Deutschland – Italien

July 9th, 2006

Das Vorfinalaus für Deutschland, uns bekanntgegeben von Heerscharen hupender Vespas am Notting Hill Gate, kam zeitgleich mit dem Versiegen der kostenlosen Übernachtungsmöglichkeiten in London. Wir fuhren also zum Abschluß mit Dockland-Bahn durch die aus der Nähe sehr spacige Geschäftsstadt im Hafen nach Lewisham, wo die A20 Richtung Dover beginnt.

Die Idee war grundsätzlich nicht verkehrt, da schon zahlreiche potentielle Kanalüberquerer, vor allem polnische Reisebusse zu sehen waren. Die Straße ist jedoch an diesem Punkt noch recht schmal und mit Baustellen und Bus Stops übersät. Wir mußten ein Stück laufen, bis wir eine Tankstelle fanden, an der wir dennoch als exotische Attraktion inmitten des Fußgängerstroms standen.

hitchhiking way out of london

Trotz der nicht abreißenden Versicherungen der Vorbeilaufenden, daß wir dort niemals wegkommen würden, dauerte es gerade mal eine Viertelstunde, bis eine auch für Londoner Verhältnisse ausgesucht freundliche Frau anhielt, die mit ihrer Tochter auf dem Weg über die M2 Richtung Canterbury fuhr.

Sie versicherte uns, daß nicht nur die M20 nach Dover führt und wir an beiden Autobahnen besser stehen würden als dort in der Stadt. Obwohl wir gar nicht lange mit ihr fuhren, nutzte sie die Zeit, um lauter Sachen zu sagen, die wir auf die Reise mitnehmen könnten. Das machte sie nicht mit diesem Vorsatz, aber ihre Ausführungen über die britische Sonderstellung qua Insellage, die Wichtigkeit der Debatte und den deutschen Untertanengeist begleiteten uns noch eine Weile.

Auch der nächste Fahrer, ein Italobrite im Lieferwagen, war sehr freundlich, wenngleich es ihn beim Thema “arbeiten müssen fürs Geld” etwas raustrug. Er brachte uns zurück an die M2, an eine Kreisverkehr-Auffahrt mit Raststätte, noch etwa 40 Meilen vor Dover.

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Hier wurde es etwas knifflig, da die Ausfahrt aus dem Kreisverkehr sehr zügig befahren wurde, worauf wir von der Autobahnpolizei auch hingewiesen wurden. Unüblicherweise gab uns der Polizist jedoch eine Viertelstunde, um dort wegzukommen, erst danach wollte er darauf bestehen, daß wir uns zur Raststätte begeben.

Das taten wir dann von ganz allein, da die für uns interessanten Autos ohnehin fast ausschließlich von dort kamen. Wir schafften es nicht jemanden zu finden, der uns mit über den Kanal nehmen konnte oder wollte, nur ein Belgier ließ uns ins Auto, wußte aber nicht, daß er durch den Tunnel niemanden mitnehmen darf.

Also reduzierten wir unsere Ambitionen auf einen Lift nach Dover und ein Fußgängetticket für die Fähre. Als dann doch ein zum Wohnmobil umgebauter VW-Transporter mit Siegener Kennzeichen vorbeifuhr und auf meinen Ausruf “Siegen” hin anhielt, waren wir kurz euphorisch.

Es stellte sich jedoch heraus, daß das Pärchen nur bis Calais fahren wollte und noch etwas später, als nach über einer Woche Sonne und Hitze dichter Nebel aufzog, daß es sich bei den beiden um deutsche Würstchen handelte, die uns erst auf dem Parkplatz neben ihrer Reiseagentur noch vor Dover offenbarten, daß sie ein auf sie beide festgelegtes Ticket für nach 23 Uhr hätten.

Leicht frustriert liefen in Richtung Fährhafen los, stellten uns aber noch einmal an eine Bushaltestelle direkt neben die überwiegend aus LKWs bestehende Blechlawine. Aus der zweiten Ampelphase hielt ein PKW mit einem eloquenten Kosmopoliten, der aus Belgien stammend nun in Frankreich wohnte, lange Zeit in London und in Köln gewohnt hatte und auf dem Weg zur Speed Ferry nach Boulogne war.

Er erzählte uns, wie er als Entschädigung für den freiwilligen Verzicht auf einen Platz in einem überbuchten Flugzeug in den Besitz eines weltweiten Jahrestickets von US Airways gelangt war und bewies seine Überredungskünste gleich noch mal praktisch, als er mittels eines Gesprächs über den Nebel uns beide kostenlos an der Ticketkontrolle vorbei auf die Fähre schleuste.

In der Warteschlange hatte die ganze Zeit schon ein Golf mit LDS-Kennzeichen gestanden, allerdings waren wir unsicher, ob wir wirklich mit einem Deutschen bis nach Hause fahren wollten. Auf der Fähre sprachen wir ihn dennoch an, er fuhr nach Sonneberg in Thüringen und verstaute uns – nach einer sicherlich verdächtig wirkenden Umbauaktion im Dunkel an einem Kreisverkehr außerhalb von Boulogne nachts um eins – in seinem Auto zwischen größeren Teilen seines Umzugs von Chichester nach Rosenheim.

Er arbeitete im Rahmen seiner Ausbildung bei Rolls Royce und war auf dem Weg zu den Eltern eines Studienkollegen, die in Sonneberg eine Holzfirma betreiben, um dort den Schlüssel für seine Wohnung in Rosenheim abzuholen.

Die Fahrt wurde trotz der netten Beschallung und der überwiegend entspannten Gespräche immer länger, da der noch sehr junge Fahrer etwas unterschätzt hatte, wieviel Schlaf er auf der Strecke brauchen würde. Die ersten beiden Päuschen waren noch nicht länger als eine halbe Stunde, dann fuhr er aber fast an jeder Tankstelle ran und schlief schließlich auf einem Parkplatz irgendwo zwischen Köln und Frankfurt bis zehn Uhr morgens.

So kam es, daß wir erst nach Mittag in Sonneberg eintrafen. Wir waren noch zusätzlich vom einsetzenden Wolkenbruch, Fahrschulenautos und Baustellenampeln aufgehalten worden, bekamen nun aber zur Belohnung von der im tiefsten Dialekt sprechenden Mutter des Studienkollegen pro Nase zwei Sonneberger Bratwürste vorgesetzt.

Wir erfuhren einiges übers Kleingewerbe früher und heute, dann wurden wir endlich zur geliebten A9 gebracht und standen gegen vier Uhr nachmittags in Pegnitz.

Mit einem Magdeburger kamen wir nach einiger Wartezeit bis nach Osterfeld (ich schlief endlich auch mal etwas). Dort waren untypisch wenige Berliner am Start, erst nach fast einer Stunde fanden wir einen Libanesen auf dem Weg nach Neukölln. Er hatte recht türkische und arabische Musik mit recht schmissigen Beats dabei und erzählte, daß er daheim auf dem Dach mit Blick aufs Mittelmeer schlafen könnte, obgleich die Mücken auch ihm den Spaß zuweilen verderben.

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