Jungle World vs. Johannes Thumfart

December 10th, 2010

So, jetzt bitte gegebenenfalls noch mal die Aussagen über die Jungle überdenken! In der neuen Ausgabe nimmt nämlich – wie erwartet – Cord Riechelmann die unsäglichen Besprechungen Thumfarts von “Der kommende Aufstand” auseinander:

>>Zwei Dinge sind hier von Bedeutung. Zum einen: Schmitt war eine Zeit lang Nazi und nie ein Demokrat. Das Problem daran ist nur: Das ist weder neu noch bestreitet das heute irgendjemand. Und zum Zweiten: In »Der kommende Aufstand« wird der Begriff vom »Ausnahmezustand« exakt in der Bedeutung benutzt, die Walter Benjamin ihm gegeben hat. Carl Schmitt kommt im ganzen Text nicht vor, weder explizit noch implizit. Die Behauptung des Neuen Dietzgen, das Manifest stütze sich auf die »Theorien des Nazijuristen Carl Schmitt«, ist also falsch. (…)

Der Neue Dietzgen hingegen bezeichnet in der Taz das Vorgehen der französischen Behörden gegen die mutmaßlichen Verfasser von »Der kommende Aufstand« als »zwar verfahrensmäßig skandalös, aber inhaltlich nicht ganz un­berechtigt«. Das ist der Blick eines Geistesstaatsanwalts. Aber vom Text selbst hält das natürlich auch niemanden ab.<< Cord Riechelmann: Ein Feuer auf die Erde zu bringen

13 Responses to “Jungle World vs. Johannes Thumfart”

  1. Schlawaffel Says:

    Cord Richelmann zieht eine Linie zu “Deleuze, Agamben, Badiou und Toni Negri”. Könnte auch kritisch gemeint sein. Aber Namedropping und Schuldenken beiseite gelassen. Ich habe den “kommenden Aufstand” gelesen und halte es für eine sehr gut geschriebene adoleszente Phantasie, in der dem Überkommenen, Hergebrachten alles Schlechte und der neuen, von unten kommenden kommunardischen Jugend alles Gute zugeschrieben wird. Bsp.: New Orleans. Dass es dort Schießereien und mafiotische Strukturen gab, als der Staat abtauchte, wird unterschlagen. Stattdessen hätte es dort selbstorganisierte Volksküchen gegeben und alles wäre gut gewesen. Ha, Ha, Ha.

  2. classless Says:

    Nee, die Schießereien werden nicht komplett unterschlagen:

    >>Einige Tage, nachdem New Orleans vom Hurrikan Cathrina heimgesucht wurde. In dieser apokalyptischen Atmosphäre reorganisiert sich hier und dort ein Leben. Vor der Untätigkeit der Behörden, die eher mit der Reinigung des Touristenviertels »Carré français« und dem Schutz der Geschäfte beschäftigt waren, als den armen Stadtbewohnern Hilfe zu leisten, erwachten vergessene Formen zu neuem Leben. Trotz der manchmal energischen Versuchen, die Zone zu evakuieren, trotz der von White-Supremacist-Milizen bei diesem Anlass eröffneten »Negerjagd«, wollten viele das Gebiet nicht verlassen. Für diejenigen, die sich weigerten, als »Umweltflüchtlinge« in alle Ecken des Landes deportiert zu werden, und für diejenigen von überall her, die sich nach dem Aufruf eines ehemaligen Black Panther entschieden, sich ihnen solidarisch anzuschließen, tauchte die Offenkundigkeit der Selbstorganisierung wieder auf. Innerhalb weniger Wochen wurde die Common Ground Clinic auf die Beine gestellt. Dieses waschechte Landkrankenhaus bietet vom ersten Tage an, dank dem unaufhörlichen Strom von Freiwilligen, immer effizientere, kostenlose Pflege an. Seit nun einem Jahr bildet die Klinik die Basis eines tagtäglichen Widerstands gegen die Tabula-Rasa-Aktion der Regierungsbulldozer, die darauf abzielt, den ganzen Stadtteil dem Erdboden gleichgemacht an den Immobilienmakler zu übergeben. Volksküchen, Versorgung, Straßenmedizin, wilde Beschlagnahmungen, Bau von Notunterkünften: Das von den Einen und Anderen im Laufe des Lebens angehäufte praktische Wissen hat seinen Ort der Entfaltung gefunden. Weit weg von den Uniformen und Sirenen.<<

    Das klingt wirklich nicht nach “alles gut”, oder?

