All Cops Are Staatsgewalt

June 3rd, 2016

Die Polizei, ihre Rolle, Politik & PR

Fünf Kurzmeldungen im Lokalteil, fünf davon Polizeimeldungen. Auch sonst auf allen Kanälen: die Polizei hat dies verhindert, jenes aufgedeckt, sie vermeldet, beklagt, warnt. Nachrichten, in denen die Polizei vorkommt, sind mit ihr überschrieben und illustriert. Ganze Meldungen bestehen aus dem, was die Polizei sagt – ihre Sprache, ihre Einschätzung, ihr Selbstverständnis und vor allem ihre Feindbestimmung prägen die öffentliche Berichterstattung: “Fast alle Medien behandelten den polizeilichen Verdacht gegen Beck als mindestens halben Beweis.” (“Hitler-Droge vs. Schreibstoff“) Die Darstellungen der Polizei werden übernommen, abgeschrieben, und auch da, wo sie um- oder ausformuliert oder in viel zu wenigen Fällen durch eigene Recherchen ergänzt werden, werden die Kampfbegriffe und Wortverdrehungen der Staatsgewalts-PR so gewohnheitsmäßig wie sorglos verwendet: was “militant” heißt, wann etwas “vereinzelt” geschah, wer überhaupt Agierende und Reagierende sind, wer zum Handeln gezwungen war und wer es sich aussuchte, was sich “notwendig machte”, überhaupt, daß die Übersetzung des Geschehens in Straftaten und umsichtiges, rationales Polizeihandeln als finales Urteil fungiert. Die Polizei ist sogar da, wo sie gar nicht erwähnt wird, wenn es etwa heißt: “Es wird ermittelt.”

Im Unterhaltungsprogramm dann fiktive Polizeiserien, reale Polizeiserien, lustige Polizeiserien, ernste Polizeiserien, amerikanische Polizeiserien, deutsche Polizeiserien, britische Polizeiserien – und manchmal auch eine ganz kritische, hochgelobte Serie, in der die Polizei ständig an ihrer Arbeit gehindert wird: “The Wire – der gute kleine Lauschangriff”. Die Darstellungen liefern jede Menge Einübung in erwünschtes Verhalten und den richtigen Blickwinkel: die Polizei einfach so in die Wohnung lassen, ausführlich mit ihr reden; wer nicht redet, ist schon verdächtig; die Polizei durchschaut alles, kommt immer letztlich dahinter und faßt den Täter. Die Parteilichkeit setzt sich in alle möglichen politischen und sozialen Themengebiete fort: Polizei nicht so schlimm wie Verfassungsschutz im NSU-Skandal, Polizei im Kampf gegen Drogenbanden usw. usf. Auch ein großer Teil der Empörung über die Einstellung von Wachpolizisten und das Vorgehen von Bürgerwehren, wie jüngst in Arnsdorf, folgt einfach der Polizeiperspektive: nur sie darf und kann das richtig machen – und so, daß weniger auffällt, und wenn doch, dann so, daß es besser gedeckt werden kann.

Wie weit die Zustimmung zur Polizei und damit auch die Naivität und Parteilichkeit ihr gegenüber reichen, läßt sich etwa an den regelmäßig vom GfK-Verein durchgeführten Studien zum “Vertrauen in die Institutionen” ablesen – nach wie vor liegt die Polizei hier mit Abstand vorn:

Wenn etwas so omnipräsent, selbstverständlich, bedeutungs- und zwecksetzend vorkommt, wenn gleichzeitig auch kritische Stimmen dessen Terminologie (“es kam zu Auseinandersetzungen”) und oft auch Logik nutzen (“unverhältnismäßige Polizeigewalt”), in ihrer Ablehnung zwischen Parolen über Vergewaltigung unehelicher Kinder sowie verschiedener Huftiere und dem so sympathischen wie hilflosen “BRD, Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt” verharren, lohnt es, einen Blick auf seinen Ursprung, seine Geschichte zu werfen.

