Ich bin klassenlos

January 9th, 2007

“Ein echter Deutscher hat kein Magengeschwür.” (Zug des Lebens)

Gerade lese ich “Im Gegenwind” von Jakov Lind und ahne, warum Werner es mir zusammen mit dem Augen-Oberteil zum Kongreß mitgebracht hat.

>>Ich mußte etwas leisten, etwas herzeigen können, aber noch brauchte ich Zeit, und um mir Zeit zu kaufen, brauchte ich dringend Kredit…<< >>Zu behaupten, man sei ‘Existenzialist’, schien mir ebenso lachhaft wie sich anzumaßen, man sei ‘Künstler’, nur weil es für unsereins keine Jobs gab.<< Ich bin klassenlos, weder im proletarischen, noch im bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Film gebunden, so gut ich sie jeweils kenne. Beim Trampen kann ich mit den Fahrenden beinahe beliebig Klassenverbrüderung oder Klassenkampf spielen. Meine intellektuelle Unabhängigkeit habe ich mir mit Kackjobs erkaufen müssen. Ich beschwere mich nicht, ich hab's mir ausgesucht. Den Chefredakteursposten einer mittlerweile gar nicht mehr so kleinen Zeitschrift wegen der Auflagen der Anzeigenkunden aufgegeben, die Uni wegen meines mangelnden Glaubens verlassen, zwischenzeitlich sogar aufgehört zu wohnen. Mir war nichts so wichtig wie nicht mehr das denken zu müssen, wofür ich bezahlt werde. “Wir schreiben hier Geschichte und ich hab Auslegungsschwierigkeiten.”

Und dann beschweren sich solche, die das denken, wofür sie hoffen, irgendwann bezahlt zu werden, daß sie hier in diesem Blog für lau nicht an meiner gesamten Weisheit teilhaben können und machen diese lustigen Vorhaltungen, die ich mir auch selbst schnell zusammenschreiben könnte. Chronologiekritik, wird gefragt, ist das nicht dieses Hobby von diesem Wodkasammler, dem rechtsradikalen Atlantis-Theoretiker und den russischen Nationalbolschewisten? Antideutsche, sind das nicht diese rassistischen, sexistischen, kriegstreiberischen Israel-Nationalisten? Und Breakcore ist doch längst vorbei, dieses bemühte Trendmusikgepushe bringt doch eh nichts, dieser ganze Lärm ist doch für Masochisten, danach kann doch gar keiner tanzen, du willst doch nur damit angeben, sowas zu kennen und angeblich gut zu finden.

Aber ihr kriegt mich nicht, ich schreibe deswegen nicht den 600-Seiten-Roman des unverstandenen Genies, das unbedingt seine Beweggründe ausmalen muß, damit endlich alle sehen, was für ein toller Kerl er doch immer war. Das ist mir egal. Lieber singe ich noch mal taktlos, widersprüchlich und selbstgerecht das alte Lied:

die nur mit unihalbwissen
oder nur unterrichtsstoff
die mit der spiegelrezension und berliner popliteratur
ihr lest doch sonst auch immer das falsche, wenn ihr die wahl habt
ihr steht doch sonst auch immer auf linear, redigiert und aalglatt

und darum möchte ich nicht, daß ihr meine bücher zitiert
denn gegen und wegen euch tu ich die schreiben
die sind für die, die noch nicht fertig sind
und die genau wie ich unter euch leiden

ich möchte mich nicht in köpfen befinden zusammen mit gedanken
die nur mit erlaubnis des feuilletons entstanden
in den ganzen biederen hirnen wär ich gern abhanden
denn vor allem können die spießer mit verwirrung nichts anfangen
sie sagen: das sind deine leser, deine financiers
aber mir sind wenige richtige genug
wenn da draußen keiner ist, der’s peilt
verkauf ich halt nur ein buch

und darum

< /rant>

So, genug Autofocus. Wer mir einen Gefallen tun mag, könnte dieses Posting vielleicht einfach mal _nicht_ kommentieren. Danke mit Sahnehäubchen.

4 Responses to “Ich bin klassenlos”

  1. classless Says:

    Ich weiß, daß sich die Kommentare auch abschalten lassen.

  2. tlmn Says:

    Beim Fuchs die Gans gestohlen und keinen Kredit gegeben.

  3. Dirk Says:

    Ich kann es nicht lassen und möchte einfach ein Feedback geben. Deine Bemühungen um gänzliche Nichtidentifikation laufen der Liebenswürdigkeit entgegen. Dies ist nicht intellektuell gemeint, sondern ein aufrichtiges Feedback eines Individuums. Ich würde auch lieber etwas anderes sagen. Ich kann Dein Anliegen ansatzweise nachvollziehen, weil ich es irgendwo teil, doch ist die Methode eben auch von großer Wichtigkeit. Ich kann mir genaus so wünschen, dass das unkommentiert bleibt und es steht Dir genauso frei es zu kommentieren. Vielleicht ist da was zu machen. Sorry!

  4. classless Says:

    Ich bestreite weiter, daß ich mich um Nichtidentifikation extra bemühen muß. Das heißt auch nicht, daß ich mich nie mit irgendwas identifiziert hätte, aber mittlerweile fällt mir das erheblich schwerer als die Abweichung.

Leave a Reply

2MWW4N64EB9P