Differenz im verkehrten Ganzen

May 24th, 2007

Hannes Gießler sucht während des Vortrags nach Worten, formuliert seine Sätze ständig um und tastet, faßt und wedelt mit seinen Fingern. Was anfangs einen faserigen und leicht wirren Eindruck vermittelte, stellte sich im Verlauf der Veranstaltung als sympathisch formverachtendes Bestreben nach größtmöglicher Redlichkeit heraus.

Ohne den gesamten Vortrag wiedergeben zu wollen, der grob auf diesem Text im Cee Ieh basierte, will ich kurz die Thesen benennen:

Kulturwaren der Kulturindustrie sind bezogen auf den Inhalt weitgehend austauschbar. Diese Austauschbarkeit sorgt für ironische Distanz und “Entdogmatisierung” des Inhalts. Totalitäre Kulturpolitik richtete sich immer gegen diese Austauschbarkeit, gegen das Profitprinzip, sie macht sich zum Hüter ihres ganz bestimmten Gebrauchswerts. Kulturwaren sind von sich auch nicht gegen totalitäre Verwendung resisten. Das Prinzip Kulturindustrie, das den Gebrauchswert nur als Anhängsel des Tauschwerts mitschleppt, überfordert mit seiner Warenfülle totalitäre Regimes, die sich dagegen mit Kontrolle zu wehren versuchen. Kulturindustrie spricht das Individuum an, wenn auch nur als Käufer, totalitäre Kulturpolitik sucht Menschenmaterial zum Opfern. Kulturindustrie kennt keine Gegner, sucht alles zu integrieren, totalitäre Kulturpolitik definiert sich über Feinde. Kulturindustrielle, kosmopolitische Grenzüberschreitung untergräbt in sich geschlossene ideologische Systeme. Populäre Verkürzungen in politischer Philosophie nehmen teil am Verfall des Politischen, Marx hat sich im “Manifest” den Leuten zugedreht, ifürs “Kapital” in seinem Studierzimmer versteckt.

Die “Dialektik der Aufklärung” wäre daher zu kritisieren, weil sie im falschen Ganzen keine Differenz ausmacht. Wenn auch die Kulturindustrie faschistische Barbarei sein soll, fehlt für den Nationalsozialismus der besondere Begriff. Ebenso ist die These vom Monopolkapitalismus als “Markt, der zu Ende geht”, falsch. Der Nationalsozialismus steuerte tatsächlich die Kultur, die Kulturindustrie ist dagegen vielmehr Opium des Volkes. Bushido wurde nicht “von oben ersonnen.” Der Tauschwert vermittelt Bedürfnisse, er schafft sie nicht.

So wuchtig die Thesen jetzt in der schriftlichen Wiedergabe daherkommen mögen, wirkte es während des Vortrags eher, als würde man ihrer Entwicklung zusehen. Hannes Gießler korrigierte sich, ließ sich auf sein Material ein (“Adorno rutscht mir jetzt doch die ganze Zeit in den Vortrag rein”), räumte Kenntnislücken ein. Er brachte bemerkenswerte Beispiele wie den Nazi, der auf einem ostdeutschen Flohmarkt von einem osteuropäischen Händler Nazi-T-Shirts kauft, oder den vom NS-Propagandaministerium erstellten Naziswing, der über Störsender verbreitet wurde.

In der Diskussion ging es um die Rolle von Subkulturen (“Es trägt ja niemand Texte von Philosophen auf der Lederjacke”), um Gießlers Abneigung gegenüber politischen Popsongs, um die mögliche Unfähigkeit der Kulturindustrie, an der Infragestellung ihrer Grundlagen zu verdienen und um Adornos Begriff von Kultur.

10 Responses to “Differenz im verkehrten Ganzen”

  1. ZensurZebra Says:

    Auch wenn man nach dem Lesen zwei Knoten im Hirn hat, klingt das doch sehr interessant. Ein ehemaliger CDU-Spitzenpolitiker als neuer intellektueller Che-Guevara. Wobei die biografische Analogie eher Bin Laden wäre, aber das ist dann doch ne Spur zu gemein.

    >Bushido wurde nicht “von oben ersonnen.”

  2. rambo kid Says:

    Du verwechselst Heiner mit Hannes äh Hannes mit Heiner.

  3. classless Says:

    Wo verwechsel ich die? Um Heiner geht’s doch in dem Posting gar nicht.

  4. saltzundessick Says:

    ich glaube, der vorkommentator mit doppel-hirnknoten ist gemeint.
    wie schon an anderer stelle: es gibt durchaus konstrukte, die vom oben der kulturindustrie ‘ersonnen’ wurden (bushido nun ausgerechnet nicht).
    ueber die tatsaechlich ersonnenen redet nur merkwuerdigerweise keiner der kultur-kritiker. nehmen wir mal als beispiel diverse deutschpop-bands oder dieses ganze starsearch-zeug oder wenn es denn ein deutschrapper sein soll das neueste kunstprodukt ‘massiv’.

  5. unkultur Says:

    Nur wo soll da der Erkenntnisgewinn sein, wenn vermeintlich künstliche den authentischen Produkten entgegengestellt werden? Abgesehen von der Problematischen Dichotomie echt vs falsch (materialstisch dann echte vs falsche Bedürfnisse): Für letztere ist das ja gerade das Element, mit dem die Produkte beworben werden und macht den besonders perfiden Schwindel aus. Im schlimmsten Fall, indem behauptet wird, hier würde gar nicht kapitalistisch produziert. Die Selbstausbeutung der ProduzentInnen wird dabei ideologisch verklärt. Das erscheint mir als das drängendere Problem – gerade innerhalb der Linken-, als Menschen zu zeigen, dass bei DSDS etwas faul sei.

