Frankfurter Allgemeines Adorno-Bashing

February 19th, 2007

Wenn anläßlich von Adornos 100. Geburtstag Hilal Sezgin in der FR ihr Unverständnis darüber äußerte, wie ausgerechnet Adorno von einem seiner Biografen niedergemacht wurde, lädt das zunächst zur Lektüre der Negation des Negators ein:

>>Folgt man Jäger, so verstand Adorno nichts von Psychoanalyse, war als Komponist mäßig kreativ, verkannte Heidegger, las keine angelsächsische Literatur und hatte laut Auskunft eines Zeitzeugen auch keine Ahnung von Theater, Musik oder bildender Kunst seiner Zeit.<<

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Es ist denn auch tatsächlich nicht zuviel versprochen, wenn Sengiz sagt, daß der altgediente Adorno-Basher Lorenz Jäger vom FAZ-Feuilleton unzählige abfällige Bemerkungen von Adornos Zeitgenossen und Bekannten gesammelt, sie aufgespießt und serviert hat. Dabei verwendet er nicht nur Gewährsleute, auf deren Urteil er wohl sonst kaum etwas geben würde, sondern ringt sich sogar dazu durch, Adornos Anteil am eigenen Werk dadurch abzuwerten, daß er es in Teilen seiner Frau, gottbewahre, zuschreibt:

>>Gretel Adorno war an der Entwicklung der Kritischen Theorie in einem höheren Maße beteiligt, als man gemeinhin annimmt. Sie protokollierte im amerikanischen Exil die Diskussionen zwischen Teddie und Max Horkheimer, die zur “Dialektik der Aufklärung” führten. Sie arbeitete mit beiden später am Institut für Sozialforschung zusammen, etwa an der Studie “Gruppenexperimente”. Adorno pflegte ihr seine Schriften zu diktieren, wobei sie keineswegs nur passiv-dienend war, sondern als erste Hörerin, stellvertretend für die Leser, Einwände und kritische Kommentare formulierte.<< Nachdem sich der schockierte Lesende nun mit dem Gedanken angefreundet hat, daß Adornos Werk von den unqualifizierten Beimischungen seines Weibes kontaminiert wurde, von der das gemeinhin nicht angenommen werden würde und die entgegen aller Erwartung nicht nur die gedankliche Begattung passiv ertrug, folgt sogleich der nächste Schock: >>Die Führer der sozialistischen, kommunistischen und anarchistischen Bewegungen entstammten in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem überraschend hohen Teil dem Judentum.<< Diese unerhörte und unbekannte Verstrickung dieser großen verfolgten Minderheit in die neben dem Zionismus aussichtsreichsten Befreiungsideen der Zeit hat Jäger mindestens so stark verblüfft wie den Historiker Bieberstein, und wie dieser fängt Jäger sogleich an, lauter Juden aufzuzählen, womit er bis zu seiner Kulturgeschichte des Hakenkreuzes auch nicht aufgehört zu haben scheint. Dort heißt es: “Erst die physische Bedrohung, die Furcht vor der buchstäblichen Vernichtung der herrschenden Klassen durch den Kommunismus gab dem Hakenkreuz den nötigen Resonanzraum.”

Glücklicherweise erstreckte sich die Dominanz der jüdischen Führer aber, wie gesagt, nur auf die erste Hälfte des Jahrhunderts – was an Jägers Haltung den Juden gegenüber aber nichts ändert. Wo Jäger nun einmal im Sumpf unterwegs ist, faßt er ganz tapfer auch noch die Fremden an, um den quasi natürlichen Haß der Eingeborenen auf sie zu erklären:

>>Eine Gruppe von Fremden, so schrieb Simmel, werde zur autochthonen Kultur fast zwangsläufig eine kritische, jedenfalls objektivere Haltung einnehmen.<< Daß ihm das nicht wirklich behagt, läßt Jäger kurz darauf durchblicken: >>Gewiß ist die Beschreibung idealisiert: Auch der Fremde wird nicht rein objektiver Betrachter sein können, sondern bestimmte Ziele und Ideen verfolgen, die seine Sicht der Wahrnehmung prägen werden.<< Nachdem er sich all dieser unerfreulichen Randgruppen bedienen mußte, um Adorno madig zu machen, beruhigt Jäger sich etwas und arbeitet nun methodisch die verschiedenen Unzulänglichkeiten des Jubilars ab. Neben unzähligen Klamotten, Kolportagen und halbgarem Gemäkel (etwa an der von Jäger offenbar überhaupt nicht verstandenen Fetischkritik, gegen die er ausgerechnet Brecht ins Feld führt) gibt es dennoch einige instruktive Stellen, wenn Jäger etwa Diskurse aufgreift, die die Verwednung der Psychoanalyse in Politik und Soziologie kritisieren. Jäger schreibt dann von einer zu bequemen "Abkürzung" sowohl der therapeutischen Deutung als auch der politischen Analyse. >>Psychoanalyse wurde zum Mittel, scheinbar wissenschaftlich etwas über das normativ Erstrebenswerte und das Pathologische in der Politik zu sagen. Künftig sollte man nicht mehr nur reaktionär sein, sondern damit zugleich auch irgendwie seelisch problembehaftet…<< Jäger führt verschiedene Beispiele dafür auf, welche Sätze auf der F-Skala zu einer hohen Einstufung (“H”) führten und welche Äußerungen Interviewter zu Pathologisierungen. So wurde etwa einem Amerikaner, der nichts von einer gesetzlichen Einkommensbeschränkung auf 25000 Dollar hielt, Abhängigkeit vom “reaktionären Denkschema” unterstellt. Zur Frage der Geheimhaltung der Atombombentechnik vor der SU schrieb Adorno: “Wie erwartet treten die H, auch aus psychologischen Gründen, ganz für Geheimhaltung ein. Hier, wie auch sonst überall, wollen sie ‘behalten, was wir haben.'” Jäger resümiert:

