Lieselotte Ahnert

March 29th, 2010

Bisher war mir Lieselotte Ahnert nur als eine Vertreterin der Bindungstheorie bekannt und damit als Verfechterin der Mutter-Kind-Beziehung. Daß sie das aber gar nicht so versteht, wie es dann üblicherweise abgebildet wird, entnahm ich nun (mit leichter Verzögerung) der “Zeit” und dem vorletzten “Spiegel”:

Einer Journalistin hatte sie gesagt, dass Studien gezeigt hätten, dass der Einfluss der Eltern der dominierende bleibe, auch wenn das Kind von fremden Personen betreut würde. »Elterliche Erziehung ist besser als die Tagesstätte«, las sie später in der Zeitung. »Das habe ich nie gesagt, weil schlechte Eltern ziemlich schlimm für das Kind sein können.«

Das umgekehrte Mißverständnis:

Wenn sie sagt, dass Kinder auch feste Bindungen zu Personen außerhalb einer Familie aufbauen können, fragen die einen, was denn dann aus der Beziehung zur Mutter würde. Und wenn sie sagt, dass Kinder in öffentlicher Betreuung oft besser intellektuell gefördert werden, als das in manchen Elternhäusern möglich ist, dann ruft man ihr entgegen, dass sie die Mutterrolle diffamiere und Erzieherinnen nicht mal eine akademische Ausbildung besäßen.

Im Interview mit dem “Spiegel” wird sie glatt noch viel sympathischer:

SPIEGEL: Das heißt, eine frühe und intensive Krippenbetreuung wirkt sich nicht aufs Mutter-Kind-Verhältnis aus?
Ahnert: So ist es. Frauen, die sich souverän fühlen in ihrer Mutterrolle, behalten die gute Beziehung zum Kind in praktisch jeder Lebens- und Betreuungslage. Aber es gibt natürlich auch Frauen, die ein Problem damit haben, ihr Kind abzugeben. Zweifel, Schuldgefühle – darunter leiden immer noch viele Frauen, gerade in der westdeutschen Gesellschaft mit ihrem Muttermythos. Solche Unsicherheiten spiegeln sich in einer messbar brüchigeren, oft ambivalenten Bindung zum Kind wider.
(…)

SPIEGEL: Was antworten Sie Krippengegnern, die es für widernatürlich halten, sein Kleinkind in den ersten drei Jahren fremdbetreuen zu lassen?
Ahnert: Dass das Unsinn ist. Es gibt kein naturgegebenes Betreuungssystem. Wenn wir uns ansehen, wie Naturvölker mit ihrem Nachwuchs umgehen, finden wir Systeme wie das der Efe in Zentralafrika, die ihre Säuglinge von Schoß zu Schoß weiterreichen. So ein Efe-Baby verbringt manchmal nur ein Fünftel der Zeit bei der leiblichen Mutter und hat im Schnitt 14 Betreuerinnen. Einige der Frauen stillen es sogar. Wir sehen aber auch Mütter wie die der !Kung in der Kalahari, die ihre Kleinen drei Jahre lang praktisch immerzu am Körper tragen. Was ist jetzt das Natürliche?

SPIEGEL: Einer amerikanischen Langzeitstudie zufolge haben Krippen durchaus Nachteile: Wer als Baby für viele Stunden täglich in die Krippe kam, war später ein aufsässiger Schüler.
Ahnert: Moment, das wird ganz unterschiedlich bewertet. Die einen sagen, die Kita-Kinder seien ungehorsam, die anderen behaupten, sie seien einfach selbstbewusst.

8 Responses to “Lieselotte Ahnert”

  1. posiputt Says:

    das letzte ist mein lieblingsstatement

  2. nils Says:

    was zum bösen sollen denn bitte “NATURVÖLKER” sein?

  3. Gehirnschnecke Says:

    Wer “natürlich” leben will, sollte sich zu einem einem kleinen Clan zusammenrotten und dann mal versuchen nomadisch zu leben….

  4. posiputt Says:

    @gehirnschnecke: quark. wenn man schon ueber natuerlichkeit reden will, dann muss man doch weg von der konkreten handlung hin zum prinzip, nach dem sie sich richtet. also wohl am ehesten zur anpassung an die umstaende. vermutlich scheinen die anpassungshandlungen am natuerlichsten, die am meisten von nichtmenschlichen zwaengen gepraegt sind.

    mja.

  5. Aktionskletterer Says:

    Da liegt ein Kapitalismus im Weg rum.

  6. Dattel Says:

    Ich denke der Spiegel verwendet den Begriff “Naturvölker”, weil die meissten ethnozentrischen Deutschen nichts mit dem Begriff “indigen” anfangen können. Das gilt leider auch für einen Großteil der Linken. Das Beispiel von der Kinderbetreuung zeigt ganz deutlich wie tief die kleinbürgerlichen Familienvorstellungen in unserem Denken verankert sind.

    Ich halte es für sehr viel natürlicher in einer kleinen autonomen Gruppe im Amazonas zu leben, wie viele der dortigen indigenen Völker vor der Kolonialisierung. Die lebten und zum Teil leben noch ohne Herrschafts- und Ausbeutungssysteme also ohne Staat, anstatt wie wir dem Terror der Lohnarbeit ausgesetzt zu sein. Der Indianer liegt lieber in der Hängematte und raucht Pfeife als zu arbeiten.

    Es ist schon erschreckend welche Auswirkungen die Biologisierung der westlichen Wissenschaften hatte, wenn viele Linke andere Völker immer noch für “unterentwickelt” halten. Die Terminologie weist schon sehr stark in Richtung Faschismus. Am besten Mal Pierre Clastres “Society against the state” lesen.

  7. Xenu's Pasta Says:

    hahaha. Naturvolk:
    – Die Leute, die den meisten Vorstellungen von “Naturvolk” am nähesten kommen, interessiert es einen feuchten, dass sie einem “Volk” zugeordnet werden.
    – Die Spannung zwischen – (fast) egal welcher – Definition von “Natur” und – (fast) egal welcher – Definition von “Volk” dürfte kaum auszuhalten sein, ausser für die Fälle, in denen “Volk” a priori aus Natur heraus definiert wird, welche ich a priori nicht diskutiere
    – Indigen ist zumindest für mich nicht das gleiche wie Naturvolk. Zwar bezieht es sich auch auf Abstammung, allerdings sehe ich keinen Widerspruch zwischen “indigen” sein (d.h. ethnisch “rein” aus der Gegend abstammend) und so “unnatürlich” zu leben wie viele andere Menschen auch

    Ich kreide ihr das aber trotzdem nicht sonderlich an, da ihr es in der Aussage nicht darum geht. Ich vermute, sie meint in de, Kontext Leute, die ihrem Verständnis nach recht nah an den Bedingungen und Formen leben, die für die Evolution des Menschen relevant sind/waren.

    Tja, und in der Sache selbst sagt meine persönliche Erfahrung, dass ihre Analyse sie im grossen und ganzen hinhaut. Ein bisschen ist da ein “leider” drin, weil da das Ding mit der “Mutterrolle” ist. In der Theorie kann die von jeder Person gefüllt werden, in der Praxis sorgen sämtliche Sozialkontakte dafür, dass es eine mehr oder weniger “echte” Mutterrolle wird. Das nimmt (für meine Erfahrung) auch sämtliche Leute mit ein, die beliebige Theorien zur Aufhebung der Kleinfamilie u.ä. herbeten. Im Praxisfall können/wollen die wie’s scheint nämlich mit (Leuten mit) Kindern nix anfangen (solange bisse selber Kinder kriegen, dann ist alles süüüüß und hach) und verwandeln sich in Ex-Sozialkontakte.

  8. Aktionskletterer Says:

    Naturvolk ist eine Population welche nicht von der Industriegesellschaft abhängig ist bzw. dies nicht bleiben will.

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