Rassismus, Antirassismus & Staatsgewalt im Görli

August 2nd, 2013

Ein guter Anfang! Gestern abend protestierten etwa 100 bis 200 Menschen am Eingang des Görlitzer Parks in Berlin-Kreuzberg gegen die seit Monaten immer weiter eskalierenden Polizeimaßnahmen im Park, die sich fast ausschließlich gegen Nichtweiße richten und von Boulevardhetze begleitet werden. (Mehr dazu: Neues von der Cannabisfront.) Es versammelten sich zu etwa gleichen Teilen Betroffene, Anwohnerinnen, Parkbesucherinnen und Sympathisierende.

Aufgerufen hatte die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt, der es vor allem um ganz grundsätzliche Klarstellungen geht: “Auch wer Drogen verkauft, hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit.” Polizeischikanen gegen PoC würden nichts an der Nachfrage nach Marihuana ändern: “Es gibt kein Sicherheitsproblem, es gibt ein Problem mit der Polizei.”

Als Redebeitrag sowie als Faltblatt wurde zweisprachig darüber aufgeklärt, wie die Rechtslage bezüglich Personenkontrollen aussieht, online hier abrufbar: “Was darf die Polizei, was darf sie nicht”.

Es gab weitere Redebeiträge zu Rassismus und Gesetzeslage, darunter von Permanenter Politischer Protest mit der Forderung nach ersatzloser Abschaffung der Residenzpflicht und der Ankündigung, die “letzte Meile” der Flüchtlingsproteste bis ins Regierungsviertel zu gehen; und zum Schluß die Bekräftigung einer Anwohnerin, ihre Ablehnung des “Polizeikriminalitätstheaters” auch weiter auf der Straße bekunden zu wollen.

Die Kundgebung endete mit minutenlangen Sprechchören: “Refugees are welcome here!”, “Black people are welcome here!”, “Residenzpflicht – abschaffen!”

Auch während der Kundgebung gab es mindestens eine weitere Festnahme durch Zivilpolizisten, die sich beim Sprung auf ihre Zielperson laut Polizeimeldung wohl leichte Verletzungen zuzogen und sich hinterher, wie ein Augenzeuge berichtete, verständigten: “Noch zwei, drei, dann sind’s für heute genug.”

Die B.Z., der die Kundgebung nur eine Zeile am Ende ihrer Polizeiberichterstattung wert ist und die die Polizeidarstellung bis hin zu den 16 beschlagnahmten “Szenetütchen” übernimmt, meldet zwei Festnahmen, der RBB spricht von einer Razzia: “Bei einer Razzia im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg sind am Donnerstagabend zwei mutmaßliche Drogendealer festgenommen worden. Insgesamt habe es sieben Anzeigen gegeben, sagte ein Polizeisprecher am Freitag. 75 Polizisten sicherten die Kontrollen.”

Ansonsten ist in der Presse überwiegend von “angeblichem” Rassismus die Rede, die Berliner Zeitung titelt jedoch tatsächlich: “Protest gegen rassistische Polizeikontrollen”.

Der RBB macht eine Umfrage, überschrieben: “Sollte am Görlitzer Park ein Coffeeshop eingerichtet werden?” Die eigentliche Frage lautet dann aber: “Lässt sich durch einen Coffeshop das Dealer- und Razzienproblem in den Griff bekommen?”

11 Responses to “Rassismus, Antirassismus & Staatsgewalt im Görli”

  1. Fisch Schmidt Says:

    Der illegale Drogenhandel in einem Park, der in einem dicht bebauten städtischem Gebiet der Erholung aller, auch Familien und Kindern dienen sollte, beschädigt und zerstört den Park (physisch und funktional) und ist daher nicht tolerabel. Am gesetzlich-restriktiven Umgang mit Cannabis wird sich so bald nichts ändern. Eher noch werden Flüchtlingen mehr Grundrechte eingeräumt werden (hoffentlich bald!). Aber auch dies wird den Drogenhandel dort nicht beseitigen. So sehr es berechtigt ist rassistische Polizeikontrollen zu kritisieren, auf Law&Order wird man trotz aller anderen denkbaren und wünschenswerten Strategien nicht völlig verzichten können, wenn man Drogendealer da weg haben will. Oder man hat eben kein Problem damit dass der Park völlig verfällt, dann stören die Drogendealer natürlich auch nicht. Wobei auch einzelne Dealer die Polizeipräsenz nicht gänzlich ablehnen: “Letztlich können alle froh sein, dass die Polizei im Park Präsenz zeige. Gäbe es hier keine Beamten, sähe es schnell ganz anders aus, und gefährlich würde es, für die normalen Parkgänger, für die Drogenkäufer, aber ganz besonders auch für die Dealer. Weil sich dann Banden bildeten und blutige Revierkämpfe ausbrächen, und es würde eher Wochen als Monate dauern, bis es die ersten Toten gäbe.” http://bit.ly/16Cz0Ii