Geschichte und Funktion

Polizei ist eine Einrichtung der modernen kapitalistischen Gesellschaft zum Schutz ihres rechtlichen Kerns: des Privateigentums an den Produktionsmitteln, darüber hinaus zur Aufrechterhaltung der gesamten Eigentumsordnung und zur Kontrolle des öffentlichen Raums. In gewisser Weise stellt die Polizei diesen Raum und diese Ordnung selbst her, nötigenfalls mit Gewalt. Zu diesem Zweck ist die Polizei mit dem Gewaltmonopol im öffentlichen Raum ausgestattet – das heißt, diese Stelle, wenn immer alle “Ey!” schreien, das ist der Moment, in dem die Polizei ihre Kernbefugnis zur Geltung bringt: wenn sie das macht, was sie darf und alle anderen eben nicht. Aufgrund ihrer Rolle übernimmt die Polizei auch andere soziale Funktionen, die ihre Machtposition ausbauen, ihr Informationen verschaffen und sie noch selbstverständlicher erscheinen lassen.

In seinem Text zum Ursprung der Polizei (“Origins of the police”) geht David Whitehouse zunächst auf dieses Mißverständnis ein. Die Polizei ist nicht dazu da und nicht dafür nötig, Verbrechen aufzuklären: “Der häufigste Weg, ein Verbrechen aufzuklären, bestand vor wie seit der Erfindung der Polizei darin, daß jemand sagt, wer es begangen hat.” Die Aufklärungsquote durch Anzeige bzw. Verpfeifen ist denn auch kaum irgendwo so hoch wie in Deutschland. “Die Polizei wurde vielmehr dazu eingerichtet, großen, widerspenstigen Mengen zu begegnen. Das waren zunächst Streiks in England, Unruhen in den US-Nordstaaten und Sklavenaufstände in den Südstaaten. Die Polizei ist eine Antwort auf Menschenmengen, nicht auf Verbrechen.”

“Es gibt das Gesetz … und es gibt das, was die Cops machen”, so Whitehouse weiter. “Das Gesetz beinhaltet wesentlich mehr Vorschriften, als tatsächlich zur Anwendung kommen, was bedeutet, daß ihre Durchsetzung immer selektiv ist. Das wiederum heißt, daß die Polizei sich immer aussucht, welchen Teil der Bevölkerung sie ins Visier nimmt und entscheidet, welchen Teil ihres Verhaltens sie beeinflussen will. Es heißt auch, daß Cops ständig Gelegenheit zu Korruption haben.”

Sich bei ihnen beliebt zu machen oder ihnen Vorteile zu verschaffen, kann vor Verfolgung schützen. Es gibt z.B. immer den Dealer, bei dem die Cops selbst ihre Drogen kaufen. Es gab in den 90ern an der polnischen Grenze die Gelegenheit, beim Zigarettenschmuggel mitzuwirken. Und in meinem “konkret”Artikel hatte ich bereits erwähnt, wie Crystal Meth sich nach seiner “Komplettillegalisierung in den von Bundesgrenzschutz und -polizei kontrollierten Grenzgebieten in Sachsen und Franken festgesetzt hat und von dort aus in den Rest des Landes geschwappt ist”. Damit wollte ich dazu anregen, bei der Betrachtung einer Situation, in der Polizeikräfte erst mit intensiver Repression ganze regionale Drogenmärkte austrockneten, auf denen sich dann eine andere Substanz zügig und wenig behelligt ausbreiten kann, eben nicht die Darstellung dieses Hauptakteurs, den Mythos von der rätselhaften Ausbreitung der “neuen Modedroge aus Tschechien”, einfach zu übernehmen. Auch sollten die sozialen Implikationen in Betracht gezogen werden, die es hat, wenn Jugendliche ihr Gras, Speed oder E nicht mehr vor allem beim Hippie, Linken oder Migranten kaufen gehen, der sich im Zweifelsfall vor der Polizei verbirgt und ihr nicht wohlgesonnen ist, sondern nun in vielen Gegenden nur noch den zumindest von Teilen der Polizei gedeckten Nazi oder Fußballschläger vorfinden, der ihnen lieber Meth verkauft und zum Abbau des entstehenden Aktivitätsdrangs empfiehlt, Hippies, Linke und Migranten zu terrorisieren.

