Hitler Begins, Teil VI: Partei-Relaunch

February 27th, 2020

Am 24. Februar 1920 benennt sich während einer öffentlichen Veranstaltung in München die trotz Schützenhilfe aus der Reichswehr immer noch winzige Deutsche Arbeiterpartei (DAP) in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) um. Um eine größere Menge ins Hofbräuhaus zu locken (wo übrigens am 13. April 1919 noch die kommunistische zweite Räterepublik ausgerufen worden war), hatte DAP-Gründer Anton Drexler den völkischen Arzt Johannes Dingfelder als Hauptredner angeworben, der zur Eröffnung unter großem Beifall sagt, “dass Gott allein unser Bundesgenosse ist”.

Postkartendarstellung des Festsaals im Hofbräuhaus (um 1900).

Danach verliest Adolf Hitler, in den vergangenen Monaten in Reichswehrkursen und als Truppenbibliothekar geschult, das hauptsächlich von Drexler verfasste Parteiprogramm. Mit Forderungen nach einem Groß-Deutschland mit Kolonien, nach Diskriminierung von Juden und nach autoritären Eingriffen in die Ökonomie wie während des Krieges verbindet es klassisch völkisch-antisemitische Ideen mit solchen der rechten Sozialdemokratie, wie sie zu dieser Zeit, unmittelbar vor dem Kapp-Putsch Mitte März, sowohl in der Militärführung wie in der Regierung, in Bürgertum und Kirche, Polizei und Hilfstruppen besonders verbreitet waren.

Damit “war freilich die Versammlung nicht vorbei, wie Hitler später in ‘Mein Kampf’ suggerierte”, schreibt Othmar Plöckinger (2013:176). “Im Gegenteil, es kam danach zu heftigen Auseinandersetzungen mit anderen Rednern. Max Sesselmann, Redakteur des Völkischen Beobachters, sprach zwar noch für die Partei, aber seine Ausführungen über das ‘Gesetz der sittlichen Ordnung’ hatten wenig mit Hitler und viel mit Dingfelder gemein.”

Ein Sprecher der Erwerbslosen will USP-Leute nicht von vornherein ausschließen, sagt, er “möchte nicht wissen, wieviel Antisemiten die hier heute schreien, morgen bei Tietz einkaufen”, erntet Beifall. Ein anderer wirft Hitler vor, nicht antisemitisch genug gesprochen zu haben, er “hätte ruhig auch mal das Wort ‘Jude’ in den Mund nehmen dürfen”, Beifall.

Schließlich warnt ein Soldat, der sich als Gegner der Versammlung vorstellt, vor der “Diktatur von rechts” und erklärt, der werde man eine “Diktatur von links” entgegensetzen. Im einsetzenden Tumult gehen Hitlers letzte Worte unter, das Ende des Abends bestimmen die Gegner: “Nach Schluss der Versammlung ließen etwa 100 U.S.P. und Kommunisten … die Räterepublik, die Internationale usw. hochleben und brachten ‘Nieder’-Rufe auf Hindenburg, Ludendorff und die Deutschnationalen aus.”

Doch diese Situation trügt. Völkisch-antisemitisch gesinnte Offiziere und ihre Mannschaften, die sich nach dem konterrevolutionären Regierungsterror des Frühjahrs 1919 in Bayern unter der Deckung des Ausnahmezustands konzentrieren, treten Anfang 1920 als Ordnungskräfte bei den ersten NSDAP-Veranstaltungen auf, beteiligen sich an antisemitischen Kundgebungen und Übergriffen, sind zunächst eine wichtige Grundlage für den de-facto Sieg des Kapp-Putsches in München, die Bildung der “Ordnungszelle Bayern” als völkischem Modellstaat, schließlich werden viele von ihnen zum Grundstock des Nationalsozialismus als Partei und Bewegung.


• Hitler, Teil I: Säuberung von der Revolution – zu Hitlers Werdegang bis zum Ende der Räterepublik und seiner Tätigkeit im konterrevolutionären Untersuchungsausschuss seines Regiments
• Hitler, Teil II: Umschulung auf Konterrevolution – beim Reichswehr-Weiterbildungskurs für Agitation und Propaganda
• Hitler, Teil III: Propaganda-Feldversuch für die Reichswehr (Juli 1919)
• Hitler Begins, Teil IV: als Aufbauhelfer zur D.A.P. (September 1919)
• Hitler Teil V: “Lesestoff” und geförderter Aktivismus (November 1919)
• Alle Postings zu Revolution und Konterrevolution vor 100 Jahren: Revolution in Deutschland 1918-23.

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