  3. Smartass Says:

    Also der bzw. die Thumfart-Artikel waren ja schon echt mau, aber die Riechelmann-Replik ist einfach nur noch als dümmlich zu bezeichnen. Erst beschwert er sich darüber, dass der “Aufstand” mit Heidegger und Schmitt in Verbindung gebracht wird. Damit würde er “natürlich” in die “antimodernistische Ecke gestellt”, was ein schändlicher Versuch sei, ihn in der Nazi-Neighborhood zu verorten (Nazikeule!) und außerdem falsch. Nur, wenn das falsch ist, worin besteht dann die Not, im Nachsatz die antimoderne Ausrichtung der NS-Ideologie zu bestreiten, eine Behauptung, die einem zu recht ein Geschichtslehrer in der neunten Klasse um die Ohren hauen würde? Der Begriff von “Moderne”, aus dem dieses “Argument” resultiert (Moderne = Technischer Fortschritt und Industrialisierung -> Nazis und Faschos waren Technikfreaks und deshalb nicht antimodern -> hah!) ist nicht mal kritikwürdig. Im selben Absatz schafft Riechelmann es dann auch noch, deutsche Ideologie von Heidegger/Schmitt über den Umweg ihrer Rezeption im Ausland für die internationale Linke zu rehabilitieren. Wiederum eigentlich ohne Not, denn laut Riechelmann hat der “Aufstand” ja gar nichts mit denen zu tun. Sein komisches Lavieren legt allerdings den dringenden Verdacht nahe, dass Riechelmann es eigentlich besser weiß.

  4. SM Says:

    Mir ist der Artikel von Riechelmann um einiges lieber als der von Thumfart. Ich freue mich, dass die Jungle World eine Reaktion abgedruckt hat, vielleicht nicht zuletzt durch deine Intervention? ;o) siehe: http://jungle-world.com/artikel/2010/49/42232.html

  5. refuge Says:

    Ich glaube, Riechelmann braucht Kulla nicht, um auf Thumfart zu reagieren. Und im Übrigen ist es lange eingeübte Praxis der Jungle-Redaktion, in aufeinanderfolgenden Ausgaben auch konträre Positionen zu Wort kommen zu lassen, ohne Druck von außen. Das trägt ihr immer wieder – mal mehr, mal weniger berechtigt – den Vorwurf der Beliebigkeit ein. Ich dagegen finde diesen linken Pluralismus manchmal falsch, manchmal nervig, meistens aber angenehm interessant.

  6. schlawaffel Says:

    Stimmt, sehr differenziert:

    Behörden, Geschäfte, White-Supremacist-Milizen, Regierungsbulldozer, Immobilienmakler, Uniformen, Sirenen (((SCHLECHT)))

    Black Panther, Selbstorganisierung, Volksküchen, Entfaltung (((GUT)))

    Ein manichäisches Weltbild sondersgleichen, und das zieht sich durch den ganzen Text.

    Na, wenn du auf deine spätpubertären Tage da noch mal mitmischen willst, leb dich aus!
    Es handelt sich um eine Phantasiewelt, die nicht viel Unglück anrichten wird.

  7. spiegelschrift Says:

    Den Faschismus und auch den NS als antimodern darzustellen, ist aber mindestens ebenso verkürzend wie die Moderne auf technischen Fortschritt zu reduzieren. Der Faschismus/NS strebte keineswegs eine vormoderne Gesellschaftsordnung an, sondern beinhaltete gegenteilig einen Angriff auf vormoderne Formen, wie in Deutschland etwa das Junkertum. Auch war er als Massenbewegung etc. eine moderne Bewegung mit modernen Ausdrucksmitteln, ebenso wie die Sakralisierung des Politischen (Stichwort: politische Religionen) eine Erscheinung der Moderne ist.

