Christian von Ditfurth – Der 21. Juli

June 2nd, 2009

Direkt nach meinem Stauffenberg-Posting im Februar wurde ich auf dieses What-if-Buch zum gelungenen Hitler-Attentat hingewiesen und bekam es dann auch in die Hand gedrückt.


Über die literarische Qualität des Romans mag ich Belletristikmuffel mich nicht äußern – ich betrachte klassisch komponierte Erzählungen unberechtigterweise eher mit historisch-archäologischem Blick -, mich interessiert mehr der Inhalt, die Konzeption der Alternativgeschichte. Dabei fällt grundsätzlich zweierlei auf: zum einen die prinzipielle Denkbarkeit des ausgebreiteten Szenarios und die Bestätigung vieler meiner Anmerkungen über Stauffenberg, seine Mitverschwörer und die übrigen Deutschen; zum anderen die völlige Abwesenheit von jüdischen Figuren oder auch nur des Verweises auf konkrete jüdische Personen, selbst wo sie von der Handlung nahegelegt werden.

Illusionsloser Blick auf Deutschland

Zum ersten Punkt schreibt ein beleidigter Amazon-Kunde: “Zwar müht er [v. Ditfurth] sich, die realexistierende Sowjetunion nicht zu verherrlichen, jedoch sind sämtliche Sympathieträger seiner Geschichte Kommunisten.” In der Tat scheint für den Autor viel Übles an den Deutschen denkbar, weil er es zum Teil aus parteikommunistischer und sowjetischer Perspektive zu betrachten vermag.

Er nimmt die politische Position der Verschwörer und ihre reale Machtposition ernst, so daß er nur ein Bündnis zwischen ihnen und Himmlers Sicherheitsapparat als erfolgreich ansieht. In der Konsequenz ist das Nachkriegsdeutschland ein Ständestaat, der ohne Hitler mit effektiverer Kriegsführung (keine V-Waffen, dafür Messerschmidts, Flara, viele einfache Waffen), nicht zuletzt aber wegen des Abwurfs einer Atombombe auf Minsk als Supermacht dasteht: Osteuropäer hungern für Deutschland; Holland, Belgien und Frankreich sind nur formal souverän, richten sich aber nach deutschen Wünschen; das Vereingte Königreich ist demilitarisiert; kroatische Banden terrorisieren mit deutscher Unterstützung die slawische Bevölkerung auf dem Balkan. Und die besonders harten Nazis denken wie Gestapo-Folterer Krause: “Wir sind doch keine Mörder. Im Gegenteil, wir leisten der Menschheit einen Dienst. Niemand liebt die Menschen mehr als wir.”

Eine der ersten Erwähnungen der Stauffenberg-Leute ist denn auch aus der sowjetischen Feindaufklärung zitiert, aus einem “Bericht über eine antihitlerische Verschwörung in der faschistischen deutschen Wehrmacht”:

>>Einige Mitglieder dieser Gruppe planen einen Anschlag auf Hitler. Andere Mitglieder lehnen ein Attentat ab und begründen dies mit ihrem Eid, den sie auf den Führer geleistet hätten.<< Die mehr oder weniger guten Deutschen des Buches, Werdin und Rettheim, kommentieren dies so: "Dieselben Offiziere, die, ohne zu zögern, ihre Soldaten in den Tod schicken, fragen sich, ob man dem größten Verbrecher aller Zeiten ein Härchen krümmen darf. Man nennt das in diesen Kreisen Eidtreue." Rettheim fragt: "Was ist das, die Operation Walküre?" Und Werdin, der Zugang zu den Verschwörerkreisen hat und für die Sowjetunion spioniert, erklärt: "Das ist ein Plan, um Aufstände von Fremdarbeitern niederzuschlagen (…) Das heißt, sie benutzen ahnungslose Wehrmachtstellen zur Machtergreifung. Sie tun so, als wollten sie einen Aufstand gegen die Regierung nach dem Attentat auf Hitler niederschlagen…”

