Japan

April 18th, 2005

Auf der Suche nach Antijapanern bin ich dem Problem des japanischen Faschismus nachgegangen und habe eine ganze Reihe von bedenkenswerten Parallelen und Unterschieden zum Nationalsozialismus und ausmachen können.

Beiden gemein ist die späte Nationbildung und spät einsetzende Modernisierung, die von einem Bündnis aus quasi-Absolutismus, militär-industriellem Komplex und ländlicher Feudalmacht ins Werk gesetzt wird; weiter die Focussierung auf Elektrotechnik und Geschichtsmechanik; der rasche Aufstieg zur imperialistischen Großmacht bei gleichzeitiger Bevölkerungsexplosion; nach dem Ersten Weltkrieg Entstehung faschistischer Ideologie mit gleichstarkem antikommunitischen und antimodern-antikapitalistischem Anteil; in den Zwanzigern politischer Terror von rechts; nach der Weltwirtschadtskrise Einsetzen gewaltsamer Krisenverwaltung (wie überall); zunächst überraschend erfolgreiche kriegerische Expansion mit ungekannter Tötungsrate und Millionen toter Zivilisten; Werben um nationale Befreiungsbewegungen mit antikolonialer Rhetorik (vor allem Arabien, Indien); nahezu gleichzeitig entscheidende Niederlagen in Stalingrad und Midway; schließlich Kapitulation und Tribunale, Gebietsverluste; nach dem Krieg Verdrängung der eigenen Geschichte, “Wirtschaftswunder” auf der Grundlage des faschistischen Modernisierungsschubs (ausgebildete Facharbeiter, Sozialpakt und”Bollwerkfunktion” gegen Kommunismus, Japan: Hegemonie der familialen Wirtschaftsoligarchie [zaibatsu]); ab den Siebzigern Faschismusdiskussion auf marxistisch-leninistischer Grundlage.

Die Unterschiede wiederum sind einigermaßen erhellend fürs Faschismusverständnis. Japan fehlt nämlich der in zahllosen Theorien für notwendig erachtete zentrale Staat, der sich in den 1880ern nur vorübergehend und sehr sporadisch ausbildete. Vielmehr arbeitete die “freiwillige Gefolgschaft” (amaeru) gerade der Landbevölkerung auf stark dezentraler und personaler Grundlage, ihre Brutalisierung im Krieg erfolgte ohne zentralen Vernichtungsplan oder überhaupt derartige Befehle. Die Faschisten selbst kamen über den Organisationsgrad eines einflußreichen Politzirkels nie hinaus, trieben aber die Gesellschaft mit immer neuen Putschversuchen weiter in die Faschisierung. Die entscheidenden Kriegseskalationen 1931 (Nordchina/Mandschurien) und 1941 (Pearl Harbor) erfolgten als beinahe autonome Handlungen des Militärs, wenn auch auf der Grundlage bereits ausgearbeiteter Pläne. Die Kapitalvernichtung folgte also direkt der Krise, die faschistischen Putschversuche erfolgten erst danach und scheiterten, nach dem Versuch einer Konsolidierung Anfang der 30er (Staatsverschuldung und Deflationspolitik) war es erneut der Ausbruch des Krieges in Kernchina (Massaker von Shanghai und Nanking), die die Gesellschaft vor vollendete Tatsachen stellte. Die gezielte Formung einer Volksgemeinschaft nach deutschem Vorbild begann erst Ende der 30er, als einerseits sichtbar wurde, daß China durch die Brutalität der japanischen Kriegsführung eher noch motiviert wurde, andererseits das deutsche Vorbild durch seine militärischen Erfolge zu wirken begann.

Faschistische Schläger disziplinierten die Arbeiterschaft und die Verbindung aus Militär (vor allem der Marine und ihrer Luftwaffe) mit den zaibatsu erzeugte eine Deutschland vergleichbare Kriegswirtschaft, jedoch nahezu ohne eine zentrale staatliche Instanz. Deren Rudiment, der tenno (Kaiser), intervenierte mehrfach vergeblich gegen die militärische Expansion, konnte sich selbst nach Hiroshima, Nagasaki und dem sowjetischen Kriegseintritt nicht mit den Kapitulationsplänen durchsetzen. Die japanische Nation zerfiel also nicht erst in Rackets, sondern bestand von vornherein und bis in die Gegenwart vorwiegend aus ihnen; gesellschaftliche Abteilungen, die bestimmte Teile der Modernisierung, der Subjektzurichtung und der Kapitalvernichtung praktisch selbsttätig durchprügelten. Letztere bezog ihre Gewalt fast völlig aus der Kaiserlichen Armee, der Staat als Untertanenfabrik war beinahe überflüssig, was sich auch an der vergleichsweise geringen Gewalt nach innen ablesen läßt – auf den japanischen Inseln keine KZs.

Bis zur heutigen Diskussion, die auf eine ML-Faschismusdiskussion, aber auch auf modernere Ansätze zurückgreifen kann, bin ich noch nicht vorgestoßen, empfohlen wurde allenthalben ein achtbändiges Werk über “Staat und Gesllschaft der Faschismuszeit” vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Uni Tokyo von 1979.

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