Der 11. September 2001 & einige seiner Folgen um mich herum

September 11th, 2015

Heute vor 14 Jahren steuerten islamistische Suicide Attackers vollbesetzte Passagierflugzeuge in militärische und zivile Repräsentationsgebäude der USA und töteten dabei mehr als 3000 Menschen. Ihre Motive waren von zwei der wichtigsten modernen Ideologieformen geprägt: von Antisemitismus und religiösem Essentialismus.

Möglich geworden waren die Anschläge weniger durch die Wahl völlig neuer Mittel – schon 1909 hatten russische Sozialrevolutionäre versucht, das Winterpalais des Zaren in St. Petersburg mit einem sprengstoffbeladenen Flugzeug anzugreifen. Ausschlaggebend war stattdessen das Verhalten der Sicherheitsorgane – die zaristische Geheimpolizei Ochrana hatte dereinst den Anschlag durch Überwachung der Flugschulen zu vereiteln vermocht, während sich im Vorfeld von 9/11 die wichtigsten zuständigen Instanzen der USA, vor allem FBI und CIA, eine harte bis feindselige Konkurrenz ums gleiche Budget lieferten, gegeneinander arbeiten und sich so die entscheidenden Informationen vorenthielten. (Dem sollte hinterher mit der Schaffung von Homeland Security als Dachorganisation begegnet werden, was aber nur eine weitere Instanz ins Feld der zahlreichen Sicherheitsbehörden der USA brachte.)

Nach den Anschlägen entwickelten massenweise Menschen, die ich kannte oder denen ich begegnete, aber auch große der Teile der Öffentlichkeit intensiven Antiamerikanismus (bzw. noch intensiveren als zuvor schon), der nur wenig mit den realen außenpolitischen Verbrechen der USA nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatte, sondern vielmehr Risse im Weltbild kitten sollte und entsprechend immer mehr auch verschwörungsideologisch aufgeladen war. Vorübergehend teilte ich einige dieser Auffassungen, gerade unter dem Eindruck der anfänglich herumposaunten “bedingungslosen Solidarität mit den USA” (Kanzlerwort) und der dortigen autoritären Verschärfung.


Stimmt immer noch zur Hälfte, auch wenn sie später fast nur noch Scheiße erzählt haben

Je länger ich meinen Mitmenschen jedoch zuhörte, desto mehr fielen mir die ideologischen Bedürfnisse auf, die USA und ihr politisches Personal noch extra anzuschmieren und zu dämonisieren, gleichzeitig Deutschland in Gegenwart und Vergangenheit reinzuwaschen, erschreckend häufig erweitert um antisemitische Spitzen besonders gegen Israel.

Als Konsequenz überdachte ich meine Position gründlich und hielt nun diejenigen naheliegenderweise für Verbündete, die sich ebenfalls gegen Antiamerikanismus, Antisemitismus und die deutsche Schuldabwehr wandten – die erste mir bekannte Fraktion der Antideutschen. Wie diese ging ich viel zu lange der antifaschistischen Rhetorik der US-Regierung auf den Leim. Ich hätte wissen können, daß sie erst anfing, diese ständig aus dem Topf zu ziehen, als sie nicht mehr ihre eigenen Faschisten gegen den Kommunismus unterstützen mußte (wie vor allem in Lateinamerika, etwa am 11. September 1973, aber auch vielerorts anderswo) – in der Apologie mußte nun überall Faschismus gegen Antifaschismus stehen (ein bißchen wie einst bei Trotzki). Dennoch haben die USA im Irak ein faschistisches Regime gestürzt, und Teile ihrer Regierung sahen das auch so, aber das war und ist keine konsistente Linie und ist letztlich auch anders gemeint.

Die deutsche Linke und die ansprechbare deutsche Öffentlichkeit in ihrer Ideologieproduktion herauszufordern und zu provozieren, war solange eine erfolgreiche Strategie, wie sie noch nicht in den Betrieb integriert war und wie sie mit einer kommunistischen Perspektive verbunden blieb. Je mehr sie sich aber landläufigem Islam- und Linkenbashing annäherte und zur herrschaftsbejahenden Routine wurde, desto mehr wurde das Bekenntnis zum Kommunismus hohl oder fiel ganz weg. Immer vollständiger wurde die Geschichte erfolgreicher Revolten und Revolutionen verdrängt, bis nur noch Ohnmachtserklärungen und moralische Ermahnungen übrig blieben.

Ich habe mich im Laufe der Jahre immer weiter von dieser Fraktion entfernt und teile nicht ihre zwanghafte Verteidigung des jeweiligen Sowjetunion-Ersatzes, nicht den Eifer gegen jeden der gegenwärtig viel zu spärlichen Auflehnungsversuche und nicht den Doppelstandard gegenüber dem Islam und seinen Gläubigen. Meiner diesbezüglichen Kritik und meiner wachsenden politischen Abweichung wurde mit Feindseligkeit und Verleumdung begegnet, mein Lernprozeß wurde als Opportunismus hingestellt. Eine kleine Zahl anderer hat aber einen ähnlichen Prozeß durchlaufen, will keine weiteren Ausreden zur praktischen Selbstbeschränkung und will sich nicht der möglicherweise entscheidenden Handlungsfähigkeit berauben.

Es ist höchste Zeit, sich wieder darauf zu besinnen, wo die Ideologie herkommt und was ihr entgegenwirkt – der Zusammenschluß gegen die Herrschaft, gegen Staat und Kapital, die kollektive Übernahme der Produktionsmittel und die Selbstorganisation alles Nötigen, um sich umeinander zu kümmern. Der Kampf gegen alle, die das auf unterschiedliche Weise verhindern wollen, wird stets nötig sein, aber er darf nicht ersetzen, das zu tun, was immer endlich zu tun ist.

4 Responses to “Der 11. September 2001 & einige seiner Folgen um mich herum”

  1. Andreas Says:

    Was konkret war denn am Irak faschistisch? Bzw. ist jede blutrünstige Diktatur rassistisch?

  2. classless Says:

    Die Terminologie ist nicht einfach und auch umstritten – vor allem gibt es in der Entwicklung des irakischen Baathismus, soweit mir bekannt, Phasen einer stärker sowjetisch-sozialistischen Orientierung und Phasen mit offener reaktionärem, genozidalem Charakter, besonders ab Ende der 80er Jahre. Was dann zum Schluß gestürzt wurde, kann aber angesichts von Willkür, Terror, Massenhinrichtungen, Vernichtungspolitik und gleichzeitiger (mehr oder weniger erfolgreicher) Massenbewegung als Faschismus gelten.

  3. Alex Says:

    Was meinst du mit Sowjetunion – Ersatz?

  4. classless Says:

    Der jeweilige Staat, der zwar nicht das Erhoffte Land ist, aber irgendwie auf dem Weg dahin, das Versprechen davon, ein Überrest eines Versprechens o.ä., und der dann meist reflexartig verteidigt und überhöht wird – das waren im Laufe der letzten Jahrzehnte für verschiedene Gruppe und Leute nach der Sowjetunion auch schon China, Kuba, die DDR, Jugoslawien, Albanien, die KDVR, Israel, die USA, Venezuela u.a. (Vgl. das trotzkistische Konzept des “deformierten Arbeiterstaats” und die apologetische Feier der westlichen Zivilisation bei nicht eben wenigen Antideutschen in den letzten Jahren…)

    Was damit nicht gemeint ist: zu den genannten Staaten eine irgendwie sinnvolle Einschätzung zu entwickeln und die ideologischen Ausdünstungen gegen diese Staaten zu kritisieren – das halte ich für sinnvoll und wichtig.

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