  2. classless Says:

    @ Fisch Schmidt

    Ich weiß nicht wirklich, was ich zur Zerstörung des Parks schreiben soll – weder der Görli noch die Hasenheide erscheinen mir in ihrer Funktion als Park beeinträchtigt, weil ein paar Dutzend Menschen dort Drogen anbieten. Es macht auch nicht den Eindruck, als würden diese Parks irgendwie weniger besucht sein. Auch dazu gab es im Tagesspiegel was zu lesen: “Kiez in Angst? Unsinn!”

    Ansonsten fällt mir auf, daß du Repression und Grundrechte als Gegebenheiten beschreibst, die nicht davon beeinflußt scheinen, ob sich Menschen wehren.

  3. Fisch Schmidt Says:

    Zugegeben, die Erholung (http://bit.ly/1b1eCDV) ist im Görlitzer Park auch ohne die Dealer schon schwer beschädigt, da sich das Parkleben kulturell zur kleinen Schwester des Fusion-Festivals entwickelt hat. Natürlich ist der Park nicht weniger besucht, im Gegenteil, deswegen ist der Ort ja für Dealer interessant. Wobei ich es akzeptieren muss wenn für viele, auch Nicht-Anwohner, die Erholung eben in einer weiteren Party zu finden ist. Dennoch werden gerade auch auf der Fusion Dealer rausgeschmissen. Warum wohl? Frank Tempel, Die Linke: “Drogendealer betreiben gnadenlosen Kapitalismus. Hier wird ohne Rücksicht Geld verdient: Den Dealer interessiert es nicht, ob sein Kunde 14, 18 oder 25 Jahre alt ist. Der will das Geld haben, seinen Gewinn maximieren. Das wird auch mit Streckmitteln gemacht: mit Klebstoff, Glas oder sogar Blei.” http://bit.ly/S7HPAM Diese Rücksichtslosigkeit und die damit einhergehende Gewalt mit einem “Nun, so funktioniert Drogenhandel. Das ist das Wesen des Dealers.” zu ignorieren, redet einem Recht des Stärkeren das Wort. Diese Ignoranz hat unter anderem dazu geführt dass sich das blühende Drogengeschäft mittlerweile auf die Straßen der angrenzenden Wohngebiete ausgebreitet hat. Repression und Grundrechte werden selbstverständlich wie alle gesellschaftlichen Belange von sich wehrenden oder sonst wie engagierten Menschen beeinflusst. Ich sehe aber kein Recht von Dealern ihr Geschäft in Parks bzw. allgemein im öffentlichen Raum zu betreiben.

  4. classless Says:

    Ich habe Tempel bereits entgegengehalten, daß er da einen Unterschied zwischen de legalem und illegalem Kapitalismus macht, den es in dieser Form nicht gibt.

    Zu den Rechten ist im Posting alles gesagt: auch für jemanden, der Drogen verkauft, gilt das Recht auf körperliche Unversehrtheit wie auch alle anderen Grundrechte.

    Daß wir in einem bürgerlich-kapitalistischen Staat leben, in dem diese Rechte nur denjenigen auch praktisch zukommen, die sie sich verschaffen können oder denen sie zugesprochen werden, ist mir auch klar.

  5. nachtregen Says:

    Ich habe den Eindruck, daß da eher eine Art umgekehrter Rassismus stattfindet: Würden autochthone Deutsche in der aggressiven Art und Weise versuchen, irgendwas (egal ob legal oder illegal) im Görlitzer Park zu verkaufen, würden sie vermutlich ziemlich schnell eins auf Maul kriegen. Bei PoC wird das toleriert, weil man ja antirassistisch ist. Bezieht sich nur auf den Handel dort, die polizeilichen Maßnahmen habe ich bislang nur weitem gesehen.

