Aus der Produktion

November 8th, 2006

Zu dieser Skizze aus dem letzten Kapitel der “Entschwörungstheorie” hätte ich gern noch ein paar Meinungen. Bitte keine Anmerkungen zu Stil und Aufbau, ist wie gesagt nur ein Entwurf – mir geht es mehr um den Gedankengang, um mögliche andere Beispiele oder Denkfehler meinerseits.

Der Haken am Ansatz der Kritischen Theorie ist jedoch auch hier die fehlende Infragestellung der eigenen Position. Das mag absurd erscheinen, denkt man an die vielerorts als Selbstzerstörung der Wissenschaft angegriffene “Dialektik der Aufklärung”. Doch jenseits des Wissenschaftsbetriebs wird für die Kritische Theorie eine ideale Wissenschaftlichkeit zum Maßstab, von dem aus das Verschwörungsdenken beurteilt wird: „Tatsächlich ist die Verschwörungsphantasie jeder systematischen Terminologie, jeder überprüfbaren Definition spinnefeind. Was an Realität in ihr auftaucht, steht nie zuerst für sich selbst, sondern immer für etwas anderes, “Größeres”; und das oberste Ziel der Konstruktion ist, wie beim Mythos, die Erzeugung, ja Erzwingung von Sinn.“ (Roth/Sokolowsky)

So sehr diese Analyse auf zahlreiche postmoderne Ansätze ebenso angewendet werden könnte, wird die Verteidigung eines Wissenschaftsideals besonders an solchen Stellen deutlich: „Dieser Sinn resultiert nicht aus der Beobachtung der Phänomene, er wird von vornherein gesetzt. Er ist die Prämisse, mehr noch: das Credo der Komplottlegende – nicht etwa eine Hypothese, die sich in und an der Wirklichkeit zu beweisen hätte, sondern eine Vorgabe, der die Welt gewaltsam angepaßt wird.“

Hier erfolgt die Kritik von einem nicht existenten Standpunkt, einem objektiven und völlig rationalen Standpunkt, der in der Praxis nicht eingenommen werden kann, da jeder nach Belegen sucht, aus zu wenig Empirie schließt, Definitionen übernimmt, Axiome nicht überprüft und mit wissenschaftlichen Arbeiten eben etwas zu beweisen versucht. Was beweist denn der Verschwörungskritiker mit seiner Widerlegung, seiner Abgrenzung?

Ist der mündige Bürger, das kritische Subjekt, der aufgeklärte Mensch, Arendts “Existieren im Plural” nicht auch Utopie, von der demnach kaum ausgegangen werden kann? Wird das Ringen um Klarheit und Mehrheit einfach nicht eingestanden?

Das Ausmaß der konspirationistischen Travestie mag auch deshalb so wenig beschrieben worden sein, da Verschwörungstheorie auf diese Art als Königsdisziplin erscheint: die schillerndere Erzählung, die größere Ladung Sinn und Bestimmung, die dreistere Anmaßung von Macht und Autorität – in einem ganz klassischen, dem 19. Jahrhundert entsprechenden deutschen Sinn „schneller, höher, weiter“, oder später „Schritt halten“, „Überholen ohne einzuholen“.

Kritische Theorie zersprengt die Begriffe von innen und beleuchtet die sozialen und ideologischen Voraussetzungen, kümmert sich aber nur wenig um die Empirie und ist zu sehr vom eigenen Standpunkt überzeugt. Schwachpunkt: die Realität der Verschwörung ist kein Thema. Die Vermittlung des Verschwörungsdenkens auch nur am Rande. Kritik am Eigenen macht vorm kritischen Intellektuellen, dem narzißtischen Ich, dem Sprecher und Autor halt.

Das soll selbstredend dann zu den Diskordiern überleiten, bei denen es die spiegelverkehrte Problematik gibt: Empirie bis zum Hals, wenig Begriff.

One Response to “Aus der Produktion”

  1. nonono Says:

    Als Entwurf paßt das schon. Wobei aber der Angriff der KT aufs Eigene der Linken, das revolutionäre Subjekt, voher unbedingt vorkommen muß. (Was er vermutlich auch tut, just to make sure.)

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