Doch Lernprozeß

February 26th, 2006

Ich bin selbst ein Beispiel dafür, daß – wenn auch nicht unbedingt gutes – Zureden etwas ändert. Noch vor drei Jahren war ich der Ansicht, die Regierung der USA hätte den WTC-Anschlag benutzt, um einen möglichst langen globalen Krieg auszulösen; ich hatte nicht wirklich einen Plan davon, wie bedroht Israel ist; mir war der Zusammenhang zwischen Wertverwertung und Antisemitismus nur mäßig wenn überhaupt bekannt; ich hatte keinen Begriff, um den Volksgemeinschaftscharakter der DDR zu bezeichnen usw. usf.

Wäre ich einfach zum Feind erklärt und bekämpft worden, hätte ich möglicherweise vieles nie begriffen, weshalb ich auch heute auf diese Frontmacherei oft sehr allergisch reagiere. Ich mußte z.B. erstmal rausfinden, wie viel an Grundlagenkritik sich aus der Kritischen Theorie ableitete und fing _dann_ an, Adorno zu lesen. Das wußte ich vorher einfach nicht.

Ich fange nicht an, mit den Freien Kräften zu diskutieren, die kriegen auf die Fresse, klar. Und je nationalbolschewistischer Teile der Linken daherkommen, desto weniger Möglichkeiten zur Intervention sehe ich bei ihnen. Es gibt keinen Grund, alles zu tun, um den “Dialog” aufrechtzuerhalten. Aber es gibt viele, die gar nicht festgelegt sind und es auch nicht unbedingt werden müssen.

Warum war es mir möglich, mich von falschen Vorstellungen zu trennen und auch die Konsequenzen in bezug auf bestimmte Freundschaften oder Szenekreise zu ziehen? Deswegen glaube ich nicht, “die deutsche Linke”TM grundsätzlich ändern zu können, würde aber dennoch nicht alle ihrer Teilnehmenden abschreiben.

Und das liegt nicht daran, daß ich aus ihren Kreisen nicht auch oft genug ausgeschlossen wurde oder auf einen militanten Gruppenmief gestoßen wäre. Das war aber nicht die ganze Erfahrung.

Was mich lagerübergreifend ärgert, ist, daß das, was gerade geglaubt und für richtig befunden wird, dann schon immer gut gefunden worden sein soll; als würden alle mit ihren Anschauungen auf die Welt kommen!

Es mögen ja immer verdammt wenige sein, die bestimmte Zusammenhänge verstanden haben, aber auch die sind irgendwie an diesen Punkt gekommen, oft durch absurde Zufälle wie die Entdeckung eines Buches oder einer Netzseite, viel häufiger aus bloßer persönlicher Loyalität (was nur sehr selten eingestanden wird). Sich dann nach all der erfolgten Minderheitenlektüre und den erlebten speziellen Diskussionszusammenhängen hinzustellen und andere dafür zu beschimpfen, daß sie all das nicht mitbekommen haben, ergibt für mich keinen Sinn.

Ob das schlußendliche Gesprächsangebot dann in einer “kritischen Intervention”, einem Bruhnschen “Schock” oder wie bei Wau Holland in einem Hack besteht – ohne die Annahme einer bestimmten Wirkung könnte man das alles bleiben lassen.

6 Responses to “Doch Lernprozeß”

  1. classless Kulla » Blog Archive » Golden Oldies Says:

    […] wichtigen und oft verlinkten Einzelpostings (z.B. dem hier) gibt es jetzt auch alle Postings aus dem Jahr 2004, also aus dem ersten Monat des […]

  2. saltzundessick Says:

    mich wuerde mal interessieren, ob du das heute immer noch so siehst. also nur, wenn du lust hast.
    und um dir ein wenig zu widersprechen: es gibt schon grundwerte, die einen ueber sehr lange zeit begleiten und sich auch nicht zufaellig aendern. also zumindest ist es bei mir so.

  3. classless Says:

    Mag sein, daß sich vieles nicht ändert, angesichts des Zustands der Welt wäre es aber besser wenn sich was ändert, sonst ändert sich ja nichts.

    Wenn ich nicht wenigstens grundsätzlich von der Lernfähigkeit ausgehen würde, wäre z.B. meine Vortragstätigkeit nicht durchzuhalten. Ich würde auch behaupten, daß ich dabei immer wieder allerlei bewegt haben dürfte.

    Obwohl es wohl nach wie vor diesbezüglich eine seltsame Fehleinschätzung zu geben scheint: mein durchaus umfangreicher und fröhlicher Aktionismus (Gruppen-Cut-up, Entschwörung, Mucke) scheint von sehr vielen erheblich weniger wahrgenommen zu werden als meine zynischen Kommentare. Aber daß ich so vieles doof finde und so schwer zu beeindrucken bin, heiß0t ja nicht, daß ich von nichts beeindruckt oder begeistert werde.

    Vielleicht ist das gerade echt die beste Idee, eine Platte aufzunehmen. 😉

  4. saltzundessick Says:

    also ehrlich, ich krieg ja kaum was mit, aber ‘zynisch’ ist wohl das letzte wort, was mir bei dir einfallen wuerde.

  5. classless Says:

    Es ist vermutlich das häufigste beschreibende Adjektiv, das ich zu hören kriege. Außerdem meckere ich ständig, nörgele rum, sehe immer nur das Negative, mache es mir zu einfach und habe ja leicht reden.

    Hier übrigens die Nachfolgepostings zum Lernprozeß.

  6. Says:

    zynisch? finde ich auch seltsam. das ‘letzte’ wort ist es sicher nicht, da kommen noch sachen wie, öh, ‘nazi’ oder so.

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