Aus ihrer Rolle ergeben sich also für die Polizei Handlungsspielräume, die sie aus ihrer Parteilichkeit heraus wiederum spezifisch füllt. Häufig verbindet sie sich dort, wo es außer ihr keine wirksame Kontrollinstanz gibt, mit dem organisierten Verbrechen.

Auch beginnt Verfolgung und Bestrafung nicht erst, wenn nach dem Gesetz eine Verurteilung erfolgt ist, sondern, so Whitehouse, “in dem Moment, in dem die Cops jemanden anfassen. Sie können jemanden festhalten und sogar einsperren, ohne überhaupt Anzeige zu stellen. Das ist Bestrafung, und das wissen sie. Und da sind wir noch nicht bei den körperlichen Mißhandlungen, die einem widerfahren können, oder den Möglichkeiten, wie sie jemanden auch ohne Verhaftung bearbeiten können.” Wer am Rande von Demos schon mal festgesetzt oder anderweitig getriezt wurde, kennt das Spiel. “Cops kommandieren also jeden Tag ohne gerichtliche Anweisung Leute herum und bestrafen jeden Tag Menschen ohne Gerichtsurteil.” Im Unterschied zum Gesetz selbst befassen sich Cops “mit Menschenmengen, Wohnvierteln, anvisierten Teilen der Bevölkerung – alles kollektive Einheiten. Sie mögen das Gesetz anwenden, um dies zu tun, aber ihre allgemeinen Richtlinien erhalten sie in der Form von Vorgaben ihrer Vorgesetzten oder aus ihrer Berufserfahrung. Die Direktiven haben regelmäßig offen kollektiven Charakter – etwa die Kontrolle über ein widerspenstiges Viertel zu erlangen. Die Polizei beschließt, das zu tun, und dann schauen sie, welche Gesetze sie dafür zur Anwendung bringen können.” Im Falle etwa der linken Berliner Szenetreffs in der Rigaer Straße reichten für Razzien mit Hunderten Cops auch einzelne Vorfälle in ihrer Nähe – oder einfach ein Besuch der Gewerbeaufsicht.

“Das ist die Bedeutung all der ‘Null Toleranz’-Strategien und ‘Broken Windows’-Konzepte”, erklärt Whitehouse: “Das Ziel besteht darin, eine Masse von Menschen dadurch einzuschüchtern und unter Kontrolle zu bringen, daß gegen wenige von ihnen vorgegangen wird.”

Politischer Akteur

Praktisch-politisch bedeutet das alles, daß abgesehen von fortgeschrittenen revolutionären Situationen die Polizei größtenteils auf der Seite derer steht, die die staatliche Ordnung verteidigen, durchaus auch vorwärtsverteidigen, und daß sie sehr parteiisch und im Rahmen der verfügbaren Mittel rigoros, oft auch verdeckt gegen diejenigen vorgeht, die diese Ordnung ablehnen oder offen infragestellen.

Noch mal aus meinen “konkret”Artikel: “Um die von der Polizei verhängten »Gefahrengebiete«, zu denen” – neben der Rigaer Straße – “auch der Berliner Nollendorfplatz, an dem Beck gefilzt wurde, gehört, geht es ebensowenig wie um die Frage, ob die mit Gegnern eines drogenliberalen, bekennend schwulen, proisraelischen und Anti-Putin-Grünen durchsetzte Polizei mit ihrem gezielten Zugriff direkt vor drei Landtagswahlen einmal mehr als politischer Akteur aufgetreten ist.”

