Der Tagesspiegel über die Juden

July 6th, 2010

>>Tagesspiegel!

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, nannte im Interview mit dem Focus über antisemitische Tendenzen in den Medien auch Dich: “Da wird im Tagesspiegel ein Artikel zu den anstehenden Friedensverhandlungen im Nahen Osten mit dem Foto des amerikanischen Präsidenten gedruckt, der im Gespräch mit orthodoxen Juden in seinem Office gezeigt wird.” Und auf die Frage, was ihn daran störe, antwortete Kramer: “Das Klischee von der jüdischen Lobby, die die amerikanische Politik manipuliert, ist in Bilder gefaßt. Besonders interessant ist, daß das Foto nachweislich ein Jahr zuvor aufgenommen wurde und in keinem Zusammenhang mit dem aktuellen Artikel steht.”

Das klingt ja zunächst recht vernünftig und könnte einer Zeitung, die sich selbst einer liberalen Tradition rühmt, vielleicht Anlaß zu etwas Selbstkritik sein, denn antisemitische Ressentiments, die möchtest Du, Tagesspiegel, ja wohl nicht schüren. Weshalb Du dann auch Deinen Chefmeiner und Kettenhund Malte Lehming losläßt, um jeden Zweifel sicher zu zerstreuen. Und der beginnt seinen Kommentar ganz launig mit einem Anekdötchen: “Chaim Cohen will Radiomoderator werden. Er bewirbt sich beim RBB. Seine Bewerbung wird angenommen, und er darf zum Vorsprechen und zu einer Mikrofonprobe erscheinen. Als er wieder nach Hause kommt, fragt ihn seine Mutter: ‘Na? Hat’s geklappt?’ Chaim schüttelt betrübt den Kopf. ‘Und warum nicht?’ – ‘A-a-al-les An-n-ti-s-s-s-emi-t-ten’, stottert er.” Haha, so ist er halt, der Jude, nicht wahr? Wittert, nur weil ein paar seiner Glaubensbrüder irgendwann mal durch ein paar deutsche Einzeltäter zu Tode gekommen sind und weil deren überlebende Nachkommen heute entweder gleich ganz von der Landkarte getilgt werden sollen (Teheran) bzw. nur unter Polizeischutz ihren Bagel essen können (Berlin), überall Diskriminierung. Obwohl er doch selbst schuld daran ist!

Da stellt sich eine Frage natürlich ganz deutlich: “Was ist bloß aus der guten alten Antisemitismuskeule geworden?” Ja, die gute alte Antisemitismuskeule, jenes Instrument, mit dem die Juden die Deutschen seit Jahrhunderten unterjochen. Doch die Zeiten sind gottlob vorbei: “Deshalb wird der Antisemitismusvorwurf oft nur noch als Teil der jüdischen Folklore wahrgenommen, ein bisschen wie Klezmer-Musik. Der Papst warnt vor Kondom und Pille, die FDP vor ‘anstrengungslosem Wohlstand’, ein Marxist vor dem Privatbesitz an Produktionsmitteln, und die Juden warnen halt vor dem stets zunehmenden Antisemitismus.” Alles also eine Frage der Gewohnheit. Und so gesehen, Tagesspiegel aus Berlin, ist es nur konsequent, wenn du dergestalt vor dem überbordenden Einfluß des Weltjudentums warnst.

Traditionsbewußt:

Titanic<<

Aus “Briefe an die Leser” in der Titanic 07/10; Malte Lehmings “Ein jüdischer Folklorist” findet sich hier.

6 Responses to “Der Tagesspiegel über die Juden”

  1. Moritz Says:

    Eben jener Malte Lehming hat es fertig gebracht, im Anschluss an den “inneren Reichsparteitag” Frau Müller-Hohensteins, das erste WM-Tor Kloses als “Deutschlands inneres Auschwitz” zu bezeichnen, weil Klose nun trotz seiner schlechten Leistungen weiter spielen dürfe.

    http://www.tagesspiegel.de/meinung/innerer-reichsparteitag-nichts-ist-wie-es-scheint/1858710.html

  2. Ingo Says:

    Gegen den WM-Artikel von Lehming wurde auch eine Beschwerde beim Deutschen Presserat eingereicht.

  3. Christoph Says:

    Oh mein Gott, sowas steht im Tagesspiegel?

    Nett ist natürlich der Lehmings Satz im von Moritz verlinkten Artikel bezüglich des Recht habens, da ja doch alles anders kam, als Lehming phantasiert hat.

  4. Brodaganda Says:

    Lustig an der Sache ist vor allem, dass Malte Lehming auch gern zitierter Gastautor auf der Achse des Guten ist. Damit haben sie sich nach Alan Posener quasi den zweiten Teilzeit-Dissidenten in den eigenen Reihen eingehandelt. Im Gegensatz zu Posener ist Lehming aber immer noch auf der Achse zu finden. Sein Artikel “Ein jüdischer Folklorist” wird tatsächlich auch mit diesen beiden, sehr unterschiedlichen Referenzen bedacht:

    http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/stephan_macht_den_kramer/

    http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/ein_lupenreines_ressentiment/

    Auf Stephan Kramer wiederum ist Broder nicht gut zu sprechen, etwa weil dieser Broders Liebling Sarrazin mit deutlichen Worten kritisiert hat. Völlig monolithisch kommt der AchGut-Block gar nicht mehr daher – interessant.

  5. Aktionskletterer Says:

    Jeder historische Witz ist auch immer ein Stück Technikgeschichte. Im Zweiten Weltkrieg gab es (Piraten-)Radiosprecher deren markante Stimme über alle Frequenzwechsel hinweg als Erkennungszeichen für die politische Orientierung des Senders diente, auch wenn das Gesicht aus demselben Grund für eine Verkleidung als Nazi im Rahmen einer Widerstandsbewegung nicht geeignet gewesen wäre. Mit der Einführung des Fernsehens ging diese Erzählung verloren. Erst als das Netz kam konnte die Pointe wiederentdeckt werden: Es stimmt was der Protagonist sagt, aber das sagt man entweder selbstsicher oder besser nicht. Auch Schwächen darf man zeigen, nur nicht da wo es existenziell darauf ankommt. Und den historischen Witz erzählt man entweder dann wenn man sich mit den Umständen seiner Entstehung vertraut gemacht hat oder gar nicht.

  6. Cyrano Says:

    Bei WADIblog gab es schon mal eine Diskussion zu Lehmings Artikel…
    http://www.wadinet.de/blog/?p=2692

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