Gelebte Utopie

September 9th, 2007

Die gegenwärtige Gesellschaft ist eine Wirklichkeit gewordene Utopie, und sie ist nicht durch allgemeine Übereinkunft oder achtsame, schrittweise Durchsetzung Realität geworden, sondern durch eben die Mittel, die nun jeglichem unterstellt werden, der eine andere Gesellschaft will: die gewaltsame Umverteilung, die Zurichtung der Mehrheit der Bevölkerung zum Neuen Menschen, der möglichst optimal verwertbar sein soll.

Daher gibt der Stalinismus so ein viel besseres Feindbild ab als die hier vertretene kommunistische Kritik: Er wiederholte genau diese gewaltsame Grundlegung für die realisierte bürgerliche Utopie, nur schneller und mit sich selbst und den eigenen Programmansagen in krasserem Widerspruch.

Den Ewigheutigen, die Adorno für einen geschichtsmechanischen Apokalyptiker und Holismus für Dialektik halten, sei also nochmals entgegengehalten, daß sie sich mit diesen Verwechslungen vor allem an der eigenen verdrängten Geschichte abarbeiten, im utopischen Anderen das nicht eingestandene realutopische Eigene attackieren.

Kommunistische Kritik hob mit Marx’ Kritik der Politischen Ökonomie an, einer sich gerade zu seiner Zeit in einigen Gesellschaften brutal durchsetzenden utopischen Ideologie, die sich das notwendige Menschenmaterial durch die Zurichtung in Kirchengemeinden, in den Fabriken, auf den Kasernenhöfen und in Gewalterziehung so schaffen mußte, wie es später in den sowjetischen Arbeitsbrigaden oder in den heutigen islamistischen Basisorganisationen etwa in Malaysia geschieht.

Diese Durchsetzungsgeschichte wird mit dem Resultat gerechtfertigt, die Menschen mögen sich gesträubt haben, aber die Überlebenden haben es jetzt besser. Es hat die Guillotine klappern, die Grand Batterie feuern, der Rohrstock niedersausen und Peitsche knallen müssen, aber jetzt ist es ja irgendwie ganz nett. Dieses zynische Zweck-Nutzen-Verhältnis übernommen zu haben und im Ensemble der “alten Menschen” nichts als eine zu stürmende Festung gesehen zu haben, gehört zu den größten und folgenreichsten Fehlern der an die Macht gelangten kommunistischen Bewegungen.

Auf die dabei produzierten Leichenberge und sozialen Verwerfungen kann nicht genug hingewiesen werden, von mir aus auch von Liberalen.

But look who’s talking.

6 Responses to “Gelebte Utopie”

  1. statler Says:

    “Den Ewigheutigen, die Adorno für einen geschichtsmechanischen Apokalyptiker und Holismus für Dialektik halten,”

    Stimmt, Holismus für Dialektik zu halten, wäre peinlich. Deshalb hab ich das ja auch niemals behauptet, sondern die Vereinbarkeit von holistischen Konzepten und dialektischer Methode.

    Junge junge, wenn Ihr Adornofreunde Eure Bücher so biased und oberflächlich lest wie Blogeinträge, dann ist es ja kein Wunder, daß jeder was anderes aus ihm herausliest.

  2. Maxxrev Says:

    Sorry für’s Cross-Posting, aber damit’s nicht untergeht.

    Hans und Co., leider hatte ich keine Zeit die letzten Tage, dafür könnt ihr
    euch ja meinen Kommentar heute reinziehen.

    http://www.classless.org/2007/09/01/jetzt-gehts-los/

    Hat ja auch irgendiwe was mit dem zu tun, was hier geschrieben steht.

    “Kommunistische Kritik hob mit Marx’ Kritik der Politischen Ökonomie an, einer sich gerade zu seiner Zeit in einigen Gesellschaften brutal durchsetzenden utopischen Ideologie, die sich das notwendige Menschenmaterial durch die Zurichtung in Kirchengemeinden, in den Fabriken, auf den Kasernenhöfen und in Gewalterziehung so schaffen mußte, wie es später in den sowjetischen Arbeitsbrigaden oder in den heutigen islamistischen Basisorganisationen etwa in Malaysia geschieht.”

    Clueless, was hast du dir in letzter Zeit reingefahren? Fällt das unter’s BTM oder kann man das wo legal erwerben?

  3. nonono Says:

    @Maxxrev

    Hattest du dich im andern Thread nicht über argumentfreies Gepöbel beschwert?

    @Statler

    Und hast du nicht kommentiert: “Och, die vertragen sich schon ganz gut, der Holismus und die Dialektik”?
    (Der – wenn ich richtig zähle – 12. Kommentar unter deinem Posting http://www.antibuerokratieteam.net/2007/09/05/den-adornischen-untergangspropheten-in-allen-weblogs/ )

  4. Maxxrev Says:

    @Maxxrev

    Hattest du dich im andern Thread nicht über argumentfreies Gepöbel beschwert?

    Oh Scheiße, hast mich dabei erwischt, wie ich mich dem Niveau hier angepasst hab…

  5. Hagbard Jesus Celine Says:

    Passend zum Posting schreibt eins der liberalen Beißerchen heute:

    “Der Liberalismus unterscheidet sich von anderen Weltanschauungen dadurch, dass er keine endgültigen Ziele propagiert, sondern nur die Wahrung einer Bedingung. Menschen, die sich eine Weltanschauung als eierlegende Wollmilchsau wünschen, empfinden diese, der Natur der Sache nach als Abwehrhaltung daherkommende Grundhaltung als unbefriedigend, weil sie “das Positive” vermissen, das konkurrierende Weltanschauungen als Heilsversprechen in der Regel in ihrem Programm haben.”

    http://www.bissige-liberale.com/2007/09/08/liberalismus-melancholisch/

    Ich hab doch gar nichts gemacht! Und ihr habt diese Wollmilchsau-Ideologien!

  6. godforgivesbigots Says:

    # Maxxrev Says:

    Clueless, was hast du dir in letzter Zeit reingefahren? Fällt das unter’s BTM oder kann man das wo legal erwerben?

    Also ich tippe mal auf Paul Lafargue:

    “Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht. Diese Sucht, die Einzel- und Massenelend zur Folge hat, quält die traurige Menschheit seit zwei Jahrhunderten. Diese Sucht ist die Liebe zur Arbeit, die rasende Arbeitssucht, getrieben bis zur Erschöpfung der Lebensenergie des Einzelnen und seiner Nachkommen. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, die Ökonomen und die Moralisten die Arbeit heiliggesprochen. Blinde und beschränkte Menschen, haben sie weiser sein wollen als ihr Gott; schwache und unwürdige Geschöpfe, haben sie das, was ihr Gott verworfen hat, wiederum zu Ehren zu bringen gesucht. Ich, der ich weder Christ, noch Ökonom, noch Moralist bin, ich appelliere von ihrem Spruch an den ihres Gottes, von den Vorschriften ihrer religiösen, ökonomischen oder freidenkerischen Moral an die schauerlichen Folgen der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft. In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Arbeit die Ursache des geistigen Verkommens und körperlicher Verunstaltung.

    Der es endlich mal verdient hätte daß man irgendwo in Deutschland eine Schule nach ihm benennt.

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