Als würde sie überall gegen sich selbst kämpfen, werden den Menschen, gegen die die Polizei vorgeht, Kommandostrukturen unterstellt – was ganz im Sinne des Vorgehens gegen Einzelne zur Abschreckung vieler ist und lange Tradition hat: “Diese „Drahtzieher“-Logik entspricht, wie sich Rosa Luxemburg 1906 mokierte, dem polizeilichen Blick, dem es scheint, “als sei die ganze moderne Arbeiterbewegung ein künstliches, willkürliches Produkt einer Handvoll gewissenloser ‘Wühler und Hetzer’”. (“Verschwörung gehört zum Normalbetrieb“)

Und so folgt eine Willküraktion auf die andere: Wenn sich jemand in irgendeiner Form der Polizei widersetzt, gegen sie juristisch vorgehen will, sich nach ihrer Dienstnummer erkundigt, aufrührerisch in der Nähe herumsteht oder einfach nicht “kooperiert”, bekommt er ein Verfahren wegen “Widerstands gegen die Staatsgewalt” (Drohung im Polizeijargon: “dann machen wir einen Widerstand”). Wenn die Polizei mit den Ermittlungen nicht weiterkommt, wird die Wohnung eines Fotojournalisten durchsucht und sein Rechner beschlagnahmt. Wenn sie einem antifaschistischen Pfarrer etwas anhängen wollen, stürmen sie seine eigentlich geschützte Pfarrer-Dienstwohnung im Nachbarbundesland. Wenn sie gegen Linke anderswo vorgehen wollen, benutzen sie Nazis als Zeugen und deren Feindaufklärungsfotos als Beweismittel. Und wenn der Polizei ein Transparent nicht paßt, weil darauf ihr Staat als “mieses Stück Scheiße” beschimpft wird, kassiert sie’s ein und leitet Verfahren gegen alle ein, die darum herumstehen – auch wenn jede Rechtsgrundlage für die Verfahren fehlt und sie kurz darauf eingestellt werden, kann sie’s ja mal versuchen.

Wenn die Polizei beschlossen hat, gegen eine Demo vorzugehen, nimmt sie ggf. alles mit, was noch im Weg steht. Die Polizei legt fest, wer wann und wo demonstriert, welche Auflagen vorher laut vorgelesen werden müssen, wann sich die Demo wie schnell bewegt und wann sie stehenbleibt, wie die Beteiligten gekleidet sind, wie groß ihre Transparente sind, und in vielen Fällen auch, wann und wo die Demo endet bzw. wann und wo sie möglicherweise stundenlang eingekesselt wird – das heißt, die Polizei kann das alles tun, wenn sie es will. Und wenn sie es nicht so genau mit all dem nimmt, kann sie, wie am 1. Mai in Plauen, Hunderte, die sich brüllend in aller Deutlichkeit zum Nationalsozialismus und seinen Methoden bekennen, mit Pyrotechnik und Vermummung durch die Stadt ziehen lassen.

Für die Verfolgung von Antifa und Nazis gelten verschiedene Vorannahmen, verschiedene Vorgehensweisen, verschiedene Sprachregelungen – die Beispiele sind unerschöpflich, hier nur mal zwei kleine Sammlungen.

Wenn ein Nazi aus einer linken Kneipe fliegt, ruft er die Polizei und die stürmt sie. Jürgen Roth schreibt: “Bei der Polizei in Sachsen gibt es etwa einen strukturellen Rassismus. Das zeigt sich daran, wie beherzt die Polizei gegen Linke vorgeht – und mit den Rechten Bier trinkt.”

Besonders deutlich wird die Parteilichkeit bei Demonstrationen: “Etwaigen hör- oder sichtbaren Protest entlang der NPD-Route unterband weitgehend die Polizei”, heißt es über den 1. Mai in Schwerin. Im Kessel wurden Protestierende acht Stunden lang “ohne Rechtsgrundlage“ festgesetzt: “Es gab kein Trinkwasser – dafür Begleitung beim Toilettenbesuch.”

