23C3 Fahrplan

November 29th, 2006

Mein Verlangen nach diskordischem Fundamentalismus ist erhört worden! Zumindest ein bißchen. Nicht nur tragen die Engel dieses Jahr auf dem Kongreß T-Shirts, auf denen “Trust me” steht, nicht nur ist das Motto eine Frage und das Logo der Apfel der Zwietracht, auch im Programm findet sich allerlei mehr oder weniger Verwandtes.

Neben unserem Vortrag über Chaos und Kritische Theorie gibt es noch einen über “Culture Jamming & Discordianism – Illegal Art & Religious Bricolage” von Autumn Tyr-Salvia (Discordian.com).

Werner wird unter dem Titel “To live outside the law you gotta be honest” über Hacker-Ethik reden, aber auch der Chaos-Lautsprecher wird sich zum Thema Diskordianismus verbreiten. Der Müller wird mit seiner Rückschau auf die “Kritik an den Illuminaten zwischen 1787 und 2006” wohl noch mal anschaulich zeigen, was bisher gewöhnlich der Haken an der hiesigen diskordischen Szene gewesen ist. In der Ankündigung schreibt er:

>>Bereits 1787 formulierte der Theologe Benedikt Stattler in seiner Schrift “Das Geheimniß der Bosheit des Stifters des Illuminatismus in Baiern zur Warnung der Unvorsichtigen hell aufgedeckt von einem seiner alten Kenner und Freunde” Kritik an dem von Adam Weishaupt gegründeten Illuminatenorden. Der CCC hat sich in vielen Aspekten in seiner Eigenschaft als discordische Vereinigung ebenfalls in kritischer Art und Weise mit Plänen und Aktionen der Illuminaten im Sinne der “New World Order” und Aktionen wie der “Total Information Awareness” auseinandergesetzt.<< Nicht nur erscheint es mir so absurd wie bezeichnend, sich positiv auf den konterrevolutionären Verteidiger der absolutistischen Sozialordnung Stattler zu berufen, der sich dazumal in drei langen Bänden in Kant verbiß und von dem auch Pamphlete stammen wie das 1791 erschienene über den "Unsinn der frz. Freyheits-Philos. im Entwurfe ihrer neuen Konstitution z. Warnung und Belehrung deutscher französelnder Philosophen ins helle Licht gestellet". Die minderdimensionale Assoziation der Illuminaten mit dem Konspirationisten-Schlager der "New World Order" läßt eher Peinliches erwarten. Vielleicht könnte es Spaß machen, mit lauter Trikolörchen aufzutauchen und Schilder zu zeigen, auf denen "Aux armes citoyen" steht. Aber klar auch, wer heute die Franzosen sind: >>Mit dem 11.09.2001 hat nun nicht nur die Diskussion um verborgene Mächte und ihren Einfluss eine neue Dimension gewonnen, auch ein Vielzahl von Sachzusammenhangstheorien zwischen Vorgängen, Personengruppen und Auseinandersetzungen, die man partiell schon als Komponenten eines nicht-erklärten Dritten Weltkrieges zuordnet, entwickelten sich. Der Einfluss des Discordianismus ist hier auch in empfindlicher Art und Weise zurückgedrängt worden.<< Das würde ich aber auch sagen. Wenn solche Holzhammer-Gedanken sprießen, ist der Dischord wohl ordentlich verschüttet. Auch beim Fnord-Jahresrückblick müßte sich einiges grundsätzlich gegenüber letztem Jahr ändern, damit er wirklich wie angekündigt hilft, “die Fnords zu sehen” und nicht nur die ressentiment-bestätigenden Meldungen bei Spiegel Online kompliliert.

