Roland Koch eben gerade nicht brutalstmöglich

January 28th, 2008

Um es nur kurz festzuhalten, bevor es im Zuge der Koalitionsverhandlungen wieder untergeht: Kochs Stimmverluste sind nicht unbedingt ein Ausdruck davon, daß die hessischen Wahlberechtigten etwas gegen “hartes Durchgreifen gegen Ausländer” hätten. Sie trauen es Koch vor allem nicht (mehr) zu. SPON schreibt dazu:

>>Doch Koch wollte Probleme nur polemisch zuspitzen, anstatt sie zu lösen. Wer neun Jahre Ministerpräsident eines Landes ist, kann sich im Wahlkampf nicht damit begnügen, hohe Kriminalitätsraten zu beklagen. Koch hatte zwei Amtsperioden, um die Gewaltstatistik zu senken. Er hat es nicht geschafft – auch deshalb hat man ihm zum Schluss nicht mehr geglaubt.<< Hätte er nicht nur "Bootcamps" verlangt, sondern schon flächendeckend einrichten lassen, müßte er jetzt vielleicht nicht - wie Frank Steffel einst in Berlin - vor der Koalition der Ausländer und Kommunisten zittern. Kein Grund zur Beruhigung also. In Deutschland lassen sich Wahlen nicht mehr ohne weiteres mit populären Parolen gewinnen - es wird auch nach der entsprechenden Praxis verlangt.

21 Responses to “Roland Koch eben gerade nicht brutalstmöglich”

  1. koenich Says:

    Mir ist auch klar, das es keine Trendwende zum guten ist. Es ist nur eine Abkehr von Roland Koch. Und ich fand es auch nur erschreckend, das kaum einer Ihn mag. Ein Absoluter Unsympath. Und trotz der Abneigung hat er zweimal in Hessen gewinnen können.

  2. Benni Says:

    Mal was von “vor Ort” dazu:

    zunächst mal einen kleinen Logikcheck: Deine Argumentation setzt vorraus, dass Bootcamps tatsächlich etwas nützen würden zumindestens für fragwürdige Maßzahlen wie die “Kriminalitätsrate”. Das dem nicht so ist, haben die Leute abseits des Hardcore-Rassisten-Lagers kapiert. Weniger Leute haben ihn gewählt, weil sie kapieren, dass es mit einfachen Wegsperr-Parolen halt nicht getan ist, weder polemisch noch praktisch. Es gab da eine sehr breite Debatte und in den Medien stand auch viel Richtiges dazu.

    Es ist erschreckend, dass immer noch etwas weniger als ein Viertel der Wahlberechtigten jemanden für wählbar halten, der solche autoritären und rassistischen Parolen von sich gibt. Das es ca. ein Viertel der Bevölkerung gibt, die extrem autoritär und rassistisch strukturiert ist, ist keine Neuigkeit, das ist aus vielen Studien bekannt. Das wird sich wohl auch erst ändern, wenn körperliche und psychische Gewalt gegen Kinder nicht mehr alltäglich ist.

    Tatsächlich ebenso wahlentscheidend war die Bildungspolitik, das ist bundesweit glaube ich nicht so angekommen. Aber hier regen sich die Leute furchtbar auf, dass ihre Kinder jetzt zu sehr getriezt werden schon in den Anfangsjahren am Gymnasium Und das ist gerdade die CDU-Klientel, die er sich da vergrätzt hat.

    Ich will da auch nicht verallgemeinern. Kann sein, dass es in weniger globalisierten Gegenden als Hessen anders ausgegangen wäre.

  3. saltzundessick Says:

    die argumentation hinkt. haetten die waehler tatsaechlich haerteres durchgreifen, bootcamps, abschiebung etc. gewollt, haetten sie statt koch npd gewaehlt und nicht spd & linke.

  4. goncourt Says:

    Ja, ich glaube auch, was satzundessick sagt. Aber vielleicht läßt sich das Argument von classless abwandeln: Wulff hat z.B. auch viele “unpopuläre Maßnahmen” getroffen, z.B. Studiengebühren, und in der Gewaltdebatte meine ich, dass er sich auch nicht gerade von wesentlichen Punkten Kochs distanziert hätte — er hat das alles aber so verkauft, dass es still “in die Wege geleitet würde”, mit seinem Vernunftgesicht. Da zeigen sich SPD und Grüne gerne auch “einsichtig” in die Notwendigkeit der Weltläufte.

    Jedenfalls haben wir jetzt die Bescherung, die Politik Kurt Becks gilt als “Linksruck”.

