Hitler Teil V: “Lesestoff” und geförderter Aktivismus

November 12th, 2019

Am 12. November 1919 sehen wir den Gefreiten Adolf Hitler sowohl innerhalb wie außerhalb der Truppe eifrig bei der Sache. Als Bibliothekar wird er im Tagesbefehl des Schützenregiments 41 erwähnt, zu dessen Stab und Nachrichtenkompanie er Ende Oktober kommandiert worden war: “Lesestoff. Am 13. ds. vormittags 9 Uhr empfangen Kl[eine] Gesch[ütz] Batterie, Nachrichtenkomp[anie] (auch für Rgts.-Stab) Lesestoff bei Gefr. Hitler, Zimmer 564, III. Stock.” Othmar Plöckinger schreibt: “Offensichtlich betreute Hitler die Regimentsbibliothek, die zu einem guten Teil aus der Mannschaftsbücherei von Hitlers 2. Infanterieregiment bestand. Deren 373 Bücher wurden am 19. August 1919 an das Schützenregiment 41 übergeben.”

Im Bestand fanden sich nach der Reinigung der Truppe von “unzuverlässigen”, der Sympathien für Revolution, Räte, USPD usw. verdächtigen Elementen vor allem konservativ-nationalistische bis völkisch-antisemitische Bücher, Broschüren und Flugschriften, nur vereinzelt auch übrig gebliebene (rechts)sozialdemokratische Titel.

Collage zeigt links die Kaserne des Schützenregiments 41
und rechts eine Liste von Titeln in den Reichswehrbüchereien August/September 1919 (Ergebnis eines Bestandserfassungsbefehls) –
beides aus “Unter Soldaten und Agitatoren” von Othmar Plöckinger (Paderborn 2013).

Hitler wird in den folgenden Wochen mit großen Mengen dieser Literatur hantieren und dabei die verschiedenen, oft widersprüchlichen und von unterschiedlichen Interessen bestimmten Ansätze zu einer ideologischen Synthese zusammenstricken: aus dem konterrevolutionären Antibolschewismus des Staatsapparats, der Junker und der rechten Sozialdemokratie, aus der Militärhetze gegen angebliche jüdische Kriegsdrückerei und den “Dolchstoß”, aus dem bürgerlichen “Haltet den Dieb!” gegen das Kriegsgewinnlertum und Schieberei der jeweils anderen, schließlich aus der Erfahrung der beharrlichen Behauptung der rechten SPD-Führung den Sozialismus einzuführen ohne das jedoch zu tun, ja während die sozialistische Revolution abgeschlachtet wird – aus all dem fügt Hitler den “Nationalsozialismus” zusammen, in dem die Juden zum Grundübel erklärt werden und alles andere zu abgestuften Folgen, und in dem der Kampf der tüchtigen deutschen Nation, Kapital wie Arbeit, gegen die “jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung” zum “richtigen”, “wirklichen”, “deutschen” Sozialismus wird.

Am Abend des 12. November spricht Hitler dann auch noch auf einer Parteiversammlung der DAP zu seinem Lieblingsthema, dem Vergleich zwischen den Friedensverträgen von Brest-Litowsk und Versailles, wozu er auch an einem ab Januar von der Reichswehr massenhaft verbreiteten Flugblatt zu arbeiten begonnen hatte. Anwesend ist dabei auch Karl Mayr, Leiter der Reichswehr-Propagandaabteilung Ib/P, der Hitler und andere Soldaten zwei Monate zuvor als Aufbauhilfe zur DAP geschickt hatte.

Bereits am 30. Oktober hatte sich die Nachrichtenabteilung des Reichswehr-Gruppenkommandos erstmals in ihrem Lagebericht zur DAP geäußert und sich “durchaus zufrieden” (Plöckinger) gezeigt: “In München hat sich eine ‘nationale Arbeiterpartei’ gegründet, die einigen Zulauf hat; sie steht auf antisemitischem Boden und fordert Kampf gegen das ‘Leihkapital’ (im Gegensatz zum Industriekapital). Die gleiche Bewegung ist in Nürnberg festgestellt, ihr schärfster Gegner ist die U.S.P. In Nürnberg und Augsburg ist weitere Zunahme der antisemitischen Bewegung gemeldet.”

Es war Hitlers wachsende Aktivität in der DAP, die ihn für Mayr und die Reichswehr weiter interessant machte, da er als Redner in der Truppe keine große Rolle spielte – Hitler seinerseits sah sich auf das Militär angewiesen, das ihn bezahlte und mit Kontakten versorgte. Obwohl Hitler formal weiter der Bayerischen Armee angehörte, war er ab Ende Oktober 1919 also “weitgehend in das Heer der Weimarer Republik integriert”.

Plöckingers Resümee: “Übrig bleibt das Bild eines in und von militärischen Stellen gut versorgten Aktivisten, der der aufstrebenden DAP als Leihgabe zur Verfügung gestellt wurde. Dies war umso einfacher, als Hitlers Mitgliedschaft in der Partei nicht dem Parteienverbot für Reichswehrsoldaten unterlag, da er nie der Reichswehr angehörte.

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• Hitler, Teil I: Säuberung von der Revolution – zu Hitlers Werdegang bis zum Ende der Räterepublik und seiner Tätigkeit im konterrevolutionären Untersuchungsausschuss seines Regiments
• Hitler, Teil II: Umschulung auf Konterrevolution – beim Reichswehr-Weiterbildungskurs für Agitation und Propaganda
• Hitler, Teil III: Propaganda-Feldversuch für die Reichswehr (Juli 1919)
• Hitler Begins, Teil IV: als Aufbauhelfer zur D.A.P. (September 1919)
• Hitler Begins, Teil VI: Partei-Relaunch (24.2.1920)
Alle Postings zu Revolution und Konterrevolution vor 100 Jahren:
Revolution in Deutschland 1918-23.
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Wie es anfing mit den Nazis.

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