Dresden selber schuld, Teil 2: Der viel zu große kleine Naziaufmarsch

February 14th, 2008

1000 Nazis! An einem Mittwoch. Und das obwohl die Freikraftler vom “Aktionsbündnis gegen das Vergessen” praktisch gegen den samstäglichen Aufmarsch mobilisiert haben, den sie als populistische Anbiederung sehen. (In einem Redebeitrag auf ihrer Abschlußkundgebung hieß es: “Sie können selbst beurteilen, wer die Opfer angemessen behandelt und wer sie verhöhnt.”) Es gab keinerlei Begünstigung oder Duldung von Gegenaktivitäten durch die Stadt, wie es anderswo mittlerweile üblich ist und die Antifa bei solchen Aufmärschen teilweise weniger dringend nötig gemacht hat. Diese Stadt hat wirklich Nazis satt, fließend aus der Wand, als Flatrate. Und gerade mit Blick auf das Ordnungsamt und die Stadtverwaltung hat sie daran zu einem erheblichen Teil selber schuld. Daß die Antifa diese Zustände thematisiert und konsequenterweise gegen Nazis und die Stadt textet, kann nur aus sehr großer räumlicher oder inhaltlicher Entfernung für kontraproduktive “Kompromißunfähigkeit” gehalten werden.

Leider fanden sich nur etwa 200 bis 300 Antifas ein, die die meiste Zeit an ihrer unglücklich zwischen Synagoge und Polizeihauptwache platzierten Kundgebung festklebten oder sich beim Umherschweifen in der Stadt Platzverweise einsammelten. Die Versuche, die lieben Genossen aus anderen Städten schon vorm Wochenende nach Dresden zu locken, waren nur in recht begrenztem Ausmaß erfolgreich. Wie schon am Morgen durchsuchte die Polizei wieder gründlichst bis in die Intimsphäre, bei vielen Antifas mehrfach. Zwischendurch befreite eine kleine Einsatzgruppe gar einen Baum und ein paar Sträucher von der Bedrohung durch Randalierer und bewachte die Szenerie danach noch eine Weile.

Polizei bewacht Gesträuch

Unterdessen wurde beim Rumgeopfer an der Frauenkirche eine Kerze auf eine Seite des Wiederbaus projiziert. Beim Durchlaufen der beträchtlichen Opfermenge versuchte ich abermals vergeblich klarzubekommen, daß das alles wirklich passiert ist und passiert: sie haben die Frauenkirche wirklich wiederaufgebaut, sie nutzen sie wirklich als Symbol ihrer Geschichtsverdrehung, es stehen wirklich Hunderte von Menschen auf dem Platz davor herum und sind wirklich tief bewegt. Gbt es nicht mittlerweile auch Leute, die damals wirklich Angehörige verloren haben und dieses Schauspiel grotesk und instrumentalisierend finden? Als wir den Platz verließen, hörte ich einen Polizist sagen: “Was soll denn hier schon passieren?” Und ich dachte: ‘Was würde wohl passieren, wenn ich jetzt anfange zu singen?’

Frauenkirche brennt ein bißchen
Frauenkirche brennt ein bißchen

Auf der Zielgeraden, als der Nazi-Schweigemarsch den Postplatz passiert hatte, schafften es genügend Antifas und auch empörte Dresdner an die Demoroute heran, um bis zum Schluß die höchst pathetische klassische Musik aus dem Kameradenlauti mit anhaltenden lauten Sprechchören zu übertönen.

Eine Schrecksekunde, besser eine ganze Reihe von Schreckminuten gab es, als die Abschlußkundgebung der Nazis am Rathaus gerade beendet war und die Wand aus Polizeiwannen, die in Richtung Pirnaischer Platz alles hermetisch abgeriegelt hatte, inklusive sämtlicher Beamter von einem Moment auf den nächsten verschwand. Bis dahin waren alle Mutmaßungen über einen eventuellen Durchbruch einer größeren Nazigruppe zum Ort der Antifa-Kundgebung mit dem Verweis auf eben diese Blechwand mit Ninjabesatzung verworfen worden, jetzt lagen plötzlich zwischen mehreren Hundert motivierten Nazischlägern und der Kundgebung nur noch ein paar Hundert Meter schlecht bewachtes Gelände.

Glücklicherweise gelang den Nazis schließlich doch kein organisierter Durchbruch mehr, nach kleineren Rangeleien fuhren sie nach Hause bzw. versuchten es, da einige ihrer Busse in der Zwischenzeit kaputtgegangen waren.