  5. ghost Says:

    @salzundessik: nein, in dieser Hinsicht hat Kulla recht. Du kannst den Wähler nicht als prinzipiell parteineutral betrachten, der von Wahl zu Wahl sich für eine Partei entscheidet, so ist es einfach nicht. Die Frage ist immer, wie gut man seine Wähler mobilisieren kann, nicht wie man Leute, die vorher etwas völlig anderes gewählt haben, jetzt dazu bringt, sich umzuentscheiden.

    Und du mußt bedenken, daß es für die CDU Wähler eben eher nicht in Frage kommt, die NPD zu wählen, die im Bürgertum meiner Erfahrung nach übrigens auch nicht weniger als Schwätzerpartei gelten als Kochs hessische CDU. Und dann auch noch als unfeine Schwätzer, das hat ja eine lange Geschichte. Die CDU Wähler sind auch nicht ins SPD Lager gewechselt, das halte ich für Quatsch, die SPD hat einfach dieses Mal mehr SPD-Wähler mobilisiert, die bei den letzten Wahlen einfach zuhause geblieben sind. Bei den furchtbaren Beteiligungszahlen sprechen die meisten negativen Veränderungen ohnehin mehr dafür, daß die Leute zuhause geblieben sind, wobei in Niedersachsen die Linke sich wohl auf Kosten der SPD bereichert hat.

    @benni: “Deine Argumentation setzt vorraus, dass Bootcamps tatsächlich etwas nützen würden zumindestens für fragwürdige Maßzahlen wie die “Kriminalitätsrate”.”

    nein, seine Argumentation setzt das nicht voraus. Sie setzt voraus, daß Leute GLAUBEN, daß Bootcamps tatsächlich etwas nützen würden, oder zumindest härteres Durchgreifen. Und daß das die Leute noch glauben, denke ich schon. Aber gut, das ist schwer entscheidbar und schwer festzustellen.

  6. saltzundessick Says:

    also sind die 12% einfach zu hause geblieben, weil koch so ein luschi ist? tut mir leid, das kann ich beim besten willen nicht nachvollziehen. und natuerlich gibt es eine waehlerwanderung zwischen den parteien, du sagst ja nichts anderes, spd-waehler wechseln zu den linken, so wie cdu zur spd usw.
    eine koalition zwischen ‘spd und kommunisten’ halte ich fuer ausgesprochen unwahrscheinlich, wird wohl eher eine grosse koalition ohne koch.

  7. 24stunden.de » Müller: Große Koalition in Hessen Says:

    […] Roland Koch eben nicht brutalstmöglich […]

  8. ghost Says:

    “und natuerlich gibt es eine waehlerwanderung zwischen den parteien,”

    ja zwischen den parteien aber nicht (in signifikantem maß) zwischen den lagern.
    insofern ist der fdp-zuwachs sicher aus CDU bestand geschehen, das ist wohl wahr.
    aber weder der möglicherweise geschehene, aber notwendigerweise schmale zustrom an cduwählern aus der “cdu-linken” noch das prozent fdp-abfall erklärt die 12 Prozent.

    und es wird zeit, daß mal die cdu wähler zuhause bleiben
    bislang war es nachgewiesenermaßen immer ein problem der agenda2010-SPD, daß ihre wähler zuhause blieben. da ich das problem aus der ecke kenne finde ich es nachvollziehbar, daß das problem auch andernorts, bei der cdu nämlich, stattfindet. wieso nicht?

  9. nonono Says:

    Ich würde sagen, dass die Leute niemanden wählen, der offen nach Nazi oder Rassist aussieht, sondern lieber jemanden wollen, der dasselbe macht, ohne so auszusehen.

  10. classless Says:

    @Benni
    Die Argumentation setzt nicht voraus, daß “Bootcamps” etwas “bringen”, sondern daß sie von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung als gute, harte Maßnahme angesehen werden. Das müssen aber auch gar nicht unbedingt diese “Maßnahmen” sein, vielen scheint es vor allem darauf anzukommen, daß “wir” “uns” nicht von “denen” auf der Nase herumtanzen lassen.

    Insofern gebe ich nonono recht, daß das Problem hier eher sein dürfte, daß es eben bei Koch zu sehr nach dem aussah, was es ist, daß der Rassismus nur noch sehr schlecht zu leugnen war.