Am selben Tag in Bochum brach die Polizei einem Gegendemonstranten den Arm und verhöhnte ihn dann: “Die meinten, es wäre doch meine eigene Schuld. Was würde ich denn auch sonntags auf eine Demo gehen. Da hätte ich doch lieber wie alle anderen Menschen schön zuhause bleiben sollen. Mir wurde da also mein Demonstrationsrecht abgesprochen. Wie gesagt, selber schuld, war deren Motto.”

Danny Marx titelt seinen Bericht über die Proteste gegen den Bundesparteitag der AfD in Stuttgart am Vortag gleich “Mit Polizeigewalt für die AfD” und nennt die Cops “vermummte Gewalttäter in Uniform”. Seine Schilderung ist drastisch: “Den Kessel etablierten sie mit Schlägen und Tritten, obwohl sich die Blockade nicht wehrte und auch die Polizist*innen nicht angegriffen wurden.” Er geht auch explizit auf die Rolle der Polizei-PR ein: “Die Behauptung die Aktivist*innen hätten die Polizei mit Leuchtraketen beschossen ist eine Lüge. (…) Die Polizei gibt unverzüglich der Presse folgendes bekannt: Aus dieser Gruppe heraus wäre es zu Angriffen auf Polizist*innen gekommen. Unter anderem wäre die Polizei mit Pyrotechnik, Eisenstangen und Holzlatten angegriffen worden. Das ist eine Lüge, die später von fast allen Medien aufgegriffen wurde. Zu keiner Zeit gab es von dieser Gruppe aus eine Auseinandersetzung mit der Polizei.”

Sein Bericht fährt fort: “Die Polizei gab ihr bestes, die Rechten Funktionäre mit einer größtmöglichen Gewalt durch die Kundgebung zu prügeln. Pfefferspray und Pferde wurde immer wieder eingesetzt. Die Frage darf aufgeworfen werden, ob die Polizei bei all den Absperrungen bewusst den einzigen Eingang für die AFDler direkt neben die Kundgebung ihrer Gegner*innen legte. Der Ort der Kundgebung war übrigens auch von der Polizei festgelegt worden. Viele andere Wege zur Messe wurden von der Polizei bekanntermaßen mit Nato-Draht abgesperrt. (…) Aktivist*innen aus München berichten von besonders perfiden Methoden. Zwei von ihnen mussten mehrere Stunden an einer Wand stehen. Dabei wurden sie an den Händen und Füßen gefesselt. Sie wurden angeschrieen, gedemütigt und auch immer wieder geschlagen. Die Polizei wird in ihrer Pressemitteilung all das natürlich nicht erwähnen. Stattdessen schreiben Sie davon, dass die Gefangenen alle ordentlich versorgt wurden. Eine dreiste Lüge. Von einer umfassenden medizinischen Versorgung kann keine Rede gewesen sein. Eine Aktivistin berichtete davon, dass ihr der Zugang zu Tampons untersagt wurde, obwohl sie eindeutig erkennbar ihre Tage bekam als sie in der Zelle saß.”

Förderung des radikalen Nationalismus

Immer wieder bildet die Polizei die äußere Front des “tiefen Staats”, der radikal nationalistische und faschistische Strukturen aufbaut, ausbaut, deckt und ihnen zur Macht zur verhelfen versucht. Als die Polizei in Berlin sich 2013 mal strategisch äußerte, klang das etwa schon stark nach dem Schlachtplan der nationalistischen Mobilisierung seither: “gegen Zecken, Dealer und Asylanten”.

