Roter Stern Deutschland

July 4th, 2010

Nicht auf Arbeit, also konnte ich mir überlegen, wo es vor, während und nach dem Viertelfinalspiel Deutschland gegen Argentinien am wenigsten gruselig sein würde. Im BAIZ wurde versprochen, im Falle einer deutschen Niederlage die Getränke billiger auszuschenken, aber ich dachte mir, überfüllter Innenraum in der Innenstadt wäre doch nicht optimal.

Also fuhr ich mit der Tram zum Roter Stern Cup im Stadion Buschallee. Zwar war angekündigt, daß das Spiel dort auch gezeigt werden würde und in den Ankündigungen war nichts davon zu lesen, daß Stimmungsfaschismusscheiß unerwünscht sei. Doch ließ die Anwesenheit einiger des Fahnengeschreis unverdächtiger Teams die Mehrheitsverhältnisse für den Zweifelsfall günstig erscheinen.

Als die Übertragung des Spiels dann losging, waren diese Mehrheiten jedoch genau vertauscht.

In dem Zelt, in dem das Spiel in groß gezeigt wurde, saßen, wie den Jubelschreien nach dem frühen Führungstreffer der deutschen Auswahl deutlich zu entnehmen war, fast nur Anhänger eben dieser deutschen Auswahl, teilweise mit Fan-Devotionalien ausgestattet und sich nicht zu blöd dafür, den Namen ihrer bekloppten Nation zu grölen.

Ein paar Meter entfernt versammelten sich hinterm Merchandising-Tisch um einen kleinen alten Fernseher diejenigen, die vermutlich wie ich davon ausgegangen waren, hier von diesen nationalen Aufwallungen weitgehend verschont zu bleiben.

Der optische Vergleich, wobei zum Zeitpunkt der Aufnahme vorm kleinen Fernseher auch zwei Deutschland-Fans dabeisaßen:

Das Deutschland-Zelt Der Rest
(zum Vergrößern draufklicken)

Überall sonst mit der Ablehnung des Fußballnationalismus in der verschwindenden Minderheit zu sein, ist schlimm, aber nicht eben überraschend. Auf einem Fußballturnier mit linksradikalen Mannschaften aus antinationalen und antideutschen Kreisen ebenfalls in diese Position gedrängt zu werden, ist hingegen bitter.

Was nach dem Spiel passierte, wollte ich lieber gar nicht wissen und suchte mir ein halbwegs ruhiges Plätzchen in Friedrichshain. Auf dem Weg konnte ich eine Gruppe von Deutschland-Fans auf der Kreuzung Frankfurter Allee/Möllendorffstraße dabei beobachten, wie sie ein argentinisches Trikot zerrissen. Später liefen zwei Kerle die Mainzer Straße hinunter, von denen einer einen Affengang nachzuahmen versuchte und sang: “So laufen die Argentinier!” Dann richtete er sich auf und skandierte mit nach vorn gestrecktem rechtem Arm: “So laufen die Deutschen!” Das wiederholte er die ganze Straße hinunter.

Dazu allerorten das mittlerweile übliche Getröte und Gegröle und in Nationalfarben Herumgelaufe.

Realität, du hast es wiedermal verkackt.

33 Responses to “Roter Stern Deutschland”

  1. Mmmatze Says:

    🙁 Hab mir auch grade den Frust von der Seele geschrieben. Schöne Scheiße, das. Wenigstens musste ich die Deutschen nicht live erleben gestern.

  2. AntiNa Says:

    Deutschland-Fans angreifen! AntiNa heißt Angriff!

  3. classless Says:

    Ja, schön wär’s!

  4. Gnurpsnewoel Says:

    Im about:blank war genau das gleiche, trotz eigentlich eindeutigem Flyer. Gibt wohl keine Rückzugsräume mehr :-/

  5. Peter Says:

    Zu Hause bleiben? #selbstschuld

  6. M Says:

    Total verkackt. Und so war das Bier in der Torstr. nicht billiger, sondern stattdessen gab es Streß mit nationalistischen Touris, denen die Ansage, ihr Deutschland-Trikot wäre nicht so gern gesehen, lange und häßliche Diskussionen wert waren. Pogromstimmung wohin man blickt! Dabei hätte es doch gestern vorbei sein können…

  7. classless Says:

    @ Peter

    Hast du etwa keine Nachbarn?