  11. unkultur Says:

    Bei der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft hatte Koch 1999 damals noch unverhohlener auf offenen Rassismus gesetzt – soviel zur Wiederlegung. Nein, ich denke, dass sich mit dem Thema derzeit einfach nicht punkten ließ, dass genau das anderen in der CDU klar war, und selbige deswegen schon rechtzeitig auf Distanz zu Koch gingen. Tagespolitik ist Trendabhängig und derzeit waren es andere Themen, die dominierten: deswegen wurde Die Linke und SPD gewählt.
    Zu der Aussage mit “was die hessischen Wahlberechtigten wirklich will”.: Die könnte man gerne anhand von empirischer Sozialforschung belegen, anstatt ins Blaue hinein unbelegte Aussagen zu treffen. Gibt es Umfragen dazu? Wieviel Prozent der Bevölkerung stimmen genau welcher Verschärfung von was zu?

  12. godforgivesbigots Says:

    Ist doch ein nettes Ergebnis, in Hessen das gleiche Koalitionsdilemma wie im Bund. Mit Adrenalin läßt sich halt keine dritte Amtszeit mehr gewinnen. Ob ein tatkräftigerer Wegsperrer einen Sieg davontragen hätte halte ich nicht für unbestreitbar.

  13. saltzundessick Says:

    ohne jetzt ewig auf dem thema herumreiten zu wollen, hier kannst du dir die waehlerwanderung ansehen:

    http://stat.tagesschau.de/wahlarchiv/wid253/analysewanderung6.shtml

  14. ghost Says:

    na gut. hast du wohl teilweise recht. 😉
    ich hätte nicht gedacht, daß mehr von der cdu zur spd sind (92000) als einfach zuhause geblieben sind wie ich behauptet habe (79.000). die (nicht)mobilisierung von (Nicht)Wählern ist aber dennoch ein wichtiger Faktor.
    Ich hatte trotzdem unrecht. Danke für den link.

  15. saltzundessick Says:

    sieht man sich die restlichen statistiken an, so koennte man tatsaechlich den schluss daraus ziehen, dass die cdu nicht gewaehlt wurde, weil koch ein unsympath ist. um themen ging es da wohl weniger.

  16. godforgivesbigots Says:

    Und dem obigen Posting geht es wohl weniger um die Einzelheiten des Wahlergebnisses sondern um die grundsätzliche Frage ob es in Deutschland noch einen obrigkeitsstaatlichen Konsens gibt. Die historische Kontinuität legt das nahe, aber die Annahme, dass unausweichlich eine beständige Mehrheit autoritärer Zwangscharaktere nachwüchse erscheint mir doch grob kulturpessimistisch, wenn nicht gar von der Natur einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Die interessante Frage an diesem Punkt wäre an welchen Prüfsteinen sich feststellen ließe dass ein solcher Konsens in absehbarer Zeit nicht mehr existiert.

  17. Benni Says:

    @godforgivesbigots: Richtig, die Wahlarithmetik ist interessant aber nicht entscheidend. Ich glaube aber es geht nicht so sehr um einen obrigkeitsstaatlichen Konsens, sondern um einen autoritären Konsens. Das ist ein feiner aber wichtiger Unterschied. Menschen handeln im allgemeinen nicht nach Staatstheorien sondern so weit wie möglich im Einklang mit ihren Bedürfnissen. Das Problem ist also das Bedürfnis nach Autorität. Daraus ergibt sich erst in der Folge ein Bedürfnis nach einem “starken Staat”. Ein autoritäres Bedürfnis kann sich aber genausogut im Ruf nach einem “starken Markt” zeigen. Hauptsache, es kommt nicht der Verdacht auf, jemand mache einfach was er oder sie will.

    Ich hab es ja im letzten Kommentar schon angedeutet: Das Problem sind die völlig verkorksten Vorstellungen über Erziehung. Der autoritäre Charakter wird gemacht. Er entsteht aus der Notwendigkeit der Identifikation mit den Tätern, wenn die Täter die eigenen Eltern sind. Das setzt dann eine Gewaltspirale in Gang in der gedanklich und konkret jeder des anderen Wolf ist und am Ende bleibt nur der Leviathan um das alles wieder einzuhegen.

    Deswegen war 68 auch tatsächlich ein Fortschritt und leider gibt es da zur Zeit einen Backlash. Nun war ja aber Kochs Vorstoß genau Teil dieses Backlashes (“Erziehungscamps statt Kuschelpädagogik”). Und deswegen ist es schon enorm wichtig, dass es da scheinbar Grenzen gibt im Weg nach unten, weil Koch nur das viertel der Bevölkerung mit einem geschlossenen autoritären Weltbild ansprechen konnte.

