Amerikanischer kommunistischer Untergrund von innen

March 11th, 2011

Bevor die etwa zur Hälfte von mir besorgte deutsche Übersetzung von Dan Bergers “Outlaws of America“, der Überblicksdarstellung zum Weather Underground, erscheint, können Interessierte sich zumindest die Vorgeschichte und Anfänge der Gruppe aus “entschieden subjektiver” Sicht (Bernd Volkert im Vorwort) eines ihrer Protagonisten erzählen lassen. Im Ventil Verlag erschien schon letztes Jahr “Flüchtige Tage” von Bill Ayers, einem der Mitbegründer der Weatherman-Fraktion der SDS, der zum Beispiel mit seiner “Fight the People”-Rede auf der National Action Conference 1969 den Ton vorgab: gegen die weiße Mehrheit und ihre Komplizenschaft.

Wer sich von dem Buch ein historisches Gesamtbild oder eine ausgewogene Erörterung über Gewalt und Verantwortlichkeit erwartet, wird enttäuscht sein. “Memory is a motherfucker”, sagt Ayers und windet sich eine lange Einleitung um die Frage herum, was an seinen Erinnerungen stimmt und was so alles fehlt. Jesse Lemisch beschrieb es denn auch als “dubious account, full of anachronisms, inaccuracies, unacknowledged borrowings from unnamed sources (…). It’s also faux literary and soft core (…), full of archaic sexism, littered with boasts of Ayers’s sexual achievements, utterly untouched by feminism.” Auch sei gerade die Positionierung der Gruppe damals gegen den Rassismus und die eigenen weißen Privilegien zum Teil aus dem Blick geraten, wenn es zum Beipsiel darum geht, daß Ayers nach seinem Wiederauftauchen fast unbehelligt blieb, während die meisten Aktivisten der Schwarzenbewegung jahrelange Haftstrafen bekamen oder schon damals getötet wurden.

Auch Jörg Auberg watscht das Buch bei satt.org ziemlich ab, weil “der Weather Underground weniger als eine hierarchisch organisierte und autoritär geführte marxistisch-leninistische Kaderorganisation denn als eine Gruppe romantischer Outlaws” erscheine: “…kein Wort über die zynischen Positionswechsel vom Pop-Maoismus der späten 1960er Jahre zum proletophilen Marxismus-Leninismus der 1970er Jahre oder über die stalinistischen Methoden der selbsternannten »neuen roten Armee«.”

So sehr es stimmt, daß die spätere Entwicklung im Buch kaum vorkommt, so sehr geht diese Kritik aber auch an der Erzählung vorbei, die sich fast zur Hälfte vor der Entstehung von Weatherman abspielt und in der die Zeit nach dem Gang in den Untergrund nur noch fragmentarisch auftaucht. Es scheint gerade darum zu gehen, die aufgeregten Diskussionen seither (die nach dem Erscheinen des Buches in den USA 2001 und nach Sarah Palins Verweis auf Ayers als “Obama’s terrorist friend” im Wahlkampf 2008 auch munter wieder aufflammten) beiseite zu nehmen und zu rekapitulieren, wie die Gruppe damals zustandekam bzw. wie einer von ihnen sich im Laufe seines Lebens nach und nach radikalisierte.

Und in diesem Bericht finden sich viele gute Beobachtungen und Parallelen, etwa in der Beschreibung des Guerillakriegs in Vietnam und der eigenen Untergrund-Strategie:

>>In Vietnam gab es keine festgelegten Grenzen oder klaren Linien zwischen dem Realen und dem Irrealen, zwischen dem Sichtbaren und dem Verborgenen. Manches war real und irreal zugleich oder in einigen Aspekten real und in anderen nicht. Was mich so anzog, war ein Widerspruch. Unzählige Dörfer auf dem Land unterstanden tagsüber der Kontrolle der Regierung, nachts der Guerilla. Vieles war unklar und vieles hing davon ab, welche Perspektive man hatte. Die Vorstellung von einem Mord- und einem Südvietnam spielte ebenfalls eine große Rolle in Politik, Strategie und Taktik, doch die Grenze war pure Erfindung, eine Fiktion, wirklich und unwirklich zugleich.<< Und der eigene Untergrund: >>Es gab kein Labyrinth aus Tunneln, keine getarnten Eingänge und Falltüren, keine Fluchtwege oder Geheimkammern hinter falschen Wänden. (…) Ich begriff, dass der Untergrund zwei Schritte vor meiner eigenen Haustür begonnen hatte, dass die verborgene Welt als paralleles Universum neben der sichtbaren Welt existiert. (…) In Vietnam gab es Berge und Urwald – wir entdeckten, dass der verborgene Dschungelpfad und der Geheimtunnel ihre Entsprechung in der wasserdichten falschen Identität und im sicheren Haus hatten. (…) Wir verschwanden nicht aus der Welt, sondern in eine Welt, in eine erfundene, improvisierte (…) Der Untergrund hatte weder feste Grenzen, noch war er ein Punkt auf einer Landkarte, das stand fest, und er hatte mehr mit Magie zu tun, als alles andere, was ich je erlebt hatte. (…) Unsere Fahndungsfotos hingen überall, in Postämtern und Polizeiwachen, in Banken und Busstationen. Das Risiko waren wir selbst.<< Ayers gibt auch wichtige Hinweise dazu, warum es überhaupt gelang, zehn Jahre im Untergrund bleiben zu können: sie wurden nicht verpfiffen.

