Schreit Zensur, wenn ihr wollt!

September 18th, 2006

Als ich heute einen großen Stapel Recherche-Material in die Berliner Stadtbibliothek zurückbringe und dem Mann am Schalter beim Durchsehen das Wimmeldiagramm-Posterbeilage aus Bröckers “11.9.”-Bestseller rausrutscht, sage ich, daß ich es auch nicht unbedingt schlimm fände, wenn die Beilage verloren gehen würde.

Er schaut mich verwundert an und ich weise ihn auf die Israel-Fahne mit Hakenkreuz anstelle des Davidsterns hin, die sich auf Seyfrieds Grafik findet.

seyfried antizionismus nazivergleich

Er ist schockiert und meint, er hätte ja mitbekommen, daß es ein merkwürdiges Buch sei, aber wenn das die Lektorin erfahren würde…

Ich räume ein, daß man sich darüber streiten könne, wie ernst das gemeint sei, zeige ihm aber auch das “Kosher Conspiracy”-Kapitel, woraufhin er sagt, daß das in jedem Fall keine besonders tolle Form von Humor wäre und in Aussicht stellt, daß man die Fahne vielleicht schwärzen könnte.

Mal sehen, was passiert.

17 Responses to “Schreit Zensur, wenn ihr wollt!”

  1. bigmouth Says:

    Zensur!

    😉

  2. meier Says:

    hm, beim thema zensur teile ich ja eher die position des ccc:

    “Wir müssen die Rechte der Andersdenkenden selbst dann beachten, wenn sie Idioten oder schädlich sind. Wir müssen aufpassen. Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit — Keine Zensur!” (Wau Holland)

    wobei man sich jetzt über die definition von denken streiten könnte…

  3. classless Says:

    Ich wäre auch schon mal vorsichtig mit der Behauptung, daß wäre die Position des CCC als solchem. Vermutlich wird das dort mehrheitlich so gesehen, aber auch um Waus Aussagen zum Thema, die sich direkt mit Naziseiten im Netz beschäftigten, wurde heftig gestritten.

    Vielleicht mehrerlei, um meine Auffassung dazu klarzumachen: Eine öffentliche Bibliothek ist etwas anderes als das Internet. Dort wird nicht einfach angeschafft, was es gibt, sondern eine Auswahl getroffen. Verfassungsfeindliche oder volksverhetzende Inhalte werden nur unter bestimmten Bedingungen abgegeben.

    Es ist klar, daß es immer nur um eine höhere Einstiegsschwelle gehen kann, daß antisemitisches Gedankengut vor allem an der “Kommunikationslatenz” scheitert und nicht an Totalverboten.

    Ich sehe aber keinen Grund, warum die Unterstellung, der Staat Israel stünde in der Tradition des Nationalsozialismus, eine schützenswerte Meinungsäußerung darstellt. Es gibt einen Grund, warum derartige Relativierungen der deutschen Verbrechen verfolgt werden und der ist nicht zuletzt, daß die Rechtsordnung, mit der die Verfolgung begründet wird, den Deutschen einmal verordnet, um nicht zu sagen: aufgezwungen werden mußte.

    Der Generalverdacht erscheint mir begründet.

  4. meier Says:

    @classless: zum ccc: ok, auf der website bekunden sie jedenfalls ihre Unterstützung des Aufrufs für Informationsfreiheit. Deine elitäre Haltung kann ich nachvollziehen, mir ist das aber etwas Suspekt, da bin ich Zonenkindgeschädigt.

    Ich sehe daneben das Problem, schützenzwerte Meinungsäusserung zu definieren. Auch das Kommunistische Manifest ist verfassungsfeindlich, da die Verfassungen das Recht auf Eigentum an Produktionsmitteln schützen (auch wenn das ein großer qualitativer Unterschied zu eliminatorischem Antisemitismus ist).

    Zum Generalverdacht gegen die Deutschen: Das find ich tricky. Nachdem die Deutschen sich ja jetzt *normalisieren* (was immer man davon halten mag) relativieren ja jüngste Forschungen das Ganze ein wenig. (Hab grad die links nicht parat.) Um die 50% der Niederländer fanden die Judenvertreibung in ihrem Land nicht gar so schlimm, auch in Norwegen lief die Deportation reibungslos, es gibt Historiker, die behaupten, ein Nationalsozialismus deutscher Ausgestaltung hätte zu diesem Zeitpunkt überall in Europa stattfinden können – hier kommen dann historische Nebenschauplätze wie ökonomische Bedeutung und Bevölkerungszahl u.ä. hinzu. Ohne die Singularität der tatsächlichen Ereignisse in Frage stellen zu wollen, alles nicht so einfach…

  5. sashque Says:

    was soll schwärzen eigentlich bezwecken? meinungen sind ja nicht unbedingt deshalb schützenswert weil sie aussagen was sie aussagen, sondern auch weil sie informieren. ich meine, es ist doch besser mitzubekommen, was für leute sich wie öffentlich relativierend äußern.

    gerade das war denke ich auch der grund, warum wau so eine fundamentale position vertrat.
    als die diskussion um büssow (http://de.wikipedia.org/wiki/Büssow) lief wurde ja auch oft “wegfiltern ist wegschauen” laut. denkt man deine haltung konsequent zu ende, so forderst du doch, dass man sich im zweifelsfall nur durch sekundärliteratur unterrichten dürfte.

  6. phex Says:

    die stadtbibliothek wollte das ding doch schwärzen und nicht classless…

  7. classless Says:

    Richtig, war nicht meine Idee, aber dennoch: Waus Position, sofern ich das aus der Distanz beurteilen kann, stammt aus einer anderen Zeit, aus einer Zeit, in der fast alle davon überzeugt waren, daß sich die Nazis irgendwann in der großen Integrationsmaschine auflösen würden.

    Das kann ich nicht mehr für realistisch halten, wenn ich morgen wieder in meinen ethnisch und sexuell gesäuberten Laden arbeiten gehe, in einem Stadtbezirk, in dessen Verordnetenversammlung gerade Nazis gewählt wurden.

  8. classless Says:

    Und außerdem reden wir eben gerade nicht über Netzfilter, sondern über Gedrucktes in einer städtischen Leihbücherei.

  9. meier Says:

    die unterscheidung von netz und bib versteh ich ehrlich gesagt nicht wirklich

  10. verständniss Says:

    das plakat lag einem bröckers-verschwörungs-buch bei? ich kannte das bisher nur aus dem internet und hab es eigentlich als satire auf verschwörungstheorien verstanden.
    wo ist denn da der zusammenhang zu einem abstrusen verschwörungsbuch? oder gibt es einfach keinen?

  11. classless Says:

    “The Kosher Conspiracy” ist wohl leider keine Satire…

  12. salty Says:

    ich waere mir auch nicht wirklich sicher, ob die tatsaechliche oder vermeintliche meinung des ccc allgemeingueltig fuer alle lebensbereiche sein muss.

  13. sashque Says:

    “Das kann ich nicht mehr für realistisch halten, wenn ich morgen wieder in meinen ethnisch und sexuell gesäuberten Laden arbeiten gehe, in einem Stadtbezirk, in dessen Verordnetenversammlung gerade
    Nazis gewählt wurden.”
    …was man als Argument durchlassen könnte wenn ein erkennbarer, kausaler Zusammenhang mit der nicht-Zensur der besagten Schriften/Grafiken bestehen würde.

    “Ich sehe aber keinen Grund, warum die Unterstellung, der Staat Israel stünde in der Tradition des Nationalsozialismus, eine schützenswerte Meinungsäußerung darstellt.”
    err, die Diskussion ging ja nicht darum, dass es richtig wäre diese Meinungsäußerungen unter jeder Bedingung zu schützen, sondern darum, dass es falsch sein könnte, nach Verboten zu schreien.

  14. classless Says:

    Meines Erachtens nach drehte sich die Diskussion darum, daß alle Zensur schreien, wenn ich über einen Dialog am Bibliotheksschalter “Schreit Zensur!” schreibe. Begründet mit Argumenten, die mir weltfremd erscheinen und die sich auf eine Vergangenheit ohne organisierte und professionelle Nazipartei in zwei Landtagen bezieht. Die halte ich natürlich mit Verboten nicht auf (die ich auch gar nicht aussprechen kann, wie wir alle vermutlich nicht), ich kann aber versuchen dazu beizutragen, daß die öffentliche Schützenhilfe in Form von Bagatellisierung oder Nichtbeachtung von Geschichtsrevisionismus und Antizionismus aufhört.

  15. Nemesis Says:

    Also mir ist das First Amendment lieber als die ganze Warnerei.

  16. classless Says:

    Mir sind die Voraussetzungen fürs First Amendment noch lieber.

  17. classless Kulla » Blog Archive » Raus aus Ströbeles Wahlplakat! Says:

    […] plumpe und beliebige Symbolismus, ebenfalls typisches Mittel der Seyfriedschen Plakate, Comics und Wimmeldiagramme, verwendet Symbole nicht als Zusammenfassung, Zuspitzung, Verweis oder gar Versprechen, sondern […]

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