  18. unkultur Says:

    Zu den Themen der Wahl: da lässt sich aus der Statistik unter “wahlentscheidende Themen” doch ziemlich präzise rauslesen, dass Innere Sicherheit keine Rolle gespielt hat: Für nur 36% der CDU Wähler war das Thema entscheidend, bei den Wählerinnen und Wählern der anderen Parteien taucht das Thema nicht unter den vier wichtigsten Themen auf. Für mich zumindest ein Indiz, dass derzeit der Ruf nach hartem Durchgreifen gerade nicht weit verbreitet ist. Nur kann sich das auch wieder ändern.

  19. godforgivesbigots Says:

    Benni – Ich habe den Begriff so gewählt um den besonders deutschen Aspekt daran zu fassen zu bekommen, auf den das obige Posting angespielt hat. Aber man kann es auch anders formulieren und so damit die Fragestellung internationalisieren. In Amerika beispielsweise nimmt die Kulturindustrie weitgehend die Obrigkeitsfunktion ein, die hierzulande eher vom Beamtentum ausgeht, in wieder anderen Ländern wird diese von der Religion ausgeübt oder vom Stammesverband. Also ist “autoritärer Konsens” der umfassendere Begriff.

    Ich sehe bei der Sache Koch auch noch einen weiteren Aspekt, der eine Rolle spielen könnte. Ich kann mir vorstellen dass manche Menschen in ihre Entscheidungsbildung zum Umgang mit Einwandererkriminalität nicht mehr Zeit und Mühe investieren als ich in die Entscheidung, von welchem Produzenten ich meine Speichermedien erwerbe und vielleicht stattdessen mehr Zeit in die zweite Frage investieren. Mir würde sogar spontan ein persönliches Beispiel in Hessen dazu einfallen. Wer ein Angebotsspektrum nicht überblickt und auch nicht weiß wo bei welchen einzelnen Angeboten die Schwachstellen liegen, oder wem er dabei vertrauen kann sich in dem Feld zurechtzufinden, mag auch zu einer ganz falschen Entscheidung gelangen, die dann am ehesten davon beinflußt sein dürfte welche Optionen die meiste Aufmerksamkeit zu generieren vermögen. Und wenn man gar keine Ahnung hat geht man womöglich dem Pfuscher mit der ausgefeiltesten Mimikry auf den Leim.

    Beim autoritären Bedürfnis stellt sich die Frage, wieso es überhaupt die Einhegung durch die Persönlichkeit überschreiten und zu politischer Geltung kommen kann. Die Kochschen Vorschläge haben ja schließlich nichts mehr mit individueller Nabelschau zu tun, sondern propagieren ein sadomasochistisches Gesellschaftsmodell – ein persönliches Bedürfnis wird als allgemeine Norm inthronisiert und sowas geht niemals gut. Das ist ungefähr so als würde man auf das kulinarische Bedürfnis mit Vorschlägen zur gesamtgesellschaftlichen Zwangsernährung reagieren. Vielleicht hätte der Mann einfach nur sagen sollen, in welchen Stiefeln er Gabriele Pauli am liebsten sehen will. Aber anscheinend hat noch nicht einmal 1968 dazu ausgereicht ihm diese Freiheit zu geben. Die Anlehnung an antisemitische Diktatoren anderswo in der Welt die für diese Bewegung tragend war stellt ja ebenfalls eine Verlagerung autoritärer Bedürfnisse in den Bereich des Politischen dar.

  20. Benni Says:

    @godforgivesbigots: Ja, die 68er haben ziemlich schnell einen Schreck gekriegt als sie das mit der Antiautorität ausprobiert haben. Ich kenne das von meinen Eltern. Die autoritäre maoistische Kaderpartei war denen vor allem Mittel um dann doch noch endlich ihren Studienabschluss zu machen, denn schliesslich zählte Disziplin da wieder was, nachdem sie Jahre damit zugebracht hatten die Revolution herbeizuphantasieren, die dann doch nicht kam.

  21. godforgivesbigots Says:

    @Benni – Es ist schon eine Ironie der Geschichte dass die größte Schwäche der 1968er ausgerechnet darin bestand, den Vorvätern so zu gleichen. Konservativen gilt genau dies als die größte Stärke die einer haben kann. Wenn Du nach 1968er Vater-Sohn-Geschichten suchst, dann wirst Du an Bernward Vesper nicht vorbeikommen.

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