  8. fussballvonlinks Says:

    berichte auch hier:

    http://fussballvonlinks.blogsport.de/2010/07/03/roter-stern-cup-ein-lagebericht/

    und

    http://prolltouristinnen09.blogsport.de/2010/07/04/roter-stern-schland-sterne-turnier-in-berlin/

  9. Roter Steen Says:

    Der Konsens zwischen den Mannschaften heißt „love sport – hate neonazism“, und nicht „hate germany“. Das solltet Ihr bei der ganzen Kritik einfach mal beachten. Denkt Ihr etwa, dass alle am Cup teilnehmenden Mannschaften, wie zum Beispiel das Fritz-Soccer-Team ein Teil der antinationalen Bewegung hierzulande sind? Wie doof muss man eigentlich sein…

  10. playit Says:

    Wir sind vor dem Deutschland-Spiel gegangen, weil wir irgendwas ahnten, aus gutem Grund anscheind …

  11. Baba Says:

    Heisst es gleich, dass mensch ein Patriot ist, wenn mensch ein BRD-Trikot anhat?
    mensch kann sich ja auch für die Mannschaft freuen.

  12. Bazzard Says:

    @baba:
    die nationalmannschaften, die bei der WM antreten sind aber nie einfach nur mannschaften, sondern fungieren immer als stellvertreter ihrer nation. deswegen sind sie ja da. wer sich dann also so ein weißes leibchen mit schwarz-rot-goldenem emblem überstreift, zeigt damit dann nicht alleien seine verbundenheit zu den 11 hanseln auf dem platz, sondern auch zu ihrem auftrag, den sie da ausführen. der da wäre: ruhm, respekt, ehre für deutschland.

  13. saltzundessick Says:

    baba: halt die fresse

  14. posiputt Says:

    ich wohne offenbar aeuszerst guenstig. ich kriege hier fast nichts mit, es sei denn es faellt mal ein tor.

    die diskussion darueber, inwiefern das identifizierten mit einer in deutschland zusammengestellten maennermannschaft nationalismus ist oder nicht, halte ich fuer voellig unfruchtbar. interessant finde ich, dass, wer nicht mitmacht, mindestens als sonderbar empfunden wird. und das reicht mir schon, um keine lust drauf zu haben.

  15. SuperAntiD Says:

    No more!

    Deutschland-Fans nicht nur die Fahne klaun, auch mal in die Fresse haun!

  16. tebe Says:

    krass. für mich kamen zum schauen des spiels eigentlich nur zwei orte in frage, entweder about:blank oder rs-cup. kann ich ja froh sein, nicht früh genug losgekommen und auf dem sofa hängengeblieben zu sein, trotz nerviger nachbarschaft…

    dass es offensichtlich null rückzugsmöglichkeiten vorm kollektiven taumel mehr gibt, finde ich schon krass und erschreckender als viele gesänge, die einem derzeit aus eckkneipen entgegenschallen. kann mich an die wm 92 erinnern, damals hat man in den bars kreuzbergs keinen einzigen menschen getroffen, der (erkennbar) für deutschland war. heute quasi die umgekehrte situation – ein paar rotgrüne reförmchen am staatsbürgerschaftsrecht reichen der linken hierzulande offensichtlich komplett aus, um ihren frieden mit deutschland zu machen und teil des partypatriotenmobs zu werden. gute nacht…

  17. hutauf Says:

    Das habt ihr nun von eurem linken Gemeinschaftskult. Klarer Fall von schlechtem Geschmack!

  18. Peter Says:

    @classless

    Klar hab ich die, nur wenn die mich mit nervigem Kram beschallen, tu ich das einzig wirksame: Ich beschalle zurück.

    @ tebe

    Wenn du dich an eine WM 92 erinnern kannst, dann war es wohl keine Fußball-WM.