Zusammen mit anderen Erzählungen und Vorannahmen entstand im letzten Jahr der Mythos vom spontanen Ausbruch des Volkszorns angesichts der “Flüchtlingskrise”, die doch zuallererst eine Rassismus- und Polizeikrise war – die AfD war lange vor der Grenzöffnungs-Episode gegründet und noch direkt vorher im Juli nach rechts gerutscht; die Polizei hatte das Feld bereinigt; die offenbar weiterhin gedeckten Nazi-Terrorstrukturen waren überall schon am Start. Der zähe Fortgang der Untersuchungen zum NSU legt nahe, daß dessen Umfeld eng mit Sicherheitsorganen verdrahtet und nach wie vor aktiv ist.

Aktuell fördert und stützt ein regional sehr großer Teil der Polizei offenbar aus Überzeugung den Aufstieg des am ehesten erfolgversprechenden Teils der nationalistischen Mobilisierung (so wie sie vorher im kleineren Rahmen andere Teile bereits unterstützt hatte), gegen deren Gegner geht sie gleichzeitig oft brutal und auf persönlicher Ebene vor, aber auch mit den offener nationalsozialistisch auftretenden Gruppen gibt es zuweilen Konfrontation.

Es ist daher kein Zufall, daß die erste Ausgabe der “Compact”, die auf der Titelseite offen für Frauke Petry als bessere Kanzlerin warb, in der Frontscheibe eines Polizeifahrzeugs während einer AfD-Kundgebung zu sehen war. Und egal, ob die Leserbriefe und Hetzartikel in der “Compact”, die von Polizisten stammen sollen, authentisch sind oder nicht – sie sind ohne weiteres glaubwürdig und es ist völlig klar, warum sich Nationalisten an die Polizei ranwanzen und dabei gute Chancen ausrechnen. (Siehe etwa die Drohung der Polizeigewerkschaft, AfD zu wählen.)


Mittlerweile im Landtag: Bereitschaftspolizist von der AfD

Begleitend wird auch die Arbeit der Presse systematisch behindert: “Kaum ein Aufmarsch oder Konzert vergeht, an dessen Rand die Journalist_innen sich nicht gegen polizeiliche Zurechtweisungen wehren müssen, um ihrer Arbeit nachgehen zu können.”

Aber auch die Staatsgewalt ist kein monolithischer Block. Es gibt offenbar Teile, die dem eigenen Idealbild folgend Reformen etwa der BtmG-Verfolgung anstreben und “Exzesse” zu unterbinden versuchen, auch wenn meist schwer zu unterscheiden ist, ob es sich dann nur um exemplarische Bestrafung zur Deckung des ganzen Rackets handelt. Wenn etwa mal ein Polizist nicht aufpaßt, wer ihn gerade bei Drohungen und Gewalt gegen Kinder filmt (und die Kamera nicht beschlagnahmt oder beschädigt), dann wird seine Dummheit eventuell mit Disziplinarverfahren bestraft.

Schlüsse

Die Variable ist also gar nicht, daß die Polizei das tut, was sie nunmal tut, sondern auf wieviel Widerstand sie dabei trifft bzw. wie bereitwillig oder gar vorauseilend sich die Gesellschaft von der Polizei zu ihrem Gegenstand machen läßt. Nur indem sich die Gesellschaft der Kontrolle und den Maßnahmen entzieht oder widersetzt, werden der staatlichen Gewalt und der Polizei Grenzen gesetzt, nur so kann ihr Einfluß und ihre Macht zurückgedrängt werden. Nur indem sich von der Polizeiperspektive gelöst und ihr unabhängige Recherche und Strukturen entgegengestellt werden, kann das polizeiliche “Wahrheitsmonopol” (Dirk Stegemann) gebrochen werden. Nur indem der Einschüchterung durch Solidarität begegnet wird, kann die Strategie der Abschreckung aller durch Verfolgung Einzelner durchkreuzt werden. Dafür liefert derzeit Frankreich zahllose beeindruckende Beispiele.

