classless Jahresrückblick 2019: das Rettende auch
December 30th, 20192019 wurde das erhoffte Streikjahr: es begann mit dem bisher größten Streik der Menschheitsgeschichte in Indien (200 Millionen streikten zwei Tage lang gegen die neoliberal-nationalistische Modi-Regierung) und endet mit dem Generalstreik in Frankreich gegen die Rentenreform (aktuell seit mehr als drei Wochen), die Schulverweigerung gegen die Klimakatastrophe wurde zur Massenbewegung und radikalisiert sich zumindest in Teilen weiter, die USA erleben einen Aufschwung an Arbeitskämpfen (u.a. Oakland Educators im Mai, United Auto Workers im September), auch in Deutschland nimmt die Streikbereitschaft zu (von Geldtransportern über Pflegekräfte, allgemein Gesundheitswesen bis zu Lebensmittelbetrieben u.v.a.).
Die Liste der Massenstreiks und Massenproteste weltweit ist lang (und viele davon sind widersprüchlich und von außen nicht ohne weiteres verständlich, Guillaume Paoli hat sich an einem Überblick versucht), sicher sticht jedoch Chile heraus, dessen Bevölkerung sich sowohl massenhaft an die Zeit und die Lieder vorm Neoliberalismus erinnert als auch mit “Y la culpa no era mía” eine neue mächtige Form des antisexistischen Straßenprotests hervorgebracht hat:
Aber die Gesamtlage ist verzweifelt und es ist überhaupt nicht abzusehen, ob sich all diese Streiks und Proteste schnell genug weiter sammeln und länderübergreifend verbinden um der nach wie vor schneller wachsenden Gefahr von Weltkrieg, Faschismus, Terror und Unbewohnbarkeit immer größerer Teile der Planetenoberfläche entgegenzuwirken.
Bei alldem, was gerade auf den Straßen in Bewegung gekommen ist und was es in vielen Ländern an neuerlichem Sozialismus-Diskurs gibt, hat sich an den Eigentums- und Herrschaftsverhältnissen doch so gut wie nichts geändert, gehen Ausplünderung und Ausbeutung weiter, wird immer noch mehr CO2 ausgestoßen, hat sich das Kapital in die direkte Regierungsgewalt zahlreicher Staaten gebracht und demontiert unter lautem nationalistischen Getöse die öffentliche Infrastruktur, die Rechte der Arbeitskräfte und staatliche ökonomische Eingriffsmöglichkeiten.
Die Fragen lauten immer deutlicher: Wie kommen die Streikenden und Protestierenden an Durchsetzungsmacht und an die Produktionsmittel? Wie kann die Dominanz bürgerlicher Politikformen und Ideologie, die Diskurshegemonie der immer neuen Shitstorms und Kampagnen gebrochen werden? Wie können die Distinktionen und Diskriminierungen, die allgemeine persönliche Dauerwerbesendung der Ab- & Selbstaufwertungen und der Privilegienwettbewerbe überwunden werden? Und wieviel Zeit haben wir dafür noch?
and now they’re trying to sell
the car to end all cars
Ich so
Hab meine Aufwiegelungs- und Aufklärungstätigkeit in diesem Sinne fortsetzen können, wieder mit mehr als 50 Vorträgen auch an mehreren neuen Orten und mit neuen Themen (“Realsozialismus-Bullshit-Bingo”, “Die Hüftbewegung” – passend zum Fund von “Udo” , “Die Option zu kämpfen”, “Systemausfall ’89/’90 – Zum Ende der DDR und den Folgen”, Entschwörungs-Spezial “Heiße Luft – Klima & Wissenschaft” – leider alles noch ohne Mitschnitt), mit “Ideolotterie”-Workshops nun auch im Westen und zuweilen verstärkt durch die famose Ilse Bindseil, mit der Sammlung von Klassenkampf-Nachrichten auf der Arbeitskräfte-Seite, mit viel Wühltätigkeit, zu seltener Auflegerei (auf dem Linksjugend-Pfingstcamp in Doksy und bei “Still not loving Rosenheim Cops” in München), den überraschend wirksamen “Älterer Mann”-Videos (zu Klimastreik und zu Extinction Rebellion) und gelegentlichen Stunts wie anläßlich des Besuchs von Jens Spahn in Leipzig (Fotoposting, Video). Der schriftliche Output konzentrierte sich auf Revolution und Konterrevolution vor 100 Jahren (Einzelslides zu den Vortragsorten, Jahresrückblick auf 1919), mehrere schon abgelieferte Texte erscheinen erst im nächsten Jahr (u.a. für monochrom die Verschriftlichung meines Vortrags “Die Arbeit nicht hoch oder nieder – sondern machen, alle füreinander!”, für Der Goldene Schuß ein Cut-up-Text über Rehabilitation, für einen Sammelband “Konzepte linker Gegenmacht” über instandbesetzte Betriebe und für den nach 20 Jahren zweiten Band von “Ich Liebe Musik” über “Weinen bis zur letzten Patrone”).
Nach 18 Jahren wieder Bürger des Freistaats Sachsen (und auf dem Boden von dessen erster Regierungserklärung) bin ich nun in Leipzig, wo es im Sommer an der Hildegardstraße einen ganz erstaunlichen Anti-Abschiebungs-Protest mit folgender Kiezdemo gegen die Staatsgewalt gab, wo André Poggenburg immer und immer wieder gegen Connewitz zu demonstrieren versucht, das dem Mythos vom “linkskriminellen Bürgerkriegsgebiet” nicht wirklich entspricht (und für mich eher lauter Gemeinsamkeiten mit Thale aufweist), obwohl sich die Polizei mit ständigen Hubschraubereinsätzen und auch sonst viel Mühe gibt und z.B. Stunden nach dem Anschlag von Halle eine antifaschistische Demonstration auseinanderknüppelte. Ich versuche an die klassenkämpferische Verbrechensgeschichte von Leipzig zu erinnern (Straßennamen, Leipzig Crime), im März sollen zu den 100. Jahrestagen der Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch und die bewaffneten Kämpfe um die Sozialisierung sichtbar gemacht werden.
“Nach Leipzig kommen alle – unsere Freunde, deren Zahl von Jahr zu Jahr wächst, und auch die anderen, die sich durchaus noch nicht über den sozialistischen deutschen Staat freuen.”
(Selbstdarstellung der DDR Ende der 60er Jahre)
Empfehlungen des Hauses 2019
• Brecht, nach Facebook umgestellt: “Der Kommunismus ist das Mittlere!”
• Piketty: “Das Kapital im 21. Jahrhundert” (Film ohne Marx)
• “Die überschätzte Spezies”: Menschen über sich
• Robert Habeck über Gustav Noske
• Falle grüne Revolution: “Dieser Teil der Gesamtveranstaltung ist nicht neu”
du musst nicht glauben
du wärst was Besseres
nur weil du was Besonderes bist
wie alle anderen auch
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