  19. sten Says:

    @ peter/tebe

    92 war natürlich em und dänemark hat im finale deutschland geschlagen. kann mich sehr gut erinnern, dass auch in meinem – nichtlinksradikalen, ostdeutschen – familienumfeld dieser sieg bejubelt wurde, weil man von dem wiedervereinigten deutschland abgenervt war, dieses mit den wessis identifizierte und den sieg der dänen als hieb in die fresse (west.)deutscher arroganz ansah. dänen denen man zufälligerweise begegnete wurde entsprechend enthusiastisch gratuliert.

  20. Thomas aus den 90ern Says:

    Ich verfolge die ganze antinationale und antideutsche Entwicklung seit einiger Zeit aus der Entfernung und frage mich, ob sich seit den Positionierungen in den 90ern eigentlich etwas Grundsätzliches geändert hat. Vielleicht ist das ja gerade ine gute Gelegenheit, diese Fragen zu stellen:

    Wird Nationalismus noch als die neben Biologismus, Rassismus und Antisemitismus wirkmächtigste Form des “notwendig falschen Bewußtseins” angesehen und entsprechend als (mit) effektivste Verhinderung zur Entwicklung eines kritischen Bewußtseins, einer rationalen Erkenntnis der eigenen Interessen bekämpft?

    Ist das deutsche volksgemeinschaftliche Modell immer noch deshalb Gegenstand besonderer Kritik und Gegnerschaft, weil es in Gestalt des Nationalsozialismus das wichtigste (und bisher unübertroffene) Beispiel für das Ineinanderaufgehen von Staat, Nation, Volk und Kapital hervorbrachte, damit immer wieder Nachahmer zu einer reaktionären Revolte, einer nationalen Revolution, zu einer negativen Aufhebung anstiftet?

    Stellen sich die Aussichten auf Kommunismus also immer noch deshalb so trübe dar, weil sich das deutsche Vorbild (in unterschiedlichen konkreten Formen) weltweit so großer Beliebtheit erfreut und Nationalismus (nicht nur der deutsche) nach wie vor als so selbstverständlich gilt?

  21. Xenu's Pasta Says:

    Lieber Thomas aus den 90ern, ich finde das sind sehr relevante (rhetorische) Fragen.

    Für mich stellt sich das so dar, dass im Zuge des Identitätsrumgehampels um einen Teil der Antideutschen (für und wider) der Rest antideutscher und antinationaler Positionen marginalisiert wurde. Die so entstandene antideutsche Identität bedarf ausser der Nennung des Labels (sowohl in negativer wie in positiver (Selbst-)Zuschreibung) keiner weiteren (inhaltlichen) Qualifizierung, um den Bezeichneten als Teil der eigenen Gruppe bzw. als total Bekloppten (je nach Bezeichnendem) zu kennzeichnen. Nicht einfacher macht, dass alle beteiligten Parteien in das ganze recht aktiv ihre Projektionen zu Antisemitismus und Israel mit eingebracht haben (für mich eine Sache, die recht typisch für die deutsche Linke zu sein scheint).

    Das und ein gesamtgesellschaftlicher Nationalismus-Backlash seit 9/11 (den ich jetzt einfach mal so ohne nähere Referenz behaupte).

    Oder, wenn’s Dir um die Antworten ging (nur von meiner Perspektive natürlich):
    ja, ja und ja.

  22. tebe Says:

    yep, meinte natürlich besagte em in schweden ’92 mit dem dänischen finalsieg, wobei
    das hinsichtlich der beurteilung des phänomens ja auch relativ banane ist.

  23. Hannes G. Says:

    Ich finde den Fußball-Patriotismus so infantil und bescheuert wie Karneval, aber auch ebenso ungefährlich. Am Ende bewirkt der neue Patriotismus sogar mehr Integration als alle linken Bemühungen (besonders in der Sprache: “Menschen mit Migrationshintergrund”, “Schwarze” statt Farbige etc. pp.) der letzten 20 Jahre zusammen – leider handelt es sich so aber um eine Integration auf niedrigstem Niveau.

    Aber die ganze Flaggenraubaktion finde ich auch albern. Die Antideutschen bilden sich auf der Grundlage überholter Reflexe ein, einen gefährlichen Gegner zu bekämpfen und dabei Gutes für die Menschheit zu tun. Pseudo-Praxis von in der Vergangenheit lebenden Gutmenschen.

    Man sollte aber unterscheiden zwischen Blödsinn, der nervt, und Blödsinn, der gefährlich ist. Nervendem Blödsinn sollte man einfach meiden – z.B. zuhause bei einem guten Buch.

    Es gibt m.E. heutzutage wirklich schlimmeres als Party- und Fußball-Patriotismus.

  24. der typ aus der dritten reihe Says:

    ich versuche das positiv zu sehen.
    immerhin schafft das klare verhältnisze.
    umso mehr sich die deutschen auf ihre wurzeln besinnen, umso mehr sie sich wieder ihrem originären kraut-zustand annähern, desto bedenkenloser kann mensch sie schließlich wieder über den haufen ballern.

  25. fussballvonlinks Says:

    ich denke posiputt hat da was wichtiges gesagt! das erschreckendste ist echt, wie mit menschen umgegangen wird, die nicht mitmachen wollen beim hurrapatriotischen schlandhype. da kommen eindeutig ganz gruselige reflexe durch! ich hab da auch schon situationen erlebt, wo mir blanker hass entgegengeschlagen ist.

    vielleicht ist die identifikation mit der dfb-elf nicht immer gefährlich, aber wirklich gut ist sie noch weniger…

  26. Wer Deutschland liebt… « Brandis Says:

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  27. Aktionskletterer Says:

    @baba – Gerade bin ich beim Trampen aus dem Auto gestiegen, und musste dann an der Strassenbahnhaltestelle noch etwas warten. Um die Ecke war ein Kleingartenverein mit einigen aktuell gehaltenen Schaukästen, darin hauptsächlich organistorische Daten aber auch ein Foto von einem (vermutlich allen Ortskundigen bekannten) kleinen Häuschen mit einer überdimensionalen Deutschlandfahne an der Vorderfront, deren unterer Rand sogar noch teilweise auf dem Eingangstürvordach aufliegt. Bildunterschrift: “Wenn´s hilft…”

  28. peach Says:

    Das Problem is halt, dass Fußball vom Denken abhält. Kulturindustrie. Mein Nachbar macht mir deswegen Vorwürfe. Erst dachte ich ihm gehts um Deutschland, aber es geht ihm bei mir um fehlenden Fußball enthusiasmus.
    Übrigens: Ich weiß nicht wo ihr wohnt, aber hier gibts noch genug Räume um Fußball zu sehen, ohne FC Deutschland-Idioten, weit entfernt von antinationaler oder antideutscher Hegemonie.

  29. classless Says:

    @ peach

    Wo wohnst du denn? (Falls du das preisgeben magst…)

  30. Senftenbergfan Says:

    ja, ein paar von uns haben freitag in vorfreude auf den cup etwas über die stränge geschlagen aber es gab keine handgreiflichkeiten und sonnabends waren wir alle wieder lieb. wieso sollen wir gegen deutschland beim fußball sein? ich denke wir leben im freisten deutschen staat aller zeiten. wir linken und zecken werden hier nicht verfolgt, unsere projekte werden mit staatsknete unterstützt, nazis inzwischen mit aller härte des gesetztes verfolgt. deutsche wm-siege führen nicht zu pogromstimmungen gegen nichtdeutsche und linke. was soll denn noch passieren, damit es legitim ist, unseren jungxs die daumen zu drücken! & was ist daran besser meinetwegen für england oder frankreich oder usa zu sein?
    ach so nicht zu vergessen: dankeschön an roter stern nordost für die einladung und die gute organisation und das gute wetter. zum nächsten cup kommen wir wieder, versprochen!!!

  31. RegensburgerPathologe Says:

    Grüß Gott aus Bayern :-),

    bist wohl nicht der einzige dem`s so geht. Solidarität.

    http://regensburgerpathologien.blogsport.de/2010/07/06/da-sitzen-wir-nun-und-dinieren/

  32. Aktionskletterer Says:

    @Senftenbergfan – LOL

  33. hünerei Says:

    don`t fight the fan – fight the game!

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