1923 beginnt: 11. Januar – Einmarsch ins Ruhrgebiet

January 11th, 2023

Am 11. Januar 1923 marschieren zur direkten Entnahme von ausgebliebenen Reparationsleistungen nach dem Versailler Vertrag eine belgische und zwei französische Armeekolonnen aus der Umgebung von Düsseldorf und Duisburg ins Ruhrgebiet ein, das sie im Laufe von drei Tagen bis auf Dortmund besetzen. Es gibt spontane nationalistische Proteste dagegen, bei denen Studierende “Die Wacht am Rhein” singen, doch zunächst fällt kein Schuss.

In den kommenden Tagen wächst die Besatzung auf eine Truppenstärke von insgesamt etwa 100.000. Am 15. Januar feuert die Mannschaft eines französischen Militärpostens in Bochum “blinde” Warnschüsse in eine nationalistische Gruppe, die “Siegreich wollen wir Frankreich schlagen” singt – mindestens einer der Soldaten schießt jedoch scharf und tötet einen Jugendlichen, es gibt zwei Verletzte.

Anders als bei den militärischen Polizeieinsätzen der Jahre zuvor, als Reichspräsident Ebert es war, der ins Ruhrgebiet und anderswo schwerbewaffnet einmarschieren und Proteste niederschießen ließ, sendet er nun zur öffentlichen Beerdigung des Jugendlichen ein Beileidstelegramm und kümmert sich um Hilfe für die Angehörigen. Seit November 1922 gibt es eine Reichsregierung ganz ohne Eberts SPD, doch ihr Zentralorgan Vorwärts schreibt staatstragend vom Blut an den Händen der französischen Politik, betont den kriegerischen Charakter des Einmarschs und will keine Notwehr erkennen.

Das war in den Jahren zuvor anders: Als etwa am 6. April 1920 mindestens elf Arbeiter aus Essen und Mülheim, die ihre Waffen bereits Tage zuvor abgegeben hatten, nach “Standgerichten” des Freikorps Roßbach erschossen und verstümmelt wurden, bezeichnete der Vorwärts am gleichen Tag das Vorgehen der schon seit Tagen mordenden Regierungstruppen als „Polizeiaktion“. Ebenfalls an diesem Tag besetzten französische Truppen als Reaktion auf die Verletzung der neutralen Zone durch die aufstandsbekämpfende Reichswehr wie angedroht Frankfurt, Hanau, Darmstadt und Homburg – der Vormarsch der Reichswehr ins Ruhrgebiet wurde jedoch nicht gestoppt, immer noch war es der SPD-geführten Regierung wichtiger, die aufständischen Arbeiter zusammenschießen zu lassen, als einen neuen Krieg mit Frankreich zu vermeiden.

Nun ruft ab dem 13. Januar 1923 die bürgerliche Regierung Cuno zum “passiven Widerstand” auf, sie stellt die nationale Interessenlage offen dem Klassenkampf gegenüber und kann ihn teilweise erfolgreich für sich einspannen. Kooperation mit den Besatzungstruppen wird vor Ort verweigert, es kommt zu Protesten und Streiks, dabei erschießen Soldaten mehrmals Protestierende.

Auch Dortmund wird besetzt, einige nationalistische Lieder werden von der Besatzungsmacht verboten, es wird zum Teil gegen Beleidigung der Truppen vorgegangen, Soldaten begehen sexuelle Übergriffe. Von alldem angetrieben weiten sich Proteste und Streiks zügig aus. Aus dem Interessenkonflikt zwischen deutscher, französischer und belgischer Regierung ist eine ständige Konfrontation von Soldaten und Zivilbevölkerung geworden.

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Übersicht zu den Postings über die Revolution in Deutschland 1918-23.

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