Was die Transparenz übrigläßt

May 28th, 2007

Jürgen Roth bespricht in der konkret einige Titel zur Sprachkritik (“Affenschande”), läßt aber in meinen Augen in aller berechtigten Verteidigung von Sprachsouveränität und Aneignung einen wichtigen Aspekt außer acht, den der Sprache als sozialem Bindemittel.

In der verwalteten Welt, ganz besonders am Arbeitsplatz ist Sprache ganz unabhängig von ihrem Inhalt eines der wenigen verbliebenen Mittel zur Aufrechterhaltung menschlicher Kontakte. Mehr noch: angesichts des Umstands, daß jeglicher Inhalt fürs Beschäftigungsverhältnis erhebliche Konsequenzen haben kann, ist die auf freundliche Ansprache reduzierte Sprache in diese Form gezwungen, sorgt aber dennoch dafür, daß sich die Sprechenden weniger egal sind.

In gewisser Weise füllen die auf einer sprachtheoretischen Ebene so problematischen Phrasen im funktionalisierten Umgang am Arbeitsplatz die Lücke, die von den vielen verschwiegenen kompromittierenden Inhalten gerissen wird. Noch vergangene Woche erlebte ich mit, wie ein sich selbst als umweltbewußten, alternativen Guten präsentierender Promoter alle um sich herum beständig über ihr Privatleben und ihre Auffassungen ausfragte und keinerlei Sinn dafür hatte, daß sie am Arbeitsplatz nicht über alles sprechen. Er ging davon aus, daß er nichts zu verheimlichen hätte und reagierte mit Unverständnis und fortgesetztem Ausfragen auf die ausweichenden Antworten. Ich sagte ihm schließlich, daß ich kein Interview geben mag, worauf er ganz still wurde und mindestens eine halbe Stunde neben mir herumstand und nicht wußte, was er machen sollte.

Auf eine ganz andere Ebene, nämlich die journalistische, zielt die Sprachkritik, die Justus Wertmüller in der aktuellen Bahamas übt. Zwei Passagen daraus, die wie immer mit “to whom it may concern” gekennzeichnet sein sollten:

>>Der Phrasenlieferant mag seinen Lesern professionell überlegen sein, er hat dennoch stets darauf zu achten, dass er mit keinem Ton aus dem vorab gesetzten Rahmen ausbricht. Originalität wäre sein Verhängnis und würde ihn dem Verdacht aussetzen, er manipuliere. (…) Gefragt ist das intime Tagebuch, in dem der Redakteur schreibt, was der Abonnent fühlt…<< Und: >>Eine Gesellschaft, deren Stützen sich bis heute ökonomisch sorgenfrei durchs Leben schlagen, weil direkte Staatsabhängigkeit oder unkündbare, durh staatlich garantierte Flächentarifverträge abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse sie außer Konkurrenz stellen, büßt an Attraktivität auf einen Nachwuchs ein, der längst gelernt hat, dass vergleichbare Karrieren nur einer Minderheit in Aussicht stehen. Die nachwachsende Generation kann auf die Geistigkeit von Repräsentanten eines Arbeitsmarkts verzichten, der sie ausschließt. Demokratieverwalter, die sich auch noch anmaßen, der Jugend in falschem Deutsch die tägliche Lektüre von Besinnungsaufsätzen einbläuen zu wollen, die erklärtermaßen nicht der Unterhaltung dienen, sondern die Lebenslügen ihrer Generation wiederkäuen, haben anscheinend nur noch bei jenen Klassenstrebern und Nesthockern Erfolg, die die grässlichen “Jugend schreibt”-Seiten vollschmieren.<<

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