Slomo Eddersheim -> Wertheim

March 13th, 2009

Gastbeitrag von Cannabis Kommando

Neulich sah ich beim Spazierengehen am Main ein Schiff in der Staustufe – während der Schleusung hatte es ein paar Minuten Aufenthalt, in denen die Besatzung ansprechbar war, gerade wie bei einem Auto an der Zapfsäule. Diesen Montag habe ich es dann ausprobiert. Die ersten 90 Minuten an der Trampstelle Eddersheim passierte in meiner Richtung gar nichts, dann kommen gleich zwei Schiffe auf einmal: Ein ungarisches, das nach einer deutschen Stadt benannt ist, und ein deutsches, welches seinen Namen einem Mittelgebirge entlehnt.

Über die Schleusentore kann man auf die Seite der Kammer gelangen, wo das Steuerhaus besser zugänglich ist und einen der mit dem Vertauen beschäftigten Matrosen ansprechen, ob er seinen Kapitän wegen einer Mitfahrgelegenheit fragen kann. Der Ungar schickt mich wieder weg: Ich solle bei einem Schiff aus meinem eigenen Land fragen. Der deutsche Kapitän fragt seinen ukrainischen Matrosen, den ich als nächstes anspreche, ob er mit einem Gast einverstanden sei, der bejaht und ich darf an Bord kommen.

Ob er bis an mein Ziel fährt erfahre ich zunächst nicht, nur daß er mich erst mal zwei Staustufen weiter mitnimmt, wo ein S-Bahnhof in der Nähe ist. Der Kapitän hat eine Kaffeetasse mit dem Aufdruck “Ich verspreche nicht´s aber das halte ich auch” (Apostrophitis im Original) und weiß weder, woher die Ladung seines Schiffes – 700 Tonnen Düngemittelkonzentrat – kommt, noch wie sie verwendet werden wird. Während wir mit dem Tempo eines Radfahrers bergwärts fahren, sitze ich entweder auf einer bequemen Bank im Steuerhaus oder an Bord unter freiem Himmel und kann, nachdem wir Vertrauen gefaßt haben, auch Klo und Küche mitbenutzen.

Letzteres ist entscheidend, und bald stellt es sich als glückliche Entscheidung heraus, daß ich eine doppelte Essenskonserve zum Aufwärmen aus meiner letzten Vokü eingepackt habe. Denn als wir am Zwischenziel Offenbach ankommen, ist es schon Abend, und mein Endziel Wertheim wird das Schiff frühestens am Dienstagabend erreichen. Ich überschlage, daß mein Essen bis zum Dienstagnachmittag reichen wird, und darf im beheizten Steuerhaus übernachten. Von meiner Einladung zum Essen will der Kapitän freilich nichts wissen, und seinen Erklärungen entnehme ich, daß er sich, ganz gleich welcher Küche der Welt die Matrosen folgen, immer nur von Sauerkraut ernährt.

Morgens um fünf geht es weiter, den hochwasserführenden Main hinauf, mit immer wieder wechselnden Aussichten auf Industrieanlagen, Ortschaften und Natur. Trotz des widrigen Wetters ist der schönste Platz am Bug, wo das Geräusch des Wassers den Motorenlärm übertönt und die Zentralperspektive auf Fluß und Ufer fast unverstellt ist. Dennoch bleibt viel Zeit zum Gespräch, und der Schiffer rückt nach einer Weile damit heraus, daß einer der letzten seiner Familientradition ist. Die Einsparung der Schiffsjungen vor einer Generation habe dafür gesorgt, daß keine Matrosen und Kapitäne mehr nachwüchsen.

Für die 140 Kilometer flußaufwärts brauchen wir eineinhalb Tage und passieren 12 Staustufen, deren Abschirmung vom Land sehr unterschiedlich ist. Manche haben wie mein Ausgangspunkt gar keinen Zaun, bei anderen ist er symbolisch, bei wieder anderen ein echtes Hindernis, einmal sehe ich stattdessen einen Wassergraben, ein anderes mal eine offene Hecke. Wie die Autobahnraststätten werden auch die Staustufen von einer Bundesbehörde verwaltet und die Ausgestaltung kann dementsprechend unübersichtlich sein. Der Kapitän hat jede Menge Verbesserungsvorschläge und auch sonst eine erstaunliche Detailkenntnis über jede Einzelheit am Ufer.

Als wir schließlich in Wertheim ankommen, ist es schon längst wieder dunkel. Der Schiffer legt für die Nacht am Kai einer Zementfabrik an, und nachdem ich mich verabschiedet habe, finde ich mich auf einem Werksgelände wieder und muß erst einmal unter einem Stacheldrahtzaun durch. Bis ich am anderen Ortsausgang von Wertheim bin, regnet es in Strömen und obwohl sich meine Trampstelle unter einer Brücke befindet, gebe ich es nach einer Stunde auf heute noch weiterzukommen.

In einem Treppenhaus eines Parkhauses, welches gleichzeitig ein Zivilschutzbunker ist, entdecke ich schließlich einen trockenen, ungestörten und sauberen Platz mit kostenlosem Klo in Reichweite, und als ich dort von der Kälte aufwache und durch die menschenleere Stadt gehe, stellt sich zu meiner Überraschung heraus, daß gerade Sperrmüll ist, und kurz darauf kann ich unter einer warmen Decke weiterschlafen. Den restlichen Weg ins Landesinnere lege ich am nächsten Morgen mit dem Linienbus zurück.

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