überhaupt? Warum glauben Menschen Dinge, die nicht stimmen? Was haben sie davon, was versprechen sie sich davon? Und was hieße das für Aufklärung und politische Praxis, die nicht in der (mehr oder weniger bewussten oder eingestandenen) Hoffnung auf Posten, Titel und Auskommen versucht, die Ideologie der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, in der wir nun mal alle leben, aus der Schusslinie zu nehmen?

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Slides zum Vortrag (PDF).

Material


Mitschnitt “Ideologie – Herrschaft – Verschwörung. Zur Kritik der Kritik am Verschwörungsdiskurs” bei der Fachtagung “Eine Welt voller Verschwörungen? Verschwörungstheorien und -ideologien im Spiegel deutschsprachiger Forschung” am 12. September 2016 in Weingarten.

Mitschnitt des ganzen Vortrags (2019)
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