Abschließend will ich noch mal so parolenfrei wie möglich und hoffentlich unmißverständlich darauf hinweisen, daß ich alle Argumente kenne, die mittlerweile gegen Antifa-Aktionen sprechen, daß es in Dresden aber anders aussieht. Man muß sich nicht als bessere Demokraten in die Spur werfen, wenn die jeweilige Stadt das in Gestalt von Bürgerprotesten oder Demoverboten bereits tut. Man muß sich auch nicht als Feigenblatt hergeben, um eine üble Situation weniger übel erscheinen zu lassen. Im Falle Dresdens ist jedoch die geschichtsrevisionistische Opfermythologie ein solches Massenphänomen, die Zusammenarbeit von Antifa und “Bürgers” so abwesend, die Duldung und Begünstigung der Nazis so umfassend und auch die Schnittmenge zwischen expliziten Nazipositionen und “normalem” Welt- und Geschichtsbild so groß, daß es keinen Grund für Entwarnung oder Rückzug gibt.

Am Samstag werden voraussichtlich noch erheblich mehr Nazis in die Stadt kommen. Es wird seitens der Polizei und der Stadt wieder für eine möglichst reibungslose Nazidemo mit idealer Innenstadtroute gesorgt werden. (Das Ordnungsamt hat offenbar die jüdische Gemeinde unter Druck gesetzt, wegen der vorbeiziehenden Nazis ihren samstäglichen Abschlußgottesdienst nicht im Freien im Innenhof der Synagoge durchzuführen. Ist alles nur zu ihrer eigenen Sicherheit…)

Was immer an diesem reibungslosen Ablauf gestört, behindert oder gar gestoppt werden kann, würde richtig helfen. Nicht beim Beseitigen der Schandflecke der tollen Stadt, nicht beim Verhindern der Besudelung der schönen historischen Kulisse, nicht beim Retten irgendwelcher Demokratieideale oder eigener revolutionsromantischer Selbstbilder – was nebenbei sicherlich auch alles eine Rolle spielen wird -, sondern vor allem original beim Konfrontieren von Tausenden nationalsozialistischen Schlägern, denen sonst gerade nicht viel im Weg steht.

Mußte mal gesagt werden.

18 Responses to “Dresden selber schuld, Teil 2: Der viel zu große kleine Naziaufmarsch”

  1. nicht zynisch werden?! : nada Says:

    […] / Nichtidentisches – Antideutsche Regressionen / Classless: Dresden selber Schuld I & II / Kotzkübel: Proteste gegen Neonazis und […]

  2. Antifa in Dresden « Bedeutungswirbel Says:

    […] von Benni am Februar 14, 2008 classless beschreibt die Situation in Dresden recht drastisch. Unvorstellbar finde ich ja sowas: Das Ordnungsamt hat […]

  3. Daniel Weigelt Says:

    Von mir kriegste Zustimmung.

  4. Torsten Says:

    Schämt Ihr Euch nicht, die Trauerfeiern der Mannschaften mit Eurem Gesülze zu stören. Assis.

  5. BliBlaBlupp Says:

    schämst du dich nicht, uns mit deinem niveaulosen opfer-gesülze zu nerven?

  6. radio corax Says:

    Der 13. Februar ist in jedem Jahr ein Tag des Gedenkens. An diesem Tag wurde bei Bomber-Angriffen der Alliierten die Stadt Dresden nahezu vollständig zerstört. Die Strategie der alliierten Luftangriffe hatte zum Ende des zweiten Weltkrieges eine Demoralisierung des deutschen Volkes zum Ziel, um die verlustreichen Bodenkämpfe endgültig zu beenden und Nazi-Deutschland zur Kapitulation zu zwingen. Der Erfolg dieser Strategie ist bekannt. Wenn heute offiziell dieses tages gedacht wird, klingt aber weniger eine kritische historische Betrachtung durch die Reden der Politiker, sondern immer öfter ist von den unschuldigen Opfern die Rede. Die amerikanischen Bomber stehen dabei nicht selten als Inbegriff einer grausamen und menschenverachtenden Kriegsführung. Und als kleiner Nachsatz wird dann meist erwähnt, dass ja auch die Deutschen irgendwie zu dieser Entwicklung beigetragen hätten. Das ist seit Jahren auch Anlass für die Nazis, auf diesen Opfermythos aufzusatteln und zeitgleich in Dresden in Erscheinung zu treten. Auch wenn immer mehr Gegnerinnen und Gegner eines solchen geschichtsrevisionismus gegen Nazi-Gedenken und bürgerliche Geschichtsverfälschung protestieren, bleibt ein klares politisches Schuldbekenntnis für diesen Tag seitens deutscher Politiker aus. Der Publizist Daniel Kulla hat sich die Gedenkveranstaltungen in Dresden näher angesehen und gab Radio Corax zu diesem Thema ein Interview.

  7. godforgivesbigots Says:

    Ach in Dresden oder Pforzheim gibt es wenigstens Interventionen, guck mal nach Würzburg

  8. dissidenz.olifani.de » von der opferfront Says:

    […] stadt” dresden. ein aktuelles audiointerview mit classless kulla, der auch in seinem blog von vor ort berichtet, hat nada […]

  9. Loona Says:

    “Abschließend will ich […] darauf hinweisen, daß ich alle Argumente kenne, die mittlerweile gegen Antifa-Aktionen sprechen[…”]

    Und das waeren? Entschuldige, bin wohl Diskursmaessig nicht auf dem Laufenden.

