Intro zur Entschwörungstheorie (Betaversion)
November 16th, 2006Ist über Verschwörungstheorien nicht längst alles gesagt worden? Liegen denn nicht überall Bücher in den Auslagen der Geschäfte, die uns erklären, wie Verschwörungstheorien funktionieren?
Nun ja, beantworten diese Bücher die wohl wichtigste Frage, warum welche Verschwörungstheorien unter welchen Bedingungen geglaubt werden? Oder erklären sie lediglich, wie die Verschwörungstheorien aussehen, während auf dem Umschlag groß die Worte “Freimaurer” und “Illuminaten” prangen?
Und was für Bücher liegen drumherum? Bücher von Noam Chomsky vielleicht, in denen es um die “Media Control” geht? Sehen Sie dort ein Stück weiter das Zeitschriftenregal, von dem aus Enthüllungen über das “Schattenreich der CIA” versprochen werden?
Ist es vielleicht doch nicht so einfach, Verschwörungstheorien in einen handlichen Sack zu stecken und beiseite zu legen?
Ich möchte die liebgewonnene Gewißheit erschüttern, daß wir es mit einem Randphänomen zu tun haben, und mich im Folgenden vor allem der Vermittlung des Verschwörungsdenkens in die Gesellschaft widmen. Dabei werde ich sowohl den mir zugänglichen Forschungsstand wiedergeben als auch einige neue Thesen formulieren.
Aus den Ergebnissen der akademischen Beschäftigung mit dem Thema, die von den wenigen Forschern als unzureichend und tabuisiert beschrieben wird, erscheinen mir drei Charakteristika des Verschwörungsdenkens besonders wichtig zu sein.
Da ist zum ersten die Notwendigkeit eines idyllischen und harmonischen Bildes von der eigenen Gesellschaft, welches erst verlangt, die Konflikte als von außen kommend, als von einer kleinen Gruppe eingeschleppt zu verstehen.
Zweitens kommt zur Gegenüberstellung eines in sich konfliktfreien Eigenen und eines spalterischen und zersetzenden Fremden die Gegenüberstellung von Eigentlichem und Täuschung hinzu, von einer intuitiv-erfaßbaren ursprünglichen Wahrheit und einer abstrakt-künstlichen kalkulierten Lüge.
Drittens lehrt die Geschichte des Verschwörungsdenkens, daß diese Freund-Feind-Konstruktionen vor allem dann vorgenommen werden, wenn sich eine bestimmte Gesellschaftsklasse vom Abstieg bedroht sieht.
Doch sind das alles Aussagen über die Entstehung der Verschwörungstheorien, keine über ihren Verbreitungsweg. Es bleibt ungeklärt, warum das Feindbild einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder Klasse zum Feindbild größerer Teile der Gesellschaft werden kann. Worin die spezifische Attraktivität dieses Denkens auch über die Epoche der manifesten Klassenauseinandersetzungen hinaus besteht, läßt sich aus diesen Bestimmungen nicht ersehen.
Wieso meine ich nun, als Nicht-Akademiker und als Autodidakt auf den fraglichen Gebieten der Politikwissenschaften, Soziologie und Geschichte, den unzureichenden Erklärungen etwas hinzufügen zu können?
Das hat mit dem Umstand zu tun, daß es bei den meisten der in diesem Buch auftretenden Verschwörungstheoretiker ebenfalls um Autodidakten handelt, die sich, so wie ich, abseits des akademischen Betriebes die Welt zu erklären versuchen.
