Etwas “Entschwörungstheorie” bei “Bild” und “Stern”

May 3rd, 2011

dpa hatte mich zum Thema Osama Bin Laden und Verschwörungstheorien befragt und nun zitieren bild.de und stern.de (und jede Menge andere) aus meiner Antwort, die ich hier noch mal in voller Länge wiedergebe:

Zunächst ist zu unterscheiden zwischen offenem und geschlossenem Verschwörungsdenken – ersteres geht dem Wirken realer Verschwörungen nach (wie zum Beispiel der Al-Qaida) und versucht nicht die ganze Welt damit zu erklären; zweiteres funktioniert fast ausschließlich als Verschärfung oder Anhängsel bestehender Ideologien und zeichnet sich dadurch aus, daß die Fragen vorher schon beantwortet sind. Diese zweite Art von Verschwörungsdenken ist die mit großem Abstand weiter verbreitete.

Im Fall von Osama Bin Ladens Tod haben wir es mit einem Thema zu tun, daß schon seit Jahren ideologisch aufgeladen ist. Verschiedene Unklarheiten bezüglich 9/11 wurden im Sinne der obigen Unterschiedung zu Elementen einer geschlossenen Verschwörungsauffassung, die sich wiederum an bereits bestehende ideologische Feindschaft gegenüber den USA anschloß und diese massiv befeuern konnte.

Das offene Verschwörungsdenken behandelt diesen Fall wie alle anderen auch: der Regierung (und jeder anderen) ist zu mißtrauen; alles, was sie nicht beweisen kann, bleibt offen; was zu ihrer Agenda paßt, muß besonders genau untersucht werden.

Fürs geschlossene Verschwörungsdenken ist hingegen schon vorher längst sicher, daß was auch immer die Regierung sagt, und besonders in dieser Angelegenheit, nicht stimmt. Das heißt, es spielt letztlich gar keine Rolle, ob man stattdessen davon ausgeht, daß Bin Laden schon tot war, noch am Leben ist oder ob es ihn nie gegeben hat – entscheidend ist, daß die US-Regierung lügt, was für Idealisten der Demokratie, die die meisten der geschlossenen Verschwörungsdenker heute sind, ein unerhöhter Vorgang ist, mit dessen Denunziation sie hoffen, das dekadente Imperium zum Einsturz bringen zu können.

Grundsätzlich dienen geschlossene Verschwörungsauffassungen wie auch die Ideologien, an die sie sich anschließen, der Abwehr und Projektion. Probleme und Mißstände entstammen so nicht mehr der eigenen Gesellschaft oder Gruppe, sondern können als von außen kommend oder eingeschleppt beschrieben werden, als gezieltes Projekt einer feindseligen Verschwörung, was das eigene Kollektiv gleichzeitig aufwertet, da diese mächtige Verschwörung solche Anstrengungen unternimmt. Es können sodann Feinderklärungen abgegeben und Agenten oder nützliche Idioten verfolgt, ausgegrenzt, zuweilen auch umgebracht werden. Der Fehler liegt dann auf jeden Fall nicht mehr beim eigenen guten Kollektiv – auf Deutschland übertragen hieße das etwa: wir haben die soziale Marktwirtschaft, an uns kann’s ja nicht liegen, wenn es Mißstände gibt, liegt das an den Ausländern oder den Heuschrecken oder den Amerikanern (oder an ihren jeweiligen Zuarbeitern unter uns).

Die meisten geschlossenen Verschwörungsauffassungen entstammen denn auch staatlicher Propaganda, gerade die deutsche war in den letzten 200 Jahren diesbezüglich sehr produktiv. Und da nach wie vor die meisten Menschen ihr Wohlergehen mit dem ihrer Nation verknüpfen, die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft also leider in einiger Ferne zu sein scheint, wird es immer wieder genügend Anhänger der entsprechenden Empörung über lügende Regierungen, geheime Machenschaften und sonstige Regelverletzungen der idealen Demokratie geben.

Wenn mich nicht alles täuscht, ist dpa übrigens wegen dieses Tweets auf mich gestoßen, der von ein paar Leuten retweetet wurde:

“hab mich im Internet informiert: Osama bin Laden war schon längst tot, ist gar nicht tot und hat es nie gegeben”

11 Responses to “Etwas “Entschwörungstheorie” bei “Bild” und “Stern””

  1. no Says:

    der letzte Abschnitt hat es dann aber leider nicht in die Mainstreammedien geschafft. Das wäre ein feiner Hack gewesen.

  2. classless Says:

    @ no
    Deswegen hab ich’s ja auch noch mal gebloggt.

    @ puki
    Find’s auch lustig, bin nur gerade etwas kurz angebunden, weil unterwegs…

  3. Sexy Osama (54) ist tot - Seite 7 - inQuake Forum Says:

    […] classless Kulla __________________ […]

  4. Xenu's Pasta Says:

    Ich find’s ja schon ne ganz schöne Herausforderung an ihre Leser (nicht die der Bild), dasse den Part mit dem Kollektiv und der Projektion mit reingenommen haben. Da war der für Mainstreamkompatibilität zuständige Redakteur wohl grad Kaffee holen.
    Oder sag ich damit nur was über mein Bild vom Stern?

  5. classless Says:

    Automatische Übernahme von dpa?

  6. anonymous Says:

    haha … der kulla ist mainstream … hihi …

  7. torsun Says:

    daumen hoch! find ich richtig gut!

  8. classless Says:

    Guardian: Osama bin Laden death: The conspiracy theories

  9. Methan Says:

    Der STERN hat offenbar wieder mal nix verstanden, hätte mich auch gewundert.

  10. Donauwelle Says:

    Ich kann nachvollziehen dass Dir die Unterscheidung von offen und geschlossen wichtig ist, um herauszustellen dass dem Pannetta-Regime in dieser Sache einst eine unberührte Unschuldsvermutung gewährt wurde die jeder gerichtlichen Überprüfung standhält, aber hast Du denn nicht die Möglichkeit bedacht dass die Lokalisierungsdaten bereits eine Weile bekannt gewesen sein könnten? Die Amerikaner haben immer gesagt sobald sie ihn finden töten sie ihn, aber so wie es jetzt aussieht haben sie ihn eine ganze Weile observiert bis jetzt der Impuls ihn zu töten als dezisionistische Geste aus dem Innersten des Apparats kam anstatt als bedingter Reflex der Front. In Bezug auf Totalitarismen die sich derart jäh aufgebläht haben wie der amerikanische (über den Dissidenten mittlerweile offen sagen er sei schlimmer geworden als selbst unter Nixon) kann auch eine so feine Unterscheidung richtungsweisend sein (es war nicht der einzige derartige Angriff in dieser “Woche der langen Messer”). Wenn die Spitzen der Hierarchie für geraume Zeit geschwankt haben ob weiter observieren oder massakrieren, was hat sie schlussendlich zu ihrer Entscheidung bewegt? Welche Information hat das labile Gleichgewicht im amerikanischen Repressionsapparat kippen lassen? Hatte die Entscheidung über seinen Todeszeitpunkt überhaupt noch etwas mit ihm selbst zu tun, oder ging es dabei nur noch darum mit dem drastischen Spektakel eine von der Person völlig unabhängige Information zu übertönen? Welche?

  11. Donauwelle Says:

    http://www.hindu.com/2011/05/05/stories/2011050566470100.htm

    Gilani is right and wrong both at the same time: It seems his statement is a blatant lie with regard to the named target, but appears strikingly correct regarding an unnamed target who is being perceived as a bigger threat by the regimes but apparently managed to escape them all. Who?

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