>>In diesem ersten Jahr zog ich mehrmals um, organisierte zweiundzwanzig Verstecke für den Notfall, baute acht komplette Ausweissätze, hielt achtundzwanzig Treffen mit alten Freunden ab, von denen keiner die Cops anrief und die meisten Unterstützung anboten. Zwölf Mal mindestens wurde ich auf der Straße erkannt und nie verpfiffen. Wir waren nur wenige, doch wir alle hatten Dutzende von Gründen, uns mit den anderen verbunden und sicher zu fühlen. Ich jedenfalls kam mir keineswegs isoliert vor.<< Außerdem läuft unter der Erzählung eine Drogengeschichte mit, die mal deutlicher, mal weniger deutlich zu erkennen ist. Wie bei vielen anderen zu jener Zeit auch, fielen bei Ayers die erste Politisierung mit dem Campus und dem Kiffen zusammen, was für die “demokratische” Phase seines Engagements prägend bleiben sollte und sich überall im Text sprachlich wiederfindet. Um die Zeit der Ausweitung des Vietnamkriegs ab 1965 kommt mit den kommunistischen Inhalten zum Dope Acid hinzu, was sich unter anderem im faszinierten Ton solcher Stellen andeutet: “In Vietnam verschleierte stets eine Ebene die andere, gab es Bedeutungen innerhalb von Bedeutungen, waren Beziehungen kaum durchschaubar.”

Im Augenblick der drastischen Radikalisierung um 1969, im Moment der Gründung von Weatherman also, gab es allerdings nur noch Speed: “Dope und Alkohol waren nun verpönt, doch immer mehr von uns warfen sich nun Bennies ein.” David Gilbert sprach davon, wie sich die Aktivisten zu der Zeit “mental aufputschten”, sich also mit allen Mitteln aus ihrem weißen Mittelklasse-Pazifismus herauszureißen versuchten, um sich auf den “bewaffneten Kampf” vorzubereiten. Dabei schien Speed eine wesentliche Rolle zu spielen:

>>Es war, wie mir ein Freund mal erklärte, die Intensität an sich, die kein Außenstehender je ganz begreifen konnte. Wer nie einen Sturm mit einer Geschwindigkeit von hundert Meilen pro Stunde miterlebt hat, nimmt an, das ist wie einer mit dreiunddreißig Meilen pro Stunde mal drei. Er verbindet es mit etwas Normalem und selbst Erlebtem, etwas, das ihm bekannt ist, und dann multipliziert er es einfach. Für ihn ist es etwas Vertrautes, nur stärker. Nein, erklärst du ihm, völlig falsch. Ein Sturm mit dreiunddreißig Meilen pro Stunde ist heftig – aber du kannst immer noch atmen und hören und die dir bekannte Welt erfassen. Einer mit hundert Meilen schnürt dir die Luft ab und heult in deiner leergefegten Birne, den hält nichts auf, so einer ordnet die Welt neu. Er hat verheerende Wirkung: Türen werden aus den Angeln gerissen, Bäume entwurzelt, Küstenverläufe neu gezogen. Leute, die nur Stürme mit dreiunddreißig Meilen kennen, glauben, du übertreibst mit deinen Geschichten vom Hundert-Meilen-Sturm, du dichtest was dazu. Wir aber befanden uns in einem Hundert-Meilen-Sturm und kannten den Unterschied.<< Derjenige, der diesem Pfad am weitesten folgte und die einzigen gezielten Weather-Anschläge auf Menschen vorbereitete, griff zu Meth:

>>Oh ja, Terry hörte sich jeden Tag alttestamentarischer an.
Schlaf hatte er sich völlig abgewöhnt und stärkte sich stattdessen mit Metamphetaminen
[!], kleinen grünen Pillen, die er pausenlos einwarf. Speed sorgte für das befriedigende Gefühl, unglaublich schnittig zu sein, immer voll in Schwung und brillant und unbeirrbar am Ball, und all das vierundzwanzig Stunden am Tag: Man hatte viel mehr Zeit zur Verfügung, um tolle Sachen zu machen. Alles Alte ist schlecht, sagte er. Und alles Neue ist gut. Er begann sich in Träumen als Toter und als Lebender gleichzeitig zu sehen. Halluzinierte Flugzeuge am Himmel. Eines Nachts weckte er mich um drei Uhr auf und zeigte mir seine Pläne, wie man die First National Bank in der City von Chicago abfackeln konnte – alle siebenundfünfzig Etagen, in etlichen waren Büros von Commonwealth Edison untergebracht – und simultan die Christbäume im Rockefeller Center und an der Mall in Washington. (…) Wir waren völlig überdreht und reizbar und preschten immer weiter vor.<<