Die Position, von der aus ich schreibe, ist eine eher zufällige biographische Verstrickung. Gerade noch alt genug, um die Schlußphase der DDR und den Systemausfall mitzubekommen, wurde ich in den Neunzigern sowohl in der linksradikalen Szene als auch in vielen anderen Zusammenhängen von Hippies, Hackern und auch Verschwörungsfans sozialisiert. Für mich ist die Kritik an Fehlentwicklungen aus dieser Geschichte heraus etwas gleichsam Selbstverständliches wie Schmerzhaftes. Es ist immer nur Einsicht und Erkenntnis zustandegekommen, wenn sich von Lebenslügen verabschiedet wurde. Das war jedoch in allen Fällen ein Vorgang, der für viele Beteiligte mit persönlichen Auseinandersetzungen, Streit, dem Ende von Freundschaften und auch dem Versiegen von wichtigen Einkommensquellen einherging.
Wenn ich mich jetzt dem Versuch widme, dem Verschwörungsdenken entgegenzuwirken, das in den letzten Jahren zusammen mit dem Rückfall in alte Denkmuster und mit der Renaissance von bornierter Technikfeindlichkeit gerade in linke Kreise Einzug gehalten hat, die davon vorher wenig bis gar nicht beeinflußt waren, geht es mir nicht um noch einen Lagerkampf, noch eine Spaltung, noch einen Anlaß für Tiefschläge und Abreaktionen aller Art. Es geht um die Rückgewinnung oder möglicherweise, mit dem Bild der jüngeren Vergangenheit im Kopf, um die Ersterringung von politischer Handlungsfähigkeit.
Ich werde zu zeigen versuchen, daß Verschwörungstheorien selbst trotz ihrer Nothilfefunktion für erschütterte Weltbilder noch kein wirkliches Problem darstellen, in originellen Einzelfällen durchaus anregend sein können und in ihrer konsequentesten Form mit der Beschreibung einer Verschwörung aller gegen alle der gesellschaftlichen Realität nahekommen.
Gleichzeitig hoffe ich klarmachen zu können, daß Verschwörungsideologien, die als geschlossene Weltanschauung daherkommen oder Weltanschauungen erst zu geschlossenen machen, eine der größten politischen Gefahren überhaupt sind. Ich werde weniger Aufmerksamkeit auf die bloße Beschreibung einzelner Verschwörungstheorien verwenden, sondern mich vorrangig damit beschäftigen, wie Verschwörungsdenken in die Gesellschaft sich vermittelt und unter welchen Voraussetzungen es zu einer bestimmenden Größe wurde und werden kann.
Ziel ist ein besseres Verständnis der gegenwärtigen politischen Debatte und eine Anregung, nicht mehr bequem aufs Naheliegende zu schimpfen, sondern sich mit dem unterschätzten, schmuddeligen, unerfreulichen und gefährlichen Konspirationismus offen auseinanderzusetzen.
November 16th, 2006 at 22:42
Ist das jetzt als Zeichen zu verstehen, daß das Buch kurz vor der Fertigstellung steht?
November 16th, 2006 at 22:44
Schon. Doch.
November 17th, 2006 at 11:36
damn nice 🙂
wann isses fetich? und wird das auf dem 23c3 zu kaufen sein?
November 17th, 2006 at 12:18
So ist das gedacht – zumindest als selbstverlegte Version mit der legendären Baguettebindung.
November 17th, 2006 at 16:52
kann man das dann bei dir auch bestellen? ich würde es ganz gerne in der sendung rezensieren…
würde mir auch als .pdf reichen.
das wäre schön!
November 17th, 2006 at 18:21
Du kannst entweder das fast fertige pdf ohen Zwischenüberschriften und mit einigen kleineren Bugs jetzt schon zur Voransicht kriegen (pdf, Mail) oder du mußt bis etwa in einem Monat warten, bis alles etwas runder ist.
November 17th, 2006 at 19:36
ich warte gerne einen monat, ich wollte nur mal interesse anmelden. merci.
December 1st, 2006 at 13:10
[…] Das ist übrigens das Buch, auf das ich mich im Intro zu meinem beziehe (”Oder erklären sie lediglich, wie die Verschwörungstheorien aussehen, während auf dem Umschlag groß die Worte “Freimaurer” und “Illuminaten” prangen?”): […]