Revolution 1920, Teil VII: Der “Friede von Münster”

March 31st, 2020

Am 31. März 1920 verlangt die Reichsregierung von der Roten Ruhr die sofortige Kapitulation ihrer Armee, Waffenabgabe innerhalb von 48 Stunden und Auflösung ihrer Organisationsstrukturen, während die Reichswehr mit dem Einmarsch ins Ruhrgebiet beginnt. Diesem Ultimatum, das als “Friede von Münster” bekannt wurde, war bereits drei Tage zuvor ein ähnliches von General Watter vorausgegangen, woraufhin der Generalstreik im Ruhrgebiet wieder voll aufgeflammt war.

Gewerkschaften, SPD, USPD und KPD forderten eine bindende Zustimmung der Regierung zum Bielefelder Abkommen, ein Ende des Militäreinsatzes und die Abberufung Watters. Die SPD Niederrhein schrieb an die Regierung, dass sie das Ultimatum, das auch praktisch ganz unerfüllbar war, nicht anerkenne: “Die gesamte Reichswehr ist eine Gefahr für die Republik und den Sozialismus (…) Wir ersuchen deshalb dringend, sofort zu veranlassen, daß die an der Grenze des rheinisch-westfälischen Industriegebiete zusammengezogenen Reichswehrtrupen sofort in ihre Standorte beordert werden.” Der Generalstreik wird jedoch in Berlin nicht wieder aufgenommen – ein weiteres riesiges Versäumnis von KPD und USPD. Gietinger schreibt: “Allgemein herrschte in den Berliner Arbeitergremien eine Überschätzung der eigenen Macht.”

Die Regierung vereinbart nun mit dem ADGB Waffenabgabe bis 2.4., 12 Uhr, sonst Standgerichte – gegen Watter “liegt nichts vor”. Die nach Münster eingeladenen Vertreter des Essener Zentralrats werden auf der Fahrt von Militärs verhaftet, mit Erschießen bedroht und elf Stunden festgehalten.

Die Truppen, ein Großteil von ihnen gerade erst auf der Seite des Putsches, sind in Stellung gebracht, und im Ruhrgebiet, wo wegen der Abriegelung wie im April 1919 eine Hungersnot droht, ist laut Hagener Oberbürgermeister Cuno die “Arbeiterschaft überzeugt, dass der weiße Terror nach ungarischem Muster durch eine Militärdiktatur Watter beabsichtigt ist, sie ist erfüllt von verzweifelter Entschlossenheit”. Während viele zunächst bereit waren, im Vertrauen auf die Abmachungen mit der Regierung, also auf die Auflösung der Putschtruppen und Bildung demokratischer Ortswehren, die Waffen niederzulegen und den hartnäckig kämpfenden Westteil der Roten Armee vor der Festung Wesel notfalls selbst zu entwaffnen, sind sie nun wieder alarmiert.

Und während die SPD-Parteizeitung “Vorwärts” als Titelschlagzeile “Kein Einmarsch in das Ruhrgebiet!” verkündet (siehe Bild), dringt die Brigade Faupel schon jetzt am 31. März ins Ruhrgebiet ein, besetzt Haltern, erschießt dort 32 gefangene Arbeiter und nimmt weitere willkürliche Massenerschießungen von z.T. Unbeteiligten und Denunzierten vor. Die Brigade Epp rückt auf Hamm vor und erschießt in Herringen drei Männer “standrechtlich”.

Staatskommissar Carl Severing, der gerade das Ultimatum der Regierung gestellt hatte, will am gleichen Tag von den Entente-Mächten die Erlaubnis für den Einmarsch in die “neutrale Zone”. Frankreich fürchtet jedoch die Rote Ruhrarmee weniger als die Reichswehr, und es kommt schließlich tatsächlich zur Besetzung von Frankfurt, Homburg, Darmstadt und Hanau am 6.4. – dennoch findet der Einmarsch der Reichswehr statt, die Aufhebung von Versailles und auch ein neuer Krieg werden von der Regierung in Kauf genommen, um die Arbeiter von Putschtruppen niedermachen zu lassen.

Anderswo waren zwischenzeitlich am 29.3. die Toten der Schlacht um Halle von 30.000 Menschen zu Grabe getragen worden und tags zuvor hatte Max Hoelz in Plauen, mitten im nach wie vor “roten” Vogtland, vor 15.000 Menschen über die Ziele der Revolution gesprochen, die in erreichbare Nähe gerückt seien.

Was dem Ruhrgebiet in den nächsten Tagen blüht, lässt der Tagesbefehl 5 der Reichswehr-Gruppe Haas für den 1. April erahnen, der in einem ideologischen Rundumschlag die aus der Konterrevolution entstandenen Feindbilder zusammenfasst und die Arbeitermilizen zu einer osteuropäisch-bolschewistisch geführten Lumpenarmee erklärt: “Denn was steht uns gegenüber? Das sind nicht die deutschen Brüder, von denen mancher Hetzer redet, der sich selbst wohlweislich im Hintergrund hält. Uns gegenüber steht der ungeordnete Haufen jener Elemente, die nicht bodenständig sind, sondern durch die Lockungen der großstädtischen Industrie in den Ruhrbezirk gezogen sind. Einen besonders großen Anteil stellen Nichtdeutsche. Vor allem die in großer Zahl eingeströmten polnisch-russischen Massen, die nicht gelernt haben, sich der staatlichen Ordnung Deutschlands zu fügen, deren Vorteile sie oft lange genug genossen haben, die z.T. auch aus dem Osten das Gift des Bolschewismus mitgebracht haben. Die Führung haben in größerer Zahl Bolschewisten-Offiziere übernommen. So stehen wir einem Gesindel gegenüber, das aus den Unruhen vor allem persönlichen Nutzen und Bereicherung zu ziehen sucht. Der Erfolg ist für uns ja zweifellos; solche Feinde halten im Ernst nicht stand. Es ist bitter für jeden echten Soldaten und guten Deutschen, in der eigenen Heimat mit einem solchen Gegner fechten zu müssen. Aber die Rettung Deutschlands vor dem Bolschewismus, vor der schwersten Katastrophe, fordert von uns getreue Pflichterfüllung auch in diesem Kampfe.”

Dieser Pflichterfüllung werden noch einmal Hunderte zum Opfer fallen.

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Radio Corax hat die Sondersendung zur Schlacht um Halle nun aufbereitet und veröffentlicht.

Übersichtsposting zum März/April 1920: Revolution 1920 Übersicht

Übersicht aller Postings zu Revolution und Konterrevolution vor hundert Jahren: Revolution in Deutschland 1918-23.

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