“Hacking Capitalism” hat wohl leider wenig mit angewandter Wertkritik zu tun, ebenso unklar ist, was von der Teilnehmenden Beobachtung unter Hackern zu halten ist. So erfreulich jeder Vortrag zum Geschlechterverhältnis in der Hackerszene ist, daß Tina Lorenz’ “Pornography and Technology” jedoch mit den Bestimmungen aufwartet, daß Pornographie wenig, wenn überhaupt etwas mit Sex zu tun hat und andersherum Sex keine besonders ästhetische Angelegenheit ist, lädt nicht gerade dazu ein, den restlichen Gedankengang zu hören.

Erfreulichkeiten werden hingegen der Funkerspuk, Oonas Vergleich der Radiopolitik in den USA und Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und Henriette Fiebigs “Geschichte der Automaten, Androiden und Homunculi”, die uns in die Welt der Wasserkraft und Alchemie zurückversetzen wird.

Auch “Revenge of the Female Nerds” von Annalee Newitz klingt vielversprechend.

Soviel nach dem ersten Blick aufs Programm, mehr wird folgen.

20 Responses to “23C3 Fahrplan”

  1. Thomas Says:

    Concordia gibt’s hier: http://www.concordiastation.org/DOMEC/HTML/concordia.html
    Man beachte die Pyramide…

  2. Tom Says:

    Heil Eris!
    Schön das es Sie noch gibt, die Diskordier auf diesem Erdteil, genannt Doitschland. Mal sehen was so abgeht auf 23C3.

    FNORD

  3. Mathias Says:

    Ach Herr Kulla..

    Man kann ja inhaltlich ueber Ihre Vortraege durchaus geteilter Meinung sein. Ebenso verhaelt es sich mit denen des Herrn Mueller-Maguhn.
    Eines hat er Ihnen jedoch voraus: Er war in der Lage, eine Beschreibung seines geplanten Vortrags zu verfassen, die ein Hacker ebenso wie ein Nicht-Hacker versteht. Das gelang Ihnen auch in der dritten Revision zu Ihrer Ankuendigung, getreu der jahrelangen Tradition, leider wieder nicht.

  4. Hagbard Jesus Celine Says:

    Ts, ts, ts, Herr(!) Kulla, der neue Diskordier ist verständlich, schnittig und stellt keine Fragen – haben Sie das nicht gewusst?!

    Und überhaupt: trägt Kulla dieses Jahr nicht zusammen mit Frau(!) Leganovic vor? Wie fügt sich das in die Tradition?

    Schon wieder so viele Frage, mir schwirrt der Kopf, ich bin kein guter Hacker, nein, ich bin kein guter Hacker…

  5. scrupeda Says:

    Was soll denn das Ausrufezeichen nach dem “Frau” heißen?

  6. Hagbard Jesus Celine Says:

    Das sollte unterstreichen, warum “Mathias” Sie wohl übersehen hat, Frau Leganovic!

  7. dan Says:

    ja, bin ma gespannt … vermute mal nen komplett gefüllten raum an nerds bei tinas vortrag 😉

  8. classless Says:

    Wie bei der GPN – den Saal voll hatte ich durch die Hinzufügung von Sex zum Titel des “Dope und Mate”-Vortrags…

  9. tina Says:

    Hi Daniel,

    ich werde diese im Abstract sehr kurz gehaltenen Thesen selbstverstaendlich argumentativ untermauern – ich denk mir ja was bei meinen Beschreibungen. Ich hoffe doch sehr, dass du zumindest zur Diskussion danach anwesend bist, damit du deine Gegenthesen vorstellen kannst, die wir dann diskutieren koennen (kannst ja bei den Bildbeispielen die Augen zumachen 🙂 Mir ist klar, dass die Nerds vor allem auf Anekdoten und lustige Fleischbildchen hoffen werden, aber ich beschaeftige mich mit Pornographie und visueller Abstraktion durchaus auf einem akademischen Level und habe auch mittlerweile auch soviel gesehen, um fundierte Aussagen machen zu koennen.

