Menschen über sich

October 2nd, 2019

Großartige Bilderflut voller Wissen, dann aber olle Pointe – darauf scheint sich ARTE zu spezialisieren. Auch im Falle der Doku-Minireihe “Eine überschätzte Spezies” wird mit nie gesehenen Animationen über Universum und Evolution eine beeindruckende Menge wissenschaftlicher Erkenntnis an den Grenzen der Darstellbarkeit zusammengetragen und begreifbar verdichtet – um dann den Refrain heimzuhämmern, dass die Spezies, die all dies so weit verstehen und darstellen kann, so besonders ja doch nicht ist.

Wer tatsächlich dem klassisch-christlichen bis konservativ-faschistischen Bild anhängt und den Menschen als “Krone der Schöpfung” sieht, die sich die Erde untertan machen soll, mag hier auf zahlreiche Kränkungen stoßen, die dann wohl auch mal sein müssen. Auch bis weit über dieses Glaubensbild halten sich ja hartnäckig auch im populärwissenschaftlichen Kontext allerlei Vorstellungen über Alleinstellungsmerkmale unserer Spezies, die gar keine sind.

Hier wird nun aber das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und die in den letzten Jahrzehnten allmählich besser aufgeklärten tatsächlichen Besonderheiten unserer Abstammungslinie, die unter anderem dieses ganze Wissen über die Welt und diese Darstellung davon möglich gemacht haben, tauchen einfach nicht auf bzw. werden übergangen. Das heißt, statt (ganz kurz gefasst) Hüfte, Rausch, Lust und Kommunismus landen wir dann gleich bei Philosophie, Religion und Vernunft.

Damit bleibt das Ganze dem herrschaftlichen Diskurs verhaftet, der von diesen neueren, allmählich dämmernden Erkenntnissen gerade besonders gründlich auseinandergenommen wird (bzw. werden könnte). Die Vorstellung von der Herrschaft des Menschen über die Natur war immer auch Teil des Rechtfertigungsdiskurses für die Herrschaft über andere Menschen (und für den herrschaftlichen Umgang mit der nicht-menschlichen Natur), in dem Hüfte, Rausch, Lust und Kommunismus auch unabhängig vom jeweils aktuellen Forschungsstand ganz systematisch nicht vorkamen und vorkommen.

Diese herrschaftliche Position versucht sich mit ihrem Naturdiskurs auf die ganze Menschheit zu verallgemeinern und diese damit zu Komplizen gegenüber der übrigen Natur zu machen, so wie sie es mit dem Nationalismus gegenüber anderen Nationen bzw. gegenüber den untüchtigen, fremden anderen Menschen tut. Das endet üblicherweise in der Gegenüberstellung von herrschaftlicher Zivilisation und Wildnis/Barbarei – und das wiederum bricht die potentiell heilsame Kränkung angesichts der eigenen relativen Position im Ökosystem auf die Formel vom nur dank der Herrschaft mit Ach und Krach zivilisierten menschlichen Tier herunter, was bildet man sich denn ein?

Der dünne Lack der Zivilisation ist im letzten Jahrhundert zur Erzählung der bürgerlichen Herrschaft über sich selbst geworden, darüber, wie sie jederzeit in Faschismus umschlagen kann um sich gegen zu starke Konkurrenz oder Infragestellung vorwärtszuverteidigen. Und dazu gehören die vielen kleineren ideologischen Narrative, die erste und zweite Natur zusammenwerfen, Konkurrenz gegen Kooperation ausspielen (hier etwa die Entstehung des menschlichen Körpers aus der Kooperation und Konkurrenz unzähliger anderer Organismen bereits als Kränkung seiner Bedeutung behandeln) und Menschen eben nicht in ihrer Besonderheit ernstnehmen, sondern mit den jeweils passenden Projektionen von Raubtierrudeln usw. gleichsetzen.

Und so ermahnt sich im letzten Teil diese bürgerliche Herrschaft (über den Umweg des hier abgebildeten Wissenschaftsdiskurses) selbst, wird eine im Grunde absurde Hoffnung in die gerade als unbedeutend abqualifizierte menschliche Vernunft gesetzt, die einen davon abhalten möge, die eigenen Lebensbedingungen zu zerstören.

In gewisser Weise illustriert diese ganze Serie das durch den herrschaftlichen Blick verschärfte Dilemma, dass sich das menschliche Gehirn aus seiner Vorstellung von der Welt selbst immer herausnimmt und gleichzeitig überallhin projiziert – es kommt selbst nicht vor, überall sind aber Repräsentation von ihm. Und so geht die Miniserie an ihrem eigenen Widerspruch vorüber, dass sie selbst, mit all ihrem verdichteten Wissen und all der hochverfeinerten Darstellung, in der Rechnung über die Besonderheit nicht vorkommt – gerade so etwas wie das Material dieser Miniserie zeichnet uns als Spezies ja aus!

Der Blick an den herrschaftlichen Eitelkeiten vorbei auf unser reales Potential könnte uns klarmachen, wie wir uns gegenüber einander und dem Rest der Welt durchaus anders verhalten können – auch bei dieser Einsicht gehe ich (wie bei anderen) allerdings davon aus, dass sie sich erst im Zuge größerer Zusammenschlüsse verallgemeinern wird, wenn also dieses Potential bereits (wieder) umfangreicher zum Tragen kommt.

Collage aus vier Zoomstufen der Darstellung der menschlichen Hautoberfläche, die den Punkt mit der Kooperation und Konkurrenz unzähliger Lebewesen im und am menschlichen Körper sehr schön (naja) illustriert.

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