  6. classless Says:

    “…die polizeilichen Maßnahmen habe ich bislang nur weitem gesehen.”

    Schön für dich!

  7. Hierarchieallergie Says:

    Die repressionsunabhängige Nachfrage, die Bereitschaft marktübliche Risikosteuern zu zahlen, die sich aus der Ballung der Transaktionen ergebende Umsetzung der Gewinnspannen in attraktive Zeitlöhne sowie die räumliche Nähe zum Arbeitskräfteangebot bringen unter dem bewußtseinszerstörenden Totalitarismus einen Markt hervor welcher sich durch völlige Enthemmung des Wettbewerbs auszeichnet. Es entfallen sämtliche Differenzierungen zwischen Wettbewerb inner- und außerhalb einer sich identifizierenden Vertriebsstruktur, so daß eine Verrohung des Geschäftsgebarens wie in einer Monopolstellung eintreten kann. In diesem Fall besteht das Risiko, dessen Last ökonomisch verteilt wird und dadurch den Charakter des Marktes bestimmt, darin daß wegen des Völkerbundunrechts jederzeit eine Drogen-Razzia stattfinden könnte welche die Investitionen zunichtemacht. Dieselben Effekte haben allerdings realitätsbasierte Risiken wie Reaktorunfall oder Klimakatastrophe, deswegen ist die Ökonomie des bewußtseinserweiternden Schwarzmarkts nicht nur in Bezug auf diesen selbst interessant sondern auch als Anschauungsmodell zum Verständnis der Funktionsweise der Finanz- und Ressourcenmärkte.

  8. Hierarchieallergie Says:

    “Drogendealer betreiben gnadenlosen Kapitalismus. Hier wird ohne Rücksicht Geld verdient:”

    Frank T. kennt die Materie nur vom Abhören, sein Beitrag ist daher wissenschaftlich wertlos.

  9. Hierarhieallergie Says:

    Und: Wie kommt jemand auf die Idee einen öffentlichen Park mit einem kostenpflichtigen Musikfestival zu vergleichen? Wenn ein Stadtpark Eintritt kosten würde dann könnte mensch an die Stelle stattdessen auch einen Bahnhof bauen. Das ist so absurd dass es nach einer Erklärung verlangt.

  10. Tarek Says:

    In dem Magazin “Akte 20.13” hatten sie vor kurzem einen interessanten Bericht über den Görli ausgestrahlt. Auch wenn viele Dinge aus dem Bericht stimmen, so sind die Zustände in dem Park viel zu dramatisch und übertrieben dargestellt. Der Drogenhandel ist natürlich ein gewaltiges Problem, aber dies hat auch nur was mit der Asylpolitik in diesem Land zu tuen. Bei den meisten Menschen, die hier Drogen verkaufen handelt es sich um Flüchtlinge, die hier partout keine Arbeitserlaubnis bekommen und dann notgedrungen ans schnelle Geld kommen müssen. Eins ist nämlich klar, reich wird man mit dem Verkauf von Marihuana nicht.

  11. Hierarchieallergie Says:

    “Eins ist nämlich klar, reich wird man mit dem Verkauf von Marihuana nicht.”

    Das ist eine oberflächliche Sichtweise. Die prekären Gewinnmargen im Einzelhandel kommen nur dadurch zustande dass das meiste Geld in die Abschirmung der Großlieferanten geht. Wie gesagt das gesamte System ist absurd, aber im Fall des Schwarzmarkts wird der marktbeherrschende Irrsinn bloß zwecks wirtschaftlicher Gegenmacht simuliert, denn das darauf lastende Risiko ist vom “ideellen Gesamtkapitalisten” willkürlich generiert. Seine orientierungslose Wirtschaftspolitik schämt sich klammheimlich dass der prekäre Schwarzmarkt die verblichene Hoffnungslosigkeit ihrer morbiden Kriegswirtschaft widerspiegelt, daher kommt es zu Repressionsattacken. Neoliberalismus ist halt ein Krampf.

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