    Ich stehe weiterhin zu meinen Thesen, dass Pornographie mit Sex nur marginal etwas zu tun hat und dass echter Sex zwischen zwei sich liebenden, realen Menschen unaesthetisch ist, oder zumindest eine komplett andere Aesthetik hat. Und das ist auch verdammt gut so. 🙂

    Ich bitte um Ausfuehrung deiner Gegenargumente.

  10. classless Says:

    Ich hab kein wissenschaftliches Gegenkonzept, es ist die reine Empirie. Pornographie scheint mir zumindest in den allermeisten Fällen die Darstellung von Sex zu sein und als solche auf Sex zu beruhen. Vieles davon finde ich sexuell erregend und würde zumindest annehmen, daß das vielen anderen ebenso geht. Wenn das nur ein marginaler Zusammenhang ist, nun ja.

    Deine Aussage, “dass echter Sex zwischen zwei sich liebenden, realen Menschen unaesthetisch ist, oder zumindest eine komplett andere Aesthetik hat”, hat jetzt aber schon einen anderen Turn als in der Ankündigung, weil “unästhetisch” und “andere Ästhetik” für mich ziemlich weit auseinanderliegen. Ich würde dennoch diese Trennschärfe zwischen Realität und Repräsentation an der Stelle zumindest befremdlich finden, da sich zwischen dem abgebildeten, kulturell vermittelten und dem “realen” Sex doch so etwas wie eine Wechselwirkung abspielt.

    Oder vertrittst du eine Position, nach der Liebende just like that medial und kulturell unbeeinflußt aus dem Bauch heraus handeln?

  11. tina Says:

    Aesthetik im deutschen Sprachraum bezieht sich auf sinnliche Wahrnehmung allgemein, oder speziell auf Kunst bezogen. Kunst, und damit auch Fiktion haben nach dieser Definition eine Aesthetik. Sex, der real ist und auf voellig anderen Sinneseindruecken beruht, hat keine, im gleichen Definitionsraum. Der deutsche Begriff der Aesthetik ist *entweder* auf Kunst, *oder* auf Sinneswahrnehmungen anzuwenden. Nicht auf beides gleichzeitig. Im Englischen wiederum ist der Begriff ‘aesthetics’ ein ganz anderer und versucht nur, empirisch zu beschreiben, was wir als ‘schoen’ oder ‘haesslich’ empfinden. Und da scheiden sich natuerlich die Geister – ist Pornographie jetzt schoen oder haesslich? Ist es Sex? Das muss jeder fuer sich selbst beantworten. 🙂

    Und ja, trotzdem Pornographie den Zweck hat, Menschen sexuell zu erregen, liegen zwischen dem reinen Produkt des pornographischen Films und dem realen sexuellen Erlebnis Welten. Haptik ist ein nicht zu unterschaetzender Faktor dabei. Und Pornographie als Darstellung von Sex? Hast du schonmal versucht, dir etwas rektal einzufuehren, das mehr als 15cm Durchmesser hat? Das koennen nur geuebte Profis. Pornographie ist, grade durch Innovationen im Bereich der Technik, zu etwas sehr Abstraktem geworden, das voellig ueberhoeht Dinge zeigt, die Laien generell nicht nachmachen oder nachmachen sollten. Du kannst mir nicht erklaeren, dass das, was die Darsteller vor der Kamera machen, Sex ist. Ich bitte dich. 🙂 Diese Choreographie, das fast voellige Fehlen von Koerperfluessigkeiten, diese rasanten Stellungswechsel, die Dialoge… das ist alles hoch fiktiv. Und Sex ist in den seltensten Faellen fiktiv.