Townhouse-Explosion 1970

Als Terrys selbstgebastelte Bomben hochgehen, er selbst und zwei weitere Weather-Mitglieder dabei ums Leben kommen und die die gesamte Organisation hastig den halb vorbereiteten Gang in den Untergrund antritt, treffen sich einige der führenden Mitglieder in Kalifornien am Meer. Ihr Gastgeber Jeffrey, der später im Buch die konspirativen Vorzüge des Nasebohrens loben wird, “fand, dass wir jetzt erst mal wieder zu Atem kommen sollten. Wir haben noch viel Zeit, wiederholte er. (…) Jawohl, es war Häresie, doch hatte es etwas Beruhigendes, und seltsamerweise war mir plötzlich, als würde ich gleich losflennen.”

Und es gibt wieder Dope:

>>Statt des routinemäßig aufgezwungenen Kraftakts von wenig Schlaf und endlosen Debatten, Speed und schlechter Ernährung machten wir Spaziergänge, bereiteten gemeinsam die Mahlzeiten zu und aßen in aller Ruhe. Es kam mir so komisch vor, dieses normale Leben. Jeden Abend sahen wir die Sonne im Pazifik versinken, tranken Wein oder rauchten einen Joint, holten tief Luft und schliefen die ganze Nacht durch.<< Dieser Moment ist auch in der Weather-Doku von 2002 gut erkennbar, wo Ayers (etwa bei 47:30) rückblickend sagt: “We took a deep, deep breath and a big step back from the precipes… A terrible error had been made… that is was definitely wrong to unleash indsicriminate violence against ordinary people, that that was actually terrorism.” Und Laura Whitehorn: “I didn’t say at any point: wait a second…”

Danach überlebten sie jahrelang als bundesweit Gesuchte im Untergrund und verübten zahllose Anschläge fast ohne Opfer, aber mit beträchtlichem Sachschaden an Gebäuden wie dem Pentagon, dem Capitol und dem Hauptquartier der Nationalgarde, meist in direkter Reaktion auf staatliche Repression, rassistische Übergriffe und Ausweitungen des Krieges. Erst später wurde die Gruppe zur maoistischen Sekte mit immer übleren Kritik- und Selbstkritik-Orgien. Dieser Entwicklung wie auch überhaupt der Geschichte des Weather Underground ist, wie gesagt, Dan Berger in “Outlaws of America” nachgegangen (auf deutsch dann demnächst als “Amerikas Gesetzlose” bei Laika) und liefert damit vielleicht das, was sich viele Rezensenten von Ayers’ literarischen Erinnerungen erwartet hatten. Seinen subjektiven Ansatz hat Ayers vielleicht selbst am besten zusammengefaßt:

>>Was immer als nächstes geschah, ich würde meine Wahl mit offenen Augen treffen. Und selbst wenn ich vielleicht irrte, ein Spinner war, beschränkt oder unfähig, ich würde nicht die Leidensrolle des unseligen Opfers spielen. Auch wenn ich zermalmt würde, ich würde mich nie beschweren und nie Klage einreichen. Das Leben ist hart. Geh und besorg dir einen Helm.<<

9 Responses to “Amerikanischer kommunistischer Untergrund von innen”

  1. Donauwelle Says:

    Statt Giftpfeile im Wahlkampf könnten die Weathermen Zeugen dafür sein wer bei der seitherigen Eskalation des Drohnenkrieges und der Überwachungsfolter die treibende Kraft ist, Pannetta oder Obama. Das finde ich aus der Außenansicht schwierig zu bestimmen aber wichtig zu wissen. Befindet sich das Weiße Haus in babylonischer Gefangenschaft des Geheimdienstes oder ist es voll schuldfähig?

  2. saltzundessick Says:

    hab ich mir tatsaechlich bestellt. wenn mir das nicht gefaellt, will ich von dir mein geld zurueck.

  3. classless Says:

    Da wage ich mal lieber keine Prognose.

  4. torsun Says:

    hab reingelesen und fands bisher sehr spannend und informativ.

  5. saltzundessick Says:

    na toll. dann muss ich es ja schon aus prinzip scheisse finden.

  6. torsun Says:

    eben!

  7. Eskalation Says:

    Ich habs mir auch mal bestellt. Ich bin mal gespannt was mich erwartet. 🙂

  8. saltzundessick Says:

    classless zahlt alles!

  9. Donauwelle Says:

    http://www.indybay.org/newsitems/2009/07/28/18612869.php

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