  8. classless Says:

    @ refuge

    Genau.

    @ schlawaffel

    Na, was denn nun? Du hast erst gemeint, sie würden’s einfach übergehen, und das stimmt nicht. Daß der Text insgesamt besonders differenziert sei, hab ich nicht behauptet und das sagt ja auch sonst kaum jemand, oder? Insofern vielleicht lieber Spätpubertät als Ausreden für Frühvergreisung…

  9. schlawaffel Says:

    Stell dich nicht so dumm. Ich beschwere mich darüber, dass die die Selbstverwaltung in New Orleans verherrlichen und Gewalt verleugnen, und du antwortest mir mit einer Passage, in der die die Selbstverwaltung verherrlichen und die Gewalt der eh typischen Unterdrücker betonen.

    Dass du und sowieso kaum jemand behaupten, dass der Text besonders differenziert sei, find ich gut.

  10. classless Says:

    Wir meinen beide diese gleiche Passage. Du verstehst sie als Verherrlichung und Unterschlagung, ich nicht unbedingt. Warum die Gang-Schießereien da nicht auftauchen, weiß ich auch nicht, weiß aber auch nicht, was sie mit der Frage zu tun haben, wie sich Selbstorganisation entfalten läßt. Außer als hinlänglich bekanntes Negativbeispiel.

    Du meinst in einer grundsätzlich positiven Auslegung des Textes eine spätpubertäre Begeisterung auszumachen, ich vermute in vieler anläßlich des Textes geäußerter Kritik Ausreden fürs Zurückhaltung.

  11. Donauwelle Says:

    @schlawaffel – Du hast was entscheidendes übersehen:

    Heckenschützen die aus dem panoptischen Hinterhalt auf alle schießen die sie in ihrem Teebeutelweltbild für Plünderer halten = (((TÖDLICH)))

  12. Nils Says:

    Bei dem Thumfart Artikel hatte ich das Gefühl, dass die Kritik schon in die richtige Richtung geht, wobei sie auch sehr durch das Wissen des Kritikers beschränkt ist. Mit anderen Worten, er presst den Text in die Theorie-Versatzstücke, die ihm geläufig sind und das sind leider nicht so viele. Deshalb stimmt zwar die Richtung, aber er trifft nicht ins Schwarze.
    Bei Cord Riechelmanns Text, dachte ich mir allerdings, dass ich einen so schlechten Text noch nicht mal in einem Blog lesen wollen würde. Eine vernichtende Polemik kann dann gut sein, wenn sie zielsicher die Schwachstellen aufzeigt und sie als solche auch belegt. Nur sehr polemisch eine andere Meinung zu haben ist ein gutes Recht, sie muss aber deshalb noch lange nicht gedruckt werden. Zumindestens sollte die andere Meinung in einem anderen Duktus kundgetan werden.
    Auch inhaltlich bringt höchstens der Verweis auf Benjamin etwas, ansonsten springt der Riechelmann Text von hier nach dort ohne Linie, wirft Thumfart ein sozialdemokratisches Denken, ohne jede Andeutung, wie er jetzt gerade darauf kommt, oder eine “offensive Besatzer-Ideologie” vor.
    Wenn Cord Riechelmann mal gerade nicht auf den Vertreter des “sozialdemokratischen Denkens” eindrischt, dann bringt er Sätze wie diesen zu Papier: “Es handelt sich bei dem Manifest zuerst um einen Brandtext, mit der Betonung auf Text. Die Geschichte der Feuer im Text ist es, aus der das französische Manifest seine universelle Wirkmacht zieht. Angefangen hat sie mit Jesus.”
    und da blieb mir nur die selbe Frage, wie damals als ich den postmodernen Blödsinns-Text “Der kommende Aufstand” gelesen habe:
    “Was laberst du?”

  13. Wolfgang Says:

    “You must build a huge bonfire within you.” U.G.

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