  6. saltzundessick Says:

    da ist kein erkenntnisgewinn. es ist nur einfach sachlich nicht ganz korrekt. ‘authentizitaet’ ist ohnehin nur ein marketingtrick, besser oder schlechter wirds dadurch nicht.

  7. monty Says:

    ich finde ja immer, dass du nicht ausreichend der frage nachgehst, inwiefern die warenförmige produktion von kulturgütern auswirkungen auf den gebrauchswert hat. das scheint mir doch eine wichtige these der kulturindustrietheorie zu sein. dabei würde es dann sehr wohl einen unterschied machen, ob ich im kapitalismus ein kulturgut für den markt (und also als ware) oder eben nicht für den markt produziere. wenn man behauptet dass die orientierung am markt, der versuch das kulturgut möglichst gewinnbringend loszuwerden auswirkungen auf das kulturgut selbst hat (indem dies schon in der produkton berücksichtigt wird), dann (aber auch nur dann) würde es einen wichtigen unterschied machen, ob ich mich selbst ausbeute anstatt auf absetzbarkeit zu schauen, um es mir zu ermöglichen ein sperriges, kritisches oder wie auch immer kulturgut zu erzeugen. da braucht es einfach argumentativ mehr um die ideologische verklärtheit der selbstausbeutung zu belegen. davon mal abgesehen ist der ausdruck “selbstausbeutung” unklar. falls nicht kulturwaren produziert werden liegt ja keine ausbeutung vor und wer selbstständig arbeitet und einfach nur hinter der durchschnittsprofitrate zurückbleibt beutet sich ja streng genommen auch nicht aus…aber naja, alltagssprachlich passts schon…

  8. unkultur Says:

    Genau gegen diese Trennung von Markt und nicht-Markt wende ich mich aber. Wie würdest Du denn den Bereich benennen, indem die “Marktlogik” nicht gilt – d.h. die Produktion nicht-marktförmig erfolgt? Ich würde dagegen mit Adorno halten: nein, es gibt keinen gesellschaftlichen Bereich, in dem der Tauschwert nicht herrscht. Wenn in der Köpi ein Crustkonzert organisiert wird, wird dort auch getauscht: in erster Linie wird ein Produkt hergestellt, dass für bestimmte Konsumenten ausgelegt ist: billig (wie Mediemarkt), bestimmte Subkultur, bestimmte Ästhetik etc. Die Barleute bei diesem Konzert bekommen keinen Lohn für die geleistete Arbeitszeit. Das bezeichne ich als Selbstausbeutung: produzieren ja, Bezahlung nein. Und genau dieses Prinzip verklären Teile der Linken zum Engagement. Problematischer wird das Ganze noch dadurch, dass hier zivilgesellschaftliches Handeln hochgehalten wird und sich die Vorstellungen mit Forderungen einer Bürgergesellschaft decken: bestimmte Arbeiten (Kunst, Kultur, soziales, Gesundheit) sind wichtig, da sie aber keiner bezahlen mag, sollen sie doch von den Bürgern bitteschön unentgeldlich durchgeführt werden. Und möglich ist diese Produktion nur, da sie andersweitig subventioniert wird: etwa durch staatliche Transferzahlungen. Ende des Traums von der nicht-kapitalistischen Produktion.
    In der Linken wird der nicht-monetäre Tausch verklärt: die Produktion erfolgt normal, aber sobald das Geld ins Spiel kommt empfindet man es als furchtbar böse und schreit “Kapitalismus, schlimm, schlimm”. Dagegen bleibt mit Adorno zu halten, dass das Tauschprinzip jeden Teil der Gesellschaft übernommen hat. hte.

    Dein Kritikpunkt trifft aber zu: ökonomisch habe ich keinen genauen Begriff von Markt, das stimmt sicher.

  9. monty Says:

    zum einen neigst du dazu deine kritik an gießler selbst zu erfüllen (das spezielle der kulturware wird in allgemeiner warenproduktion aufgelöst), zum anderen ist unklar was “die produktion erfolgt normal” eigentlich heißen soll. wenn außerdem nur auf den gesellschaftlichen gesamtzusammenhang rekuriert wird (irgendwie kommt ja jeder mit kapitalismus in berührung), heißt dieser natürlich immer kapitalismus. der unterschied zwischen produktion und warenproduktion wird mit diesem verweis nivelliert. auch eine graduelle analyse könnte interessant sein bei fragen wie und wofür eigentlich produziert wird. es gibt z.b. bands die ihre musik nicht an den zu erwartenden geschmack des publikums anpassen. d.h. auch, dass nicht produziert wird, um viel profit zu machen, sondern aus anderen gründen (das gilt nicht für subkulturell erfolgreiche nischenproduktion). das ziel muss jedoch sein: überleben. das kann durch subvention geschehen (z.b. durch produktion kommerziell erfolgreicher musik) oder durch tausch der kulturgüter auf einem niveau, das reproduktion ermöglicht (und das heißt wohl non-profit). im endeffekt entspricht das wohl der normativ regulierten kulturgutproduktion wie sie gießler im faschismus gesehen hat. schönberg als auch nazipropaganda oder linke propaganda bzw. alle kultur die nicht kommerziell erfolgreich ist, muss irgendwie die profitlogik des marktes durchbrechen….ach ich merke grade ich könnte noch stunden weiterschreiben…vielleicht einfach mal treffen, wa…

  10. classless Says:

    Warum hast du eigentlich kein Blog?

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