Brasilien – Ghana

June 28th, 2006

Die Aufgabe: trotz der bekannten Inkompatibilität von Spanien und Trampen von Valencia nach London zu kommen. Vermutete Reisedauer: wenigstens zwei Tage in Spanien, danach ein bis zwei Tage für den Rest der Strecke.Ich knobelte also einen möglichst guenstigen Startpunkt aus – die Raststätte Sagunt auf der A7 nördlich von Valencia – und nutzte die Kombination aus billigem Vorortzug und Google Map auf dem Handy, um dorthin zu gelangen, zum Schluß eine Stunde zu Fuß durch eine Orangenplantage.

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Die Hoffnung, mich mit diesem Rasthof bereits ans nichtspanische Publikum richten zu können, erwies sich als falsch. Zwar fuhren hin und wieder italienische, deutsche oder französische Autos vorbei, sie waren jedoch gering an Zahl und ausnahmslos vollgepackt. In vier Stunden hielten zwei Spanier, die beide nur wenige Kilometer weiter fuhren, und auch dann wurde es weird.

PKW mit Tarragona-Kennzeichen hält, Scheibe geht runter. Der Fahrer in moslemischem Gewand bemerkt an meinem wiederholten “Barcelona”, daß ich wohl kein Spanisch spreche und fragt mich: “What is your problem?”

Ich antworte: “No problem, autostop.” Irgendwie scheint ihm das Ganze nicht geheuer zu sein und auch überhaupt nicht vertraut, doch er nimmt mich mit. An der nächsten Abfahrt fährt er auf die Nationalstraße, die ich aus Gründen der Zeitersparnis hatte vermeiden wollen, und bringt mich innerhalb von vier langen Stunden bis kurz vor Tarragona. Er ist sehr lustig, aber auch etwas merkwürdig. Ständig macht er Geräusche beim Fahren und singt. Als ich ihn zu fragen versuche, ob sein Zielort vor oder nach Tarragona liegt, wiederholt er beide Ortsnamen über sicher eine Viertelstunde hinweg abwechselnd in Singsang.

Trotzdem schaffen wir es, uns zu unterhalten. Er stammt aus Pakistan, fährt seit fünf Jahren in Spanien Linien-LKW und hat einen Neffen in England (seine Suche nach dem genauen Ortsnamen ist wiederum eine Viertelstunde Singsang), der dort seit 15 Jahren als Computertechniker arbeitet. Jetzt ist er auf dem Weg zu seinem Bruder, mit dem er für drei Monate nach Pakistan fahren will. Deshalb tritt er immer, wenn mal gerade kein Stau ist, ordentlich drauf und singt bei den gewagtesten Ueberholmanövern besonders inbrünstig. Ich muß an die Nonne in den Filmen mit Louis de Funes denken.

Der Abwurf an einem Riesen-Vierspur-Betonkreuz, das nichtmals direkt auf die Autobahn führt, läßt jede Hoffnung auf schnelles Verlassen von Spanien schwinden. Ich laufe inmitten von hoppelnden Hasen durch eine Baustellen-Kraterlandschaft zur Zahlstelle an der Auffahrt, wo mich überraschenderweise (dieses Wort müßte in der Trampersprache, wenn es eine gäbe, Dutzende von Synonymen haben) augenblicklich ein älterer Herr aus Barcelona vor der Nacht im Nichts rettet und sogar in Aussicht stellt, mich noch zu einer zumindest grenzwertigen Uhrzeit an der Umgehungsautobahn um Barcelona abzusetzen.

Er kann Englisch, weil er es auffrischen mußte, um seine Tochter an der Business School in Leeds unterzubringen, wo sie gerade ihren Ph.D. gemacht hat. Eigentlich sein Leben lang Chemiker (unter anderem fuer Henkel in Deutschland), hatte er in den Sechzigern für sein Philosophiestudium eine Tramp-Feldforschung angestellt. Tagelang war er dieselbe Autobahnstrecke getrampt und hatte die Fahrer mit Fragen bezüglich ihres Glaubens konfrontiert, da ihn interessiert hatte, wie der Faschismus auf die Glaubensvorstellungen wirkte. Leider waren die Leute nicht sehr offen, was mich zu der nun natürlich viel zu spaeten Bemerkung veranlaßt, daß innerhalb von vierzig Kilometern selten solch ein Gespräch zustandekommt, nach zwei- oder dreihundert aber unabhängig vom Regierungssystem von ganz allein.

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Ich stand also noch vor Mitternacht an einem großen Rasthof bei Barcelona und entspannte mich. Gern wollte ich noch ein paar Minuten versuchen, ob ich vielleicht doch noch aus Spanien herauskommen wuerde. Ich trank einen Kaffee im Hotelrestaurant, dass anstelle einer Raststätte geoeffnet hatte, und stellte fest, daß die spanischen Kartoffelchips wirklich so gut sind, daß sie in einem Etablissement wie diesem problemlos angeboten werden können.

Es war schon dunkel, als ich auf der Suche nach einer günstigen Stelle an den parkenden LKWs vorbeilief. Obgleich auf der Autobahn noch viel los war, war der Rasthof relativ ausgestorben. Ich dachte darüber nach, mich direkt an die Fahrbahn zu stellen und verbrachte sicher eine Stunde mit dem von vorbeifahrender Polizei unterbrochenen Versuch, durch all die Zubringer und Verteilerspuren dorthin zu gelangen.

Irgendwann gab ich auf und ging zurück zum Rasthof, um an einer unbemerkten Stelle meinen Schlafsack auszurollen – was ich bisher auf dieser Tour noch nirgendwo getan habe.

Wirklich und echt das letzte Auto, das ich vorm Hinlegen noch anhalten wollte, das ich außerdem an einer dunklen Stelle des Rasthofs anzuhalten versuchte, hielt an. Der Fahrer versteht mich, als ich sage “Je vais a la France”, und sagt: “I go to Holland.”

Ich kann mein Glück überhaupt nicht fassen und wir lachen die erste Stunde der Fahrt die ganze Zeit. Er stammt aus Rumänien, lebt in Barcelona, will jetzt einen Freund aus Den Haag abholen. Er hat nicht vor zu schlafen und deutet an, daß er Koks oder Speed genommen hat. Also kloppt er die Nacht durch, schon bald erreichen wir den Ortsausgang von Antitrampistan.

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Er will mich zwar nicht schlafen lassen und fährt, wann immer ich einnicke sofort ran und kauft mir allerlei Koffein- und Zuckerhaltiges, als ich irgendwann gegen fünf bei Lyon einschlafe, läßt er mich aber. Als ich zwei Stunden später wieder aufwache, darf ich sogar die Navigation übernehmen und damit meine Ausgangsposition für den Sprung über den Kanal noch weiter optimieren. Schließlich läßt er mich gegen zehn Uhr nach Debatten über europäische Sprachen, Drogen, Sex in verschiedenen Ländern, Angeln und Geschichte – er streitet erbittert mit mir, daß Troia in Griechenland liegt – an einem malerischen französischen Tramperparadies 150 Kilometer vor Calais raus.

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Ich habe das Gefühl, nach dieser Teleportierung unter Jetlag zu leiden – allein der Temperatursturz von 30 Grad nachts in Barcelona auf 15 mittags in Nordfrankreich – und denke: Oh, mein Gott, ich brauche 3-Wetter-Taft!

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