  10. Kennste Dresden? | schildkroetenblog Says:

    […] Bilder wie immer beim ADF: KLICK IT! Ansonsten sind noch Classless´ Artikel lesesnwert: KL-ICK IT! Ich war nicht da, Asche auf mein Haupt, Dresden war meine erste antideutsche Antifademo, damals […]

  11. bikepunk 089 Says:

    Und gerade mit Blick auf das Ordnungsamt und die Stadtverwaltung hat sie daran zu einem erheblichen Teil selber schuld. Daß die Antifa diese Zustände thematisiert und konsequenterweise gegen Nazis und die Stadt textet, kann nur aus sehr großer räumlicher oder inhaltlicher Entfernung für kontraproduktive “Kompromißunfähigkeit” gehalten werden.

    Der Vorwurf der “Kompromissunfähigkeit” in dem damaligen AIB Artikel und ähnlihcer Kritik an der Dreseden-mobilisierung bezog sich meiner Erinnerung nach (ein Jahr her dass ich den gelesen habe) nicht darauf, dass gegen die Stadtverwaltung und das Ordnungsamt getextet wurde, sondern auf die Ultraantideutsche Ausrichtung der Antifa-Mobiliserung.
    Zu versuchen, die Bürgers bei dem Anspruch zu packen doch gefälligst die NAzis Scheisse zu finden und dadurch Druck auf die Stadt auzubauen, den Nazis mehr Steine in den Weg zu legen ist eine ganz andere Argumentationsschiene als das beknackte “Bomber Harris schalalala” – Gejohle.

    Zumnidest vor ein paar Jahren, als in meinem Münchner Umfeld diskutiert wurde evtl. nach Dresden zu fahren, war die Erwartung unter alliierten Fahnen und Bomber Harris rufen durch die Stadt zu tigern ein echter Abturn. So gesehen gehört zum Apell an alle Antifas, nach Dresden zu fahren auch die Frage an die lokalen Leute, wie einladend die Mobiliserung in der Form ist.

  12. classless Says:

    Aber was heißt denn “ultraantideutsche Ausrichtung”? Ansonsten kann ich nur noch mal wiederholen, daß das aus der Entfernung anders aussehen mag – vor Ort war es wie auch in den vergangenen Jahren eher verblüffend gemischt.

  13. godforgivesbigots Says:

    Den Engländern die mich gefragt haben warum die da sowas machen hab ich erklärt dass es die Rudolf Hess fans provozieren tut. Die meisten Inselmenschen sind sich nicht darüber im klaren dass der Stellvertreter hier immer noch wie blöde abgefeiert wird. Vielleicht sollten mal die Spezialisten die im Moscheestreit mit Schildern rumgelaufen sind auf denen ganz andere Dinge standen als sie wirklich selber dachten beim Karneval der Opfer graswurzelmäßig aktiv werden.

  14. bikepunk 089 Says:

    “Ultraantideutsche Ausrichtung” heisst z.B., dass die Antifademos unter “Vollbeflaggung” liefen (zumindest laut euphorischen indymedia-Berichten) und die Aufrufe den Eindruck erweckten, dass sei so auch erwünscht. Und daruaf haben viele keinen Bock, aus Gründen die ich nachvollziehe und teile.
    Mir ging es hier garnicht darum das einzeln aufzudröseln, sondern darum, dass sich der Vorwurf der “Kompromissunfähigkeit” so wie ich ihn im Kopf habe stark darauf bezog, und nicht – wie von dir angedeutet – auf den politischen Umgang mit der Stadt.

  15. classless Says:

    Oh, das war mir nicht klar, daß das Rumwedeln mit den Fahnen der Alliierten (und Israels) am 13.2. schon als “ultraantideutsch” gilt.

    Den diesjährigen Gesamt-Flaggenscore hat el_phiko freundlicherweise ermittelt: er kommt auf insgesamt 7 1/2 Fahnen, davon 4 1/2 “ultraantideutsche”.

  16. Nazis blamieren sich in Köln « Der andere Blickwinkel Says:

    […] Naziaufmärschen des Jahres (Hamburg jetzt mal nicht berücksichtigt, da war großer Protest), also Dresden und Dortmund effektives Blockieren nicht wirklich möglich ist und das nur wegen der geringen […]

  17. +++ alternative dresden news [add'n] +++ » Dresden: Informationen zum 13. Februar 2009 (Update 03.01.) Says:

    […] Für den 13. Februar sind bis jetzt keine Aktionen geplant. An diesem Tag werden wie schon im vergangenen Jahr knapp 1.000 so genannte “Freie Kräfte” versuchen, durch Dresden zu […]

  18. » von der opferfront | kotzboy.com Says:

    […] aktuelles audiointerview mit classless kulla, der auch in seinem blog von vor ort berichtet, hat nada […]

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