Negri & das Adlon: Gutes Geld, böses Geld

November 21st, 2009

Die Kurzfassung: Erst sprach Negri, dann kam es – wie es beim Polizeiticker heißt – zu “teilweise unfriedlichen demonstrativen Aktionen”, dann sprach nochmal Negri. Am Ende war klar, daß es nicht um einzelne Akteure des Systems sondern um bestimmte Akteure des Systems ging, und ebenso, daß es falsch sei, produktives und unproduktives Kapital gegenüberstellen, weil die richtige Gegenüberstellung die von produktivem und unproduktivem Geld ist.

Aber der Reihe nach. Ab 16 Uhr versammelten sich am Freitag auf dem Hegelplatz an der gegenwärtig besetzten Humboldt-Uni mehrere hundert Leute, um von dort aus zu Protestaktionen gegen das schon seit dem Morgen laufende “SZ-Führungstreffen Wirtschaft 2009” im Hotel Adlon zu starten.

Zunächst gab es jedoch drei Redebeiträge. Zuerst sprach eine Studi-Vertreterin von der FU davon, daß die Zustände an den Unis nach “Überarbeitung” schreien. Sie forderte eine kritische und wertfreie Uni sowie die Einstellung jeglicher rüstungsbezogener Forschung.

Es folgte die Interventionistische Linke, für die es sich bei den im Adlon versammelten Wirtschaftsgrößen um die “Protagonisten des freien Unternehmertums” handelt. Hans-Werner Sinns Gleichsetzung von Managern und Juden als Ziel antikapitalistischen Ressentiments wurde zurückgewiesen, ebenso sein Satz, “niemand wolle an einen anonymen Systemfehler glauben.” Der restliche Redebeitrag war ein fast theologisch wirkender Versuch, den “Kampf gegen Verwertungslogik und Sachzwang” mit dem Widerstand gegen die “Profitierenden” zusammenzubringen, ohne sich dabei dem Vorwurf auszusetzen, es ginge nicht ums System, sondern “um einzelne Schuldige”.

Als drittes sprach Toni Negri, der wesentlich mitreißender klang als sein Simultanübersetzer. Er präsentierte den Slogan der italienischen Proteste: “Wir wollten die Krise nicht und werden nicht dafür bezahlen!” Im weiteren sagte er – sofern die Übersetzung das richtig wiedergegeben hat – die Krise solle die Deklassierung der intellektuellen Arbeit bewirken und sie richte sich gegen die intellektuellen Kapazitäten der Gesellschaft. Er endete mit dem unverständlich optimistischen Ausruf, daß die Bewegung für die Freiheit jetzt und hier ihren Anfang nehmen würde.

Dann gab es eine halbwegs lustige Aufwärmrunde, in der für die bevorstehende “Ent-Führung” der Führungskräfte “Argumentationshilfen” (Papp-AK47) und “Charaktermasken” verteilt wurden sowie das Werfen von “Vitaminpräparaten” (Tomaten) geübt wurde.

Nun zogen Gruppen von 100-150 Leuten auf verschiedenen Routen zum Adlon, wo dann allerdings der beabsichtigte Überraschungseffekt ohne Not verspielt wurde. An die Absperrung in Richtung Brandenburger Tor, die nur aus einer Reihe leicht demontierbarer Polizeigitter bestand und bei Eintreffen der “Ent-Führer” von gerade mal zwei unbehelmten und völlig überraschten Polizisten bewacht wurde, trauten sich nur einzelne heran, während der Rest – ungefähr so wie am Anfang von vielen Konzerten – ein paar Meter zu früh stehenblieb. Genau das, wofür sie gekommen waren – also ins Adlon gelangen und sich dort medienwirksam bemerkbar machen, vielleicht den Führungskräften einen kleinen Schrecken einjagen -, war in diesem Moment im Grunde schon fast erledigt. Jetzt wurden es immer mehr und behelmte Polizisten, die zwar auch mit Gewalt nicht verhindern konnten, daß eine weitere große Gruppe durchs