Von der Polizei anderes zu erwarten, ist naiv und zeugt von einem idealistischen Staatsverständnis, indem es gar nicht ums Eigentum geht und die Rolle der Polizei nicht daraus erwächst. Sie wiederum einfach der Arbeiterklasse zuzuschlagen, übergeht ihre Besonderheit: ihren Auftraggeber und den Zweck ihrer Tätigkeit. Diese Tätigkeit jedoch nicht auch als Arbeit zu verstehen, trägt dazu bei, die Polizei als übermächtigen Monolithen vorzustellen. Zu glauben, daß selber friedlich zu bleiben, die eigene Friedlichkeit zu betonen und wie ein moralisches Schild vor sich herzutragen, irgendwas daran ändert, ob die Polizei einen von der Straße räumt, aus dem Weg schubst oder ggf. festnimmt, läßt einen nur in die Falle gehen. Auf die Frage “Wir sind friedlich, was seid ihr?”, hat die Polizei mit ihren Schlagstöcken, Pfefferspray-Gewehren, Wasserwerfern und Handschellen eine recht eindeutige Antwort.

Wer gegen “unverhältnismäßige Polizeigewalt” auftritt, spricht sich im Umkehrschluß für die verhältnismäßige aus, welche die Polizei ihrem Selbstverständnis nach “bis auf wenige bedauerliche Einzelfälle und Ausnahmen” ja auch ausdrücklich anwendet. Besser ist, Zusammenhänge aufzubauen, die sich gegen die Schikane schützen und in der Tendenz die sozialen Funktionen der Polizei (wieder) selbst übernehmen. Auch das historische Beispiel, das Whitehouse hierzu anführt, stammt aus Frankreich:

«Als die Arbeiter von Paris 1871 für einige Monate die Stadt übernahmen, richteten sie eine Regierung unter der alten Bezeichnung Kommune ein. Die Anfänge sozialer Gleichheit in Paris verringerten den Bedarf an Repression und erlaubten den Kommunarden Versuche, die Polizei als separate Staatsgewalt, getrennt von der Bevölkerung, abzuschaffen. Die Leute sollten ihre eigenen Beamten für öffentliche Sicherheit wählen, die ihnen gegenüber verantwortlich blieben und jederzeit wieder abberufbar sein sollten.»

11 Responses to “All Cops Are Staatsgewalt”

  1. Simon Rubaschow Says:

    Ergänzen würde ich noch, dass die Polizei als Trägerin des Gewaltmonopols eine Eigenlogik entwickelt, dieses Gewaltmonopol als Selbstzweck aufrechtzuerhalten (aus ihm schöpft sich nicht zuletzt die symbolische Selbstaufwertung von Polizisten, die sich daran hochziehen können, die einzigen Schläger zu sein, die die Rückendeckung und das Lob des Apparats haben, wenn sie zuschlagen). Daraus resultiert potenziell eine Konkurrenzsituation zu anderen gewalttätigen Banden, sei es aus der organisierten Kriminalität, seien es Nazis. Dieser Punkt mag wichtig sein, einerseits um so Aktionen verstehbar zu machen wie die des Hamburger SEKs, die ein Fahrzeug aufstoppten, indem sie dem Fahrer einen Kopfschuss verpassten, weil sie vermuteten, gegen ihn stünde ein Haftbefehl aus (sie stellen dann ja fest: richtiges Auto, falscher Fahrer). Andererseits ist dieser Punkt relevant um das hier und da vorkommende Durchgreifen gegen Nazis nicht als Residuum der Demokratieliebe misszuverstehen….

  2. classless Says:

    @ Simon

    Stimmt, den Teil hab ich nur angedeutet – die Konkurrenz zu anderen Sicherheitseinrichtungen, der eigene Racketschutz usw. – in der Tat wäre das noch mal ein ergiebiges Extrathema, aber auch recherchemäßig ein einziges Minenfeld…

  3. fight the police! Says:

    “Parolen über Vergewaltigung unehelicher Kinder sowie verschiedener Huftiere”

    Danke dafür!