>>Die Studie trägt die Merkmale ihrer Zeit: Sie entstand in der kurzen, nervösen Epoche zwischen der linken Roosevelt-Ära und dem Kalten Krieg, der unter der Präsidentschaft Trumans folgte. Bald – in der Studie “Schuld und Abwehr” 1951 – sollte auch Adorno seine Meinung ändern und nun gerade die Zustimmung zur Aufrüstung gegen die Sowjetunion für ein Zeichen demokratischer Verläßlichkeit halten. Charakterstörungen waren eine Frage des richtigen Zeitpunkts.<< Ähnlichkeiten mit heutigen Debatten sind natürlich rein zufällig. Überhaupt scheint mir diese Passage die interessanteste des Buches zu sein, da mir gerade zuletzt in Diskussionen über den Antikommunismus der 50er immer wieder entgegengehalten wurde, die innere Verfaßtheit der nominal kommunistischen Staaten hätte dabei eine verschwindend geringe Rolle gespielt, es wäre um eine fast ausschließlich ideologisch gezeichnete Gegenwelt zum Westen gegangen. Während Marcuse nach wie vor auf eine von der Sowjetunion unterstützte kommunistische Revolution in Deutschland setzte - Stalin war noch am Leben -, argumentierten Horkheimer und Adorno, Jäger sagt vor allem aus Opportunismus, im Geist der Zeit ganz anders: >>Wer naiv in der Sprache des Pazifismus zur Ächtung des Kriegs aufrufe, nehme “stillschweigend die rote Armee und ihre ordensgeschmückten Generäle aus; wer das Grauen des Atomkriegs ausmalt, deckt willentlich oder unwillentlich zugleich die Vögte und Folterknechte, die ungezählte Millionen von Arbeitssklaven in Konzentrationslagern halten.”<< Es gelingt Jäger inmitten seines 300-Seiten-Diss an manchen Stellen die oft leider unterschätzte Zeit- und Situationsabhängigkeit vieler Adornoscher Einschätzungen gegenwärtig werden zu lassen. Es mißlingt ihm jedoch völlig, seine eigene deutsche Befangenheit gegenüber dem Nestbeschmutzer auch nur für kurze Zeit zu überwinden, umso mehr, je bemühter er sie hinter aufgehäuften Äußerungen anderer zu verstecken sucht, die Adorno fast als Randfigur seiner eigenen Biographie erscheinen lassen.

7 Responses to “Frankfurter Allgemeines Adorno-Bashing”

  1. bigmouth Says:

    ich hatte das buch letzten herbst in der bibliothek in der hand, und da sind mir die bemerkungen zum autoritären character ebenfalls positiv aufgefallen. gibt einem jedenfalls zu denken, gerade wenn man sich anguckt, wie beliebt pathologisierung/psychologisierung in streitereien der linken ist

  2. classless Says:

    Mich erinnert das stark an das Problem, für abweichende Positionen überhaupt Verständnis aufbringen zu können, überhaupt akzeptieren zu können, daß jemand eine andere Auffassung haben kann, ohne deswegen der reaktionäre, verklemmte Spießer oder was auch immer zu sein. Ich las zuletzt viel darüber, wie Neocons, bevor sie welche wurden, in linken Diskussionen auf ähnliche Mechanismen trafen.

    Getoppt werden die Vulgärpsychoanalysen allerdings jederzeit noch durch Vulgärpsychologisieren à la Kriegsgeilheit und Profitgier. Nun ja.

  3. Nemesis Says:

    Vorab ich habe Jägers Buch nicht gelesen, aber ich kann jetzt nicht erkennen, warum ein kritisches Buch über Adorno so schlimm sein soll. Betrifft es die Konzentration an “Kritischem” oder ist es die Abwesenheit der Lobhudelei, die man sonst antrifft?

    Wenn Adorno gerade Thema ist, nun ich hab es neulich gelesen: Adornos Kritik am Jazz war unerträglich. Aber dazu später mehr.

  4. nonono Says:

    @Nemesis
    Ich habe das nicht so verstanden, dass Krititk an Adorno schlimm ist – das Problem scheint eher zu sein, _wie_ kritisiert wird. Für mich sieht es aus wie: viele Schüsse gingen daneben, ein paar trafen.

    Dein Schuss mit dem Jazz ist in der Form auch nicht gerade qualifiziert. Wann hat Adorno das geschrieben? Wo befand er sich da? Hat seine Kritik am Jazz vielleicht auch was mit der Einbeziehung der Psychoanalyse ins Soziologische zu tun, die ja nicht nur an dieser Stelle problematisch war?

  5. bigmouth Says:

    adorno hat mindestens 20 jahre lang über jazz geschrieben, und nie mit viel ahnung

  6. nonono Says:

    Aber die ursprüngliche waghalsige Idee von Benjamin mit der Kastrationsdrohung und dem Pogrom-Soundtrack blieb erhlten, oder?

  7. möller Says:

    @bigmouth
    du nimmst dir auch nur die besten, um belegfrei zu bemerken, daß du es besser weißt….dein Name ist Programm. Immer diese anonymen Klugscheißer.

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