    Und die mediale Beeinflussung… hm. Ich weiss, dass die Pornographie in den 20er Jahren durchaus emanzipierte und selbstbestimmte Frauen gefeatured hat, waehrend die Filme der 30er ein sehr mieses Frauenbild propagierten. Aber was heisst das fuer die Gesellschaft? Es koennte sein, dass die Frauen in den Fabriken, die neue reale Unabhaengigkeit der Frauen im Krieg die filmemachenden Maenner so sehr verunsichert hat, dass sie, wie Seesslen in ‘Der pornographische Film’ schreibt, die Frau zumindest in ihren filmgewordenen Sexphantasien abwerten und erniedrigen mussten. Wie das allerdings zu der Zeit in den Schlafzimmern ausgesehen hat, ist nicht belegt. Das geht mehr in den Bereich der Genderforschung, damit hab ich mich nicht auseinandergesetzt.

    Mein Thema auf dem Congress ist ein sehr abgegrenztes, naemlich die Beziehung der Pornographie zur Technikentwicklung. Dazu gehoert auch die Wahrnehmungsgeschichte der Pornographie. Und diese wiederum macht diese Trennung zwischen Realitaet und Repraesentation sehr wohl.

  12. classless Says:

    Ich versuche vergeblich, hinter deine ersten drei Sätze zu steigen. Etwas Reales hat keine Ästhetik? Sex hat nichts mit sinnlicher Wahrnehmung zu tun? Es geht dir um das Essential “Sex” unabhängig von seiner Wahrnehmung?

    Klär mich auf.

  13. tina Says:

    Aeh, du hast mich missverstanden. Ich sprach von zwei verschiedenen Definitionen eines einzigen Begriffes, die man nicht miteinander vergleichen sollte. Ich glaub aber, das erklaer ich dir in Ruhe auf dem Congress 🙂

  14. classless Says:

    Okay. Wie sagt mein Papa: “Die Menscheit zerfällt in zwei Teile. Die eine drückt sich falsch aus und die andere mißversteht das.” 🙂

  15. nonono Says:

    Ich schnall das auch nicht: egal nach welcher Definition – in der Ankündigung zum Vortrag steht da, wenn auch verschachtelt, dass Sex meist keine ästhetische Angelegenheit sei. Was er aber nach meinem Dafürhalten (meist) ist. Was denn nun?

  16. tina Says:

    nonono: dann haben wir eine unterschiedliche Auffassung von Aesthetik. Kein Beinbruch. 🙂 Grade bei Themen, wo jeder quasi Experte ist oder zumindest empirische Erfahrungen hat, gehen die Meinungen oft auseinander, das ist okay. 🙂

  17. ABK Says:

    @tina
    Also mir kommt deine gesamte Argumentation etwas verzettelt vor. Und das mit dem Definitionsraum is ja wohl ein Bauerntrick. Wirklich stutzig geworden bin ich aber an dieser Stelle: “das fast voellige Fehlen von Koerperfluessigkeiten”. Dieser Kritikpunkt is mir in Bezug auf Pornographie wirklich noch nie unter gekommen. Vielleicht guckst du ja auch nur die falschen Pornos?!

    @all
    Und wieso ist mein erster Gedanke, wenn ich lese, dass eine Frau einen Vortrag über Pornographie hält: Die ist bestimmt hässlich. Das ist wirklich eine Frage. Und nein, ich bin nicht stolz auf diesen Gedanken.

  18. classless Says:

    @ABK
    Das mit den Körperflüssigkeiten hat mich auch gewundert – es gibt Pornos ohne, mit wenig, mit viel und fast nur mit Körperflüssigkeiten, auch welche über Körperflüssigkeiten, und es sind so ziemlich alle Körperflüssigkeiten vertreten.

    Das zweite läßt sich wohl so erklären: Du hast auch manchmal ganz schön einen am Laufen.

  19. ABK Says:

    Aso, es beruhigt mich zwar nicht unbedingt, das zu hören, aber schön ist es trotzdem irgendwie…

  20. classless Kulla » Blog Archive » 23C3: Einmal werden wir noch wach Says:

    […] Morgen ist Startschuß zum diesjährigen Chaos Communication Congress, der aus verschiedenen Gründen besonders lustig werden dürfte. […]

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