Elsässer, Seltsam, Lafontaine

February 3rd, 2007
Lafontaine, Seltsam, Elsässer

In der Welt von Dr. Seltsam gibt es vor allem Klamauk. Ihm und dem Publikum ist wie in den meisten deutschen Kabaretts längst alles klar, es gab seit Jahrzehnten nichts dazuzulernen, also braucht es auch keine Brüche und keine Distanz. Stattdessen regiert ein Humor, dessen Grundvoraussetzung darin besteht, daß immer alle wissen, über wen sie lachen.

Am Dienstagabend wurden im Kino Babylon Jürgen Elsässer und Oskar Lafontaine Teil dieser Welt des vorausgesetzten Komischen, ersterer bewarb sein neues Buch, zweiterer bewarb sich um die Rolle des deutschen Hugo.

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Vor zehn Tagen seien sie beide in Frankfurt als Nationalbolschewiken angegriffen worden, berichtete Elsässer zu Beginn. Heute seien die Antideutschen aber zu Hause geblieben, ermattet vom sonntäglichen Demonstrieren für einen Angriff auf den Iran, und so habe man nun seine Ruhe. Ganz genau, es gab einfach eine Show und später nichtmals eine Diskussionsmöglichkeit im Anschluß. Das heißt eben auch: entweder mit Plakaten auflaufen und Ärger bekommen oder sich reinsetzen und wehrlos zuhören.

Lafontaine kloppte sein politisches Programm runter. Die “neue Partei” trete als Systemalternative gegen den neoliberalen Zeitgeist an, die PDS habe sich nach 1990 zu sehr angepaßt, Kapitalismus trage den Krieg in sich wie die Wolke den Regen (2x) usw.

Seltsam konstatierte froh “Gesinnungsapplaus”, woraufhin Lafontaine wie Dietrich Kittner klarstellte, daß “wir” Verfassungsfreunde seien: “Eigentum verpflichtet”. Er selbst werde wieder in den Kreis seiner Familie zurückkehren, sobald die “neue Partei” Sozialabbau und Krieg unterstützt. Allerdings noch nicht, wenn die Berliner Sparkasse privatisiert wird, das sei nur der “Lackmustest”, also weniger wichtig. Oder so. (Riesenapplaus)

Elsässer war unterdessen beim “Überfall auf Jugoslawien” 1999 angekommen, was Lafontaine zu Gedanken über das Wesen des Renegaten und Parvenüs anregte, die sich allerdings nicht auf Elsässer, sondern auf Fischer bezogen. Nein, Fischer sei nicht von Albright erpreßt worden. Er, Lafontaine, sei für Blauhelmeinsätze, gegen Kampfeinsätze der Bundeswehr, der Krieg in Afghanistan finde wegen der großen US-Strategie statt, wegen des Zugangs zum Öl. (Riesenapplaus)

Lafontaine, Seltsam, Elsässer

Seltsam leitete nun auf das Thema Hartz IV über (“Da haben wir hier einen Saal voller Experten”). Lafontaine will Hartz IV “weg” haben, sieht darin aber zuallererst eine Einschüchterung der Gewerkschaften. Warum gebe es denn keinen Generalstreik, wo bleibe denn die direkte Demokratie usw. (Riesenapplaus) Seltsams Vorschlag, Hartz IV an die Diäten zu koppeln, setzte Lafontaine mit seinem Vorschlag gleich, den Mindestlohn an die Diäten zu koppeln. Es bräuchte endlich direkte Demokratie, die Bundesregierung stimme gegen die Mehrheit der Volkes. Er habe den Bundestagsabgeordneten deshalb immer vorgeworfen, sie würden sich wie die Erleuchteten aufführen. (Tatsächlich vernahm ich an dieser Stelle den Wortwechsel “Illuminaten” – “Ja, die Illuminaten” aus der Sitzreihe hinter mir.) Demokratieverdrossenheit führe zu politischem Rechtsdrall, “deshalb dürfen wir als Linke nicht versagen.” (Riesenapplaus)

“Wann fliegen Sie nach Teheran?” fragte Elsässer bezüglich des bevorstehenden “Überfalls auf den Iran”. Das Treffen in Teheran sei aufgrund von dortigen Organisationsproblemen nicht zustandegekommen, bedauerte Lafontaine, er wolle aber nach wie vor dorthin. Er fordert, daß deutsche Flugplätze für die Amerikaner im Kriegsfall gesperrt werden. Nachdem er auf seine mehrfach wiederholte Anfrage an Merkel, was denn nun Terrorismus genau sei, endlich eine BKA-Definition à la ‘Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele’ zur Antwort bekommen hat, konnte Lafontaine nun laut unter frenetischem Beifall ausrufen: “Blair und Bush sind Terroristen!” Das war vermutlich für die meisten die therapeutisch wertvollste Stelle seines Auftritts.

Dann durfte Isabel Neuenfeldt, die zu Beginn zweimal Erich Mühsam (das Lumpenlied und den Revoluzzer) vorgetragen hatte, Tom Waits’ Innocent When You Dream in gerade und nüchtern singen und damit war der Teil mit Lafontaine zuende, ohne daß es um die “Fremdarbeiter”, das kapitalistische Ungeziefer, den Antisemitismus in Teheran oder derlei gegangen wäre. So hatte man seine Ruhe.

Lafontaine, Seltsam, Elsässer

Nach der Pause gab es noch einen zweiten Veranstaltungsteil ohne Lafontaine, in dem etwas tiefer gezielt wurde. Elsässers Buch über die Heuschrecken, die über unser Land kommen, wurde von Seltsam beworben. Elsässer machte dabei ein bißchen auf kokett, als wäre es ihm unangenehm. Seltsam pries die verschiedenen Vorzüge des Buchinhaltes an und hob besonders hervor, daß die Neocons in den USA ihre parallele Machtstruktur aufgebaut hätten. Als er nun im Jargon und Tonfall der Konspirationisten sagte, das habe Elsässer “alles bewiesen”, hatte ich den Eindruck, daß Elsässers Koketterie umkippte und es ihm nun wirklich peinlich wurde. Er würgte Seltsam freundlich ab, wonach allerdings zu kaum weniger Peinliches auf dem Programm stand.

Die von Seltsam mitpropagierte Verschwörungskolportage “Loose Change” wurde zum wichtigsten, erfolgreichsten und wahrsten Film ausgerufen, eine Sequenz vorgeführt (der Pentagon-Einschlag) und in so ernstem Ton, wie es Seltsam auf einer Bühne möglich ist, angeprangert, daß es keine Debatte geben würde, “was am 9.11.(!) passiert ist” und gleich noch mal “welche Schuld die US-Administration am 9.11. trägt.” Ganz großes Pathos: “Wenn die Iran-Lüge kommt, werden wir wieder aufklären!”

Bzw. vielleicht auch gleich schon mal damit anfangen. Elsässer verlas Einschätzungen der Anlageberater der DiBa, in denen die Folgen eines israelischen Angriffs auf iranische Atomanlagen für die Märkte behandelt wurden. Ein Angriff sei nicht wahrscheinlich, hieß es dort, es könne aber eine schockartige Überraschung geben. Aus diesen Nullaussagen, dem leider verbreiteten Blödsinn über israelische Atommanöver (uranummantelte, bunkerbrechende Munition ist keine “Mini-Atomwaffe”) und weiterem Kaffeesatz extrapolierte Elsässer dann den Termin Februar/März für den bevorstehenden “Überfall”.

Aber es ging noch abgeschmackter. Seltsam verlas Fontanes Gedicht über den britischen Afghanistan-Feldzug von 1859, eingeleitet mit dem Satz, daß Afghanistan seit 10000 nie länger als drei Jahre besetzt gewesen wäre.

Die weiblichen Mitwirkenden des Abends bekamen vom Nummerngirl Rosen. Frau Neuenfeldt machte noch einmal Tom Waits flach und das war’s. Nicht nur keinerlei musikalischer und politischer Mißklang, sondern noch eine viel merkwürdigere Auslassung. Am 30. Januar gab es hier zwischen allen antifaschistischen Anekdoten, den antifaschistischen Beteuerungen und der Verteidigung des richtigen Antifaschismus keinen einzigen Verweis auf den 30.1.1933. Seltsam.

Ursprünglich war mein Ziel gewesen, Elsässer zu fragen, ob er wirklich leugnen würde, daß die Nazis Heuschrecken als politische Metapher verwednet haben. Ich erwarb in Ermangelung einer Diskussion und der ausbleibenden Gelegenheit zur direkten Ansprache Elsässers Buch, um der im Nachhinein viel gewichtigeren Frage nachzugehen, was ihn nun dazu treibt, sich dermaßen zu entantideutschen, daß er der Deutschen Bank gar zuschreibt, sie sei antideutsch. Und das sei nicht gut.

8 Responses to “Elsässer, Seltsam, Lafontaine”

  1. sashque Says:

    “Stattdessen regiert ein Humor, dessen Grundvoraussetzung darin besteht, daß immer alle wissen, über wen sie lachen.”

    danke dafür. man haette politische satire in deutschland nicht besser umschreiben koennen

    (ok, ein wenig aus dem zusammenhang gerissen, aber trotzdem…)

  2. knut Says:

    die kritik zeigt häufig mehr über den kritiker als über den gegenstand der kritik

  3. nonono Says:

    @knut
    Was soll das heißen – häufig: diesmal nicht? Was “zeigt” denn diese Kritik “über” diesen Kritiker? Und wieviel weniger “zeigt” sie über den “Gegenstand” der drei ausgewiesenen Hauptpersonen?

  4. kniggel Says:

    Komisch, dass Du nicht eingeschlafen bist – Märchenonkel Jürgen hat selbst mich als Moslemversteher und US-Hater in den Schlaf gelabert. Live echt die totale Gurke, der Mann

  5. classless Kulla » Blog Archive » “…die Hauptlast im Kampf gegen den neuen Kolonialismus…” Says:

    […] Elsässer bespricht in der jungen Welt euphorisch das von Nikolas Brauns und Dimitri Tsalos herausgegebene […]

  6. Reflexion Says:

    “Dr. Seltsam” + Elsäßer… update
    http://adf-berlin.de/wbb2/thread.php?threadid=2746

  7. Discordian Communism » Blog Archive » An Anti-German’s Guide to Germany III Says:

    […] one week ago, Elsässer and Lafontaine joined the notorious traditional leftist cabaret of Dr. Seltsam close to Left Party’s headquarters in Berlin Mitte to deliver a flood of populism suited to […]

  8. Klassenbewusster Says:

    Hallo Herr Kulla,
    sind Sie Jude?

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