Neuerscheinungen

March 25th, 2010

Drei neue Druckerzeugnisse aus der Post gefischt und größtenteils gelesen.

Das Magazin, fünfte und letzte Ausgabe

Wie im Editorial bemerkt, sollte die dritte Ausgabe eigentlich die letzte sein. Gut, daß es dabei nicht geblieben ist, denn nirgendwo ist die Haltung der Antideutschen Kommunisten, sich einerseits der eigenen Marginalität bewußt zu sein, sich andererseits aber diese auch nicht zum Zweck zu erheben, so gut aufgehoben (gewesen) wie in dieser Zeitschrift. (Nicht zu verwechseln übrigens mit dem gleichnamigen Monatsheft aus dem Osten.)

Die materialistische Tradition wird hier als Fundus behandelt, klassische Texte, oder häufiger noch: oft weniger bekannte Fragmente aus Texten klassischer Autoren von der Antike bis ins bürgerliche Zeitalter werden liebevoll arrangiert und auf die typische starke-schwache Hoffnung auf den Kommunismus bezogen. Dazu gibt es Michelangelos “sterbenden Gefangenen” als Sammelbild zum Ausschneiden.

Das Großartigste ist jedoch der ausführliche Text über den “Lucas Plan“, einer aus der shop steward-Bewegung hervorgegangenen Entscheidung von Arbeitern und Ingenieuren des Luftfahrtkonzerns Lucas Aerospace Anfang der 70er Jahre, sich nicht vor die Entscheidung stellen zu lassen, entweder wegen Rationalisierungsmaßnahmen arbeitslos zu werden oder sich für verstärkte Aufrüstung auszusprechen, sondern selbst zu überlegen, welche “sozial nützlichen” Dinge mit den Produktionsanlagen des Konzerns hergestellt werden könnten. Sie entwarfen und bauten Prototypen z.B. von Straßen-Schienen-Fahrzeugen, Solaranlagen, Meereserkundungsgeräten und Medizintechnik, konnten sich mit diesem Plan jedoch nicht durchsetzen. Im Magazin heißt es dazu:

>>Stellen wir uns jedoch für einen Moment vor, die Initiative der Lucas-Arbeiter wäre auf eine gesellschaftliche Situation getroffen, in der das Funktionieren der kapitalistischen Maschinerie ausgesetzt gewesen wäre – wie etwa im (…) französischen Mai 1968. Wenn die meisten Fabriken besetzt sind und die Produzenten den Anweisungen ihres jeweiligen Managements wenigstens kurzzeitig nicht Folge leisten, könnte eine entschlossene Gruppe von Arbeitern unmittelbar mit der Herstellung von als sinnvoll erachteten Produkten beginnen (…) Es dürfte dann möglich sein, mit den Arbeitern von Zuliefererfirmen Kontakt aufzunehmen und sie um die Bereitstellung benötigter Rohstoffe oder Bauteile zu bitten. Schließlich wären diese gerade ebenfalls im Streik und hätten nichts Besseres zu tun. (…) In der wirklichen Geschichte fehlte es den Briten ebenso an der Neigung zur generalisierten Fete wie es den Franzosen an Ideen für einen vernünftige Produktion mangelte.<<

Werner Pieper: Haiti

Wegen seiner Recherchen zum Thema Rhythm Transfer – “wann und wie gelangten welche afrikanischen Rhythmen wohin in die Amerikas, um sich dort mit welchen anderen Rhythmen zu mischen, aus denen sich die heutigen Musiken wie Salsa, Blues, Reggae, Rock etc. entwickelten” – gelangte Werner fast genau zum Zeitpunkt des Bebens auf Haiti auf die Mailingsliste von Ned Sublette und wurde so von Anfang an mit Informationen über die Lage und die Geschichte überschwemmt. Erst vor wenigen Jahren wegen seiner Recherche über Zucker und Plantagensklaverei auf der Insel gewesen und seit den 70ern eng mit Afrika verbunden, trieb es ihn fast von selbst dazu, aus dem Materialüberfluß ein Buch zusammezustellen, in dem nun auch von der Haitianischen Revolution 1791/1804 über die Geschichte von Sklaverei und Kolonialismus (“Am 11. Juni 1872 bekam Haiti seine Schiffe zurück – die haitianische Nationalfahne mit deutscher Scheiße beschmiert”) bis zu Impressionen des Lebens im heutigen Haiti ein breites Spektrum behandelt wird. Es ist ein Sammelsurium geworden, oft äußerst instruktiv und verblüffend, manchmal etwas beliebig und zu sehr an der Brille des “Guardian” orientiert.

Negri/Hardt: Common Wealth

Wohl wegen meines Veranstaltungsberichts zu Negri im Monarch am Abend der Adlon-Proteste wurde ich mit dem neuen Buch von ihm und Michael Hardt bemustert. Es ist schrecklich: über beinahe das gesamte Buch verhandeln sie Themen und Ansätze, die mir im Grunde sehr nahe sind, bauen aber zielsicher Pointen dazwischen, die diese Ansätze völlig entwerten und verunstalten und die zudem ins rein Spekulative zielen oder bloße Dekrete über die Wirklichkeit sind.

Auf Benjamins Beobachtungen, wie die Armut zwingt, “von vorn zu beginnen; von Neuem anzufangen; mit Wenigem auszukommen; aus Wenigem heraus zu konstruieren”, folgt der Satz: “Die ‘barbarische’ Produktivität der Armen macht sich daran, eine gemeinsame Welt zu schaffen. Eine kurze Schau von Möglichkeiten “offener Netzwerke” wie dem Internet und der beschließen die Autoren übergangslos mit: “Die kapitalistische Produktion heute eröffnet, wenn sie sich an ihren ureigenen Bedürfnissen orientiert, die Möglichkeit und schafft die Grundlage für eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die auf dem Gemeinsamen beruht.”

Sie kündigen an, ihre “erste Aufgabe” sei, “die verborgenen Beziehungen zwischen Souveränität, Recht und Kapital ans Licht zu bringen”, spielen dann aber nur den Counterpart, d.h. dort, wo Imperialismus-Apologeten meinen, die Sklaverei sei aus liberalen Prinzipien abgeschafft worden, halten sie einfach dagegen, “stattdessen” wäre es “der Widerstand der Sklaven selbst” gewesen. Mir leuchtet nicht ein, warum sich beides ausschließt, wie mir auch nicht einleuchtet, wieso ein wirklich grausiges Ratzinger-Quote über die wie bei Mel Gibson froh erwarteten Segnungen der Kirche bei ihrer Ankunft in Lateinamerika die komplexe Wechselwirkung von Christianisierung und Kolonialismus thematisch erschlägt.

Die Weigerung, die Welt anders denn als partisan zu interpretieren, ist bei den Autoren leider ebenso stark wie bei den anderen: die Nazis sind “fürchterliche Unmenschen, die die Bevölkerung versklaven”; die Neocons gehören mit ihren “Fieberträume[n] von der Weltherrschaft” in eine Reihe der “reaktionären Gegenmoderne” zusammen mit dem Ku-Klux-Klan, den Nazis und “den verschiedenen ethnischen Säuberungen” – und diese Zuordnung wird auch noch auf Horkheimer und Adorno zurückgeführt.

Und ständig dieser Begriffsmatsch! Im Abschnitt über das “Verschwinden der Körper im Fundamentalismus” wird zunächst das “eigentümliche” Verhältnis der religiösen Fundamentalismen zum Körper behandelt, ohne daß die Nähe zum Interesse jedes Staats an den Körpern seiner Untertanen auch nur erwähnt wird. Dann wird dieses “eigentümliche” Verhältnis benutzt, um anderswo, wo es sich diagnostizieren läßt, ebenfalls Fundamentalismen auszumachen; so geht es als nächstes um “nationale und nationalistische” Fundamentalismen, dann um Rassismus als Fundamentalismus und schließlich um den “Ökonomismus”. Und schon bedeutet der Begriff überhaupt nichts mehr.

Nach Sätzen wie “Marx geht den Weg noch ein Stück weiter, bekräftigt aber zunächst Machiavellis Intuition, dass das Vermögen der Armen im Mittelpunkt der sozialen Rebellion steht, ebenso wie die These Spinozas, dass die Macht der Multitude für die Möglichkeit der Demokratie wesentlich ist” nahm meine Lust, das Buch komplett zu lesen, deutlich ab: Hier werden einfach beständig Leute und Ideen in Geiselhaft für die eigene, nun ja, “Begrifflichkeit” genommen und auf der nächsten Seite wird das auch noch gerechtfertigt, indem die Autoren einen Absatz lang sinngemäß sagen: “Das ist eine gute Frage.”

11 Responses to “Neuerscheinungen”

  1. Aktionskletterer Says:

    Bei konkretem Interesse an Rüstungskonversion mal bei Wolf und Grässlin reinhören.

  2. jonas Says:

    es gibt einen guten neueren text von hannes gießler zu hardt/negri . dessen kritik ist allerdings noch um einiges schärfer als deine, bezoeht sich aber auf ältere sachen: http://www.conne-island.de/nf/173/21.html

  3. classless Says:

    “Empire” hab ich nicht mal so weit geschafft wie “Common Wealth” (der gemeinsame Erstversuch: http://multitude.wordpress.com/) – schön, daß Hannes sich das für uns alle angetan hat.

  4. Benni Says:

    Ich les in Deinem Hardt/Negri-Rant vor allem Stilkritik. “Kann man einen anderen Stil nicht mal einfach testweise hinnehmen, weil man nur so versteht worum es ihnen eigentilch geht?” Denk ich mir da. Das geht mir mit der meisten deutschen Kritik an der Trillogie so. Hab den dritten Band aber noch nicht gelesen.

  5. classless Says:

    Ich kann nur wiederholen, was ich dir auf den gleichen Einwand bei “Empire” schon geantwortet hatte: Es ist nicht nur Stil, sondern an dem Stil hängt die große Welterklärungskeule. Die Nazis dadurch zu charakterisieren, daß sie “die Bevölkerung versklaven”, ist nicht bloß eigentümlicher oder schlechter Stil. Den Leser beharrlich vor die Alternative zu stellen, der Menge in revolutionärer Hoffnung alles durchgehen zu lassen oder sich eben gleich auf der anderen Seite zu befinden, ebenso.

    Letztlich habe ich das jetzt wiederholt testweise hinzunehmen versucht, weil ich den Verdacht nicht loswurde, daß mir da irgendwas entgeht. Aber schon seit Negris Auftritt im Monarch ist dieser Verdacht eher dem Ärger darüber gewichen, daß es schlicht noch etwas gibt, das als kommunistisch firmiert und sich hauptsächlich das revolutionäre Subjekt herbei- und zurechtquatscht.

  6. Benni Says:

    @classless: Stimmt, bei den Nazis haben sie eine inhaltliche Leerstelle.

    Die Multitude ist meiner Interpretation nach kein revolutionäres Subjekt.

  7. Tweets that mention classless Kulla » Blog Archive » Neuerscheinungen -- Topsy.com Says:

    […] This post was mentioned on Twitter by planet dissi. planet dissi said: classless kulla : Neuerscheinungen: Drei neue Druckerzeugnisse aus der Post gefischt und größtenteils gelesen.Das … http://bit.ly/dtp8xa […]

  8. Aktionskletterer Says:

    @Benni – Sie ist eben bloß ein revolutionäres Unbewußtes ohne revolutionäres Bewußtsein.

  9. Benni Says:

    @kletterer: Hm, errinner mich nicht mehr so genau, aber ich glaube nicht, dass Bewußtwerdung ihre Strategie war.

  10. maxxrev Says:

    “Die materialistische Tradition wird hier als Fundus behandelt”

    Bitte hör auf von Dingen zu reden, von denen du nicht die allergeringste Ahnung hast. Du bist ein Paradebeispiel für unreflektierten Unsinn und oberflächliche Dummheit, die sich gerne intellektuell schmückt und dich somit noch in die Lage versetzt, die politiserten unpolitischen Durchschnittsleser deines Blogs zu beeindrucken.

    Für jeden, der selbst in “marterialistischer Tradition” steht oder zumindest weiß, was das ist, bist du nur eine Witzfigur. Clueless eben.

  11. Aktionskletterer Says:

    @Benni – Hab ich auch nicht behauptet.

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