Rettheim, ein außer Dienst gestellter Wehrmachtsoffizier mit Sympathien für den Widerstand, sieht in diesem Plan “eine lebensgefährliche Schwäche”:

>>Die Einheiten, die Walküre umzusetzen hatten, wussten nicht, dass sie einen Staatsstreich unterstützten. Dass sie denen halfen, die ihren teuren Führer umgebracht hatten. Rettheim ahnte, sobald die Wahrheit herauskam, stünden die Verschwörer nackt im Licht. Was gab es dann – Bürgerkrieg? Oder würde der Putsch gleich zerschlagen?<< Von Ditfurths Blick auf das Deutschland dieser Zeit, auf Stauffenberg und seine Position scheint also weitestgehend illusionslos, er verweigert den Verschwörern jedes umfassendere Wohlwollen und bricht eine Lanze für die Kommunisten, die er als vielfach charakterstarke Überzeugungstäter zeichnet, die noch in den Folterkellern der Gestapo aufrecht bleiben: >>Sie hatten den kleingewachsenen Mann mit dem fast kreisrunden Gesicht verprügelt, ihm Fingernägel herausgerissen und seine Hoden mit Elektroschlägen behandelt. Hermann Weißgerber schrie, aber er sagte nichts. Krause schlug dem Mann die Faust ins Gesicht und wischte den blutigen Handschuh am Jackett seines Opfers ab.<< Fühlte ich mich bei der Lektüre also streckenweise in die Schulzeit in der DDR zurückversetzt, fiel doch aber immer wieder auf, daß von Ditfurth die Realsozialisten keineswegs aus der Schußlinie nimmt. Das geht mit Kleinigkeiten los, wie Himmlers Verweis auf Pläne Albert Speers für "einen Palast des Volkes" an Stelle des Kaiserschlosses: "Wir hätten ja schließlich eine Regierung des Volks, keine sei freier gewählt als unsere."

Snafu-Sowjetunion und gute Kommunisten

Die Sowjetunion selbst erscheint als Inbegriff bürokratischer Hierarchie, deren Schilderung ich zwei Beispielpassagen für meinen Snafu-Vortrag auf der Sigint09 entlieh. Zum einen Berijas innerer Monolog über einen Untergebenen, mit dem er überraschenderweise kommunizieren zu können scheint:

>>Wer in der Sowjetunion traute sich, seinem Vorgesetzten die Meinung zu sagen, ohne sie sorgfältig nach allen Seiten hin abgewogen zu haben? Es war gefährlich, sich auf eine Position festzulegen. Vor allem dann, wenn man nicht wußte, was die Vorgesetzten oder die Partei entscheiden würden. Offenbar hatte Iwanow keine Angst vor ihm…<< Und dann der Versuch, den Untergebenen mit einem Double Bind aus Drohung und Ankumpeln (à la "Nun sagen Sie doch mal ehrlich, wie Sie’s finden!“) zum Plaudern zu bewegen:

>>Boris Michailowitsch, wir sind hier unter uns. Nichts, was hier gesprochen wird, dringt nach außen. Ich bitte Sie, ja, ich bitte Sie, sagen Sie Ihre Meinung. Sie sind ein tapferer und kluger Mann, ich kenne Ihre Personalakte. Sie werden es noch weit bringen. Wer nach oben will, muß manchmal etwas riskieren. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel Schaden der Sowjetunion entstanden ist, weil Funktionäre und Offiziere im entscheidenden Augenblick das Maul nicht aufgekriegt haben. Wenn Sie offen mit mir sprechen, riskieren Sie nichts. Ich werde es für mich behalten. Sind Sie einverstanden, Boris Michailowitsch?<< Schließlich wird der Zynismus der Hitler-Stalin-Pakts in den sowjetischen Entscheidungen erst zugunsten Hitlers und später zugunsten Himmlers nachempfunden: "Der Genosse Stalin sagt: Die Dialektik der Geschichte fordert, dass Hitler am Leben bleibt. Wir müssen den Anschlag auf Hitler verhindern." Was den deutschen Kommunisten aber nicht angekreidet wird, ist ihr nationaler Pathos, ihr Bezug aufs Volk, im Gegenteil scheint hier und da eine Deutung durch, in der eine einige Bewegung ohne sowjetische Einmischung als positives Gegenbild funktioniert. Woran auch kurz auftretende niederländische Rätekommunisten nichts ändern, die ein paar Seiten lang proletarische Solidarität auch mit Stalinisten ("Moskowitern", "Josefgläubigen") üben.

Aber wo sind die Juden?

Und genau hier, bei der Frage nach der Verfaßtheit der deutschen Arbeiterklasse und der Arbeiterbewegung, fällt die Leerstelle des Buches auf: die Abwesenheit der Juden. Sie werden zwar als Objekt von Hitlers Vernichtungswerk erwähnt, doch scheint das eher dazu zu dienen, mit der Distanzierung des offiziellen Post-Hitler-Deutschlands von Hitlers “dunkler Seite” auch eine Distanzierung des gewöhnlichen Deutschen vom Holocaust zu erzeugen:

>>Der 1944 getötete Führer wurde in den Schulbüchern und staatlichen Deklarationen: den Führer, der Deutschland zur nationalen Größe geführt hatte, und den Führer, der den Fehler begangen hatte, sich mit allen Großmächten gleichzeitig anzulegen, der die Ermordung der Juden betrieben und gegen den Widerstand von großen Teilen der Partei und der SS durchgepeitscht hatte.<< Es wird an keiner Stelle deutlich, warum und wie diese "Ermordung der Juden" möglich war, wie die Deutschen darüber dachten und wie sie sich dazu verhielten, noch warum es ihnen im Nachhinein ein Bedürfnis gewesen sein soll, sich ohne den Druck der Besatzungsmächte vom Projekt der Vernichtung abzuwenden. Von Antisemitismus außerhalb Deutschlands ist gleich gar keine Rede. Juden tauchen einfach nicht auf, nichtmals die Überlebenden: >>Sie [die Deutschen] hatten nach dem Krieg der Rache der Juden und anderer Opfer des Mordregimes befürchtet. Und sie schlossen nicht aus, dass irgendjemand noch einen Schlag gegen sie führen würde.<< Doch bis zur spätesten Erzählzeit des Romans, 1953, gibt es keinen wahrnehmbaren Abba Kovner, keine jüdischen Partisanen, keine zionistische Bewegung, nichts. Von Ditfurth beleuchtet blinde Flecken des westlich-bürgerlichen Geschichtsbildes, kann sich aber vom eigenen Realitätstunnel nicht recht lösen. Ihm gelingen denn auch die treffendsten Formulierungen, wenn er den Blick von Osten nachzeichnet, etwa mit diesem Gedanken eines sowjetischen Unterhändlers: “Es war seltsam mit den Deutschen. Entweder fielen sie über einen her oder sie umarmten einen.”

Oder wenn er die Perspektive des proletarischen Internationalismus einnimmt: “Die deutschen Glaser kämpften gegen die russischen, amerikanischen und englischen Glaser, obwohl zu Hause das Geschäft ihres Lebens wartete.”

Abschließend noch der kleine Verschwörungssnack, immerhin stammt das Buch aus dem Jahr 2001:

>>Die Deutschlandexperten der CIA glaubten, dass die SS sogar Anschläge durchführte, um die Angst der Menschen vor Feinden wach zu halten.<< It was all so obvious!

2 Responses to “Christian von Ditfurth – Der 21. Juli”

  1. Cannabis Kommando Says:

    Ah, die Herrschaften von Thale

  2. classless Says:

    Nee, das ist ja alles auf der anderen Seite der Teufelsmauer 😉

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