  4. Christian Says:

    Naja, ich würd mich über Polizeigewalt nicht wundern, wenn ich irgendwo mitlaufe, wo gewaltbereite, krawalllüsternde Menschen unterwegs ist… Oder aber knapp vierzigjährige Verstörte mit rosa Bommelmütze, die Deutschland als “mieses Stück Scheiße” bezeichnen, und eigentlich auf die Couch müssten, weil sie wohl frühkindliche und spätere Traumata noch immer nicht bewältigt haben.

    Daneben will ich anmerken, dass es “die Polizei”, so wie du sie darstellst, nicht gibt. Wenn du mal wenigstens ein paar soziologische Eckdaten einfließen lassen würdest. Machst du aber nicht, stattdessen zählst du Einzelfälle auf. Am Ende wird noch eine Verschwörungstheorie draus. (Was auch gut wäre, könnte man dann doch dein Leben, Denken, Wirken und Irren in einem tragikomischen Entwicklungsroman verarbeiten. Obwohl — eigentlich ist bereits genügend Stoff vorhanden.)

    Allein die Andeutung, dass man Polizei nicht für die Ermittlung von Täter und Tathergang braucht, ist eindeutig lächerlich und einfältig.

    “Die Polizei will…” “Die Polizei macht…” Völliger Bullshit. Was passiert, passiert meistens auf Anordnung durch Vorgesetzte und Innenminister. Oder meinst du, Polizisten seien alle gleichgeschaltet und agieren als Kollektiv, den Borg gleich? Achso, hatte ich vergessen: Polizisten gibt’s ja bei dir gar nicht. Gibt ja nur Polizei in deiner kruden Weltsicht. Maximal noch “Cops.” Die dann wohl alle AB?

    Aber Eloquenz: 1+

    Ein Hoch auf alle klassen- und stillosen!

  5. classless Says:

    @ Christian

    Einfach 100% ad personam, ohne das Posting zu lesen – chapeau!

  6. Bastian Says:

    Hallo Daniel.

    Ich finde den Text von Whitehouse interessant. Leider liefert er wenig Futter, um seine These, dass die Polizei als seltener tötende Gewalttruppe gegen Aufstände eingerichtet wurde, zu stützen. Das einzige ist doch das Aufzeigen eines zeitlich (sehr vagen) Zusammenhangs zwischen Peterloo und dem Einrichten der Polizei. Hast Du da tiefere Einblicke und Informationen, die diese (an sich ja durchaus plausible) These stützen würde?

  7. classless Says:

    @Bastian

    Ausführlicher wird Whitehouse bezüglich der Vor- und Entstehungsgeschichte hier: https://socialistworker.org/blog/critical-reading/2014/12/09/main-role-police-protecting-ca

  8. Autoritäre Entwicklungen II - txtxtxt Says:

    […] mit gro­ßem Ein­satz beob­ach­tet und beglei­tet. Der poli­zei­li­che Rah­men wird bei „Class­less Kul­la“ tref­fend so beschrie­ben: „Die Poli­zei legt fest, wer wann und wo demons­triert, […]

  9. Das große Toben und Proben in Hamburg – Der Staat testet den Ausnahmezustand | FICKO Says:

    […] nach all diesen kilometerlangen Ausführungen soll es nun diesen sicher radikalen, aber eben auch sehr logischen Text zu lesen geben. Über den Sinn und Zweck der Polizei, die Geschichte ihrer Gründung und was sie […]

  10. classless Kulla » Blog Archive » Die beste Entschwörung ist Klassenkampf Says:

    […] der Verhältnisse zu verstehen sondern einige ihrer schillernderen Vertreter als Ursache, ist Polizeilogik, und deswegen kann das auch weitgehend problemlos für die verschiedensten staatlichen […]

  11. classless Kulla » Blog Archive » The best answer to conspiracism is class struggle Says:

    […] of the social reality, but some of its more dazzling representatives as a major cause of that, is police logic, and that is why this type of analysis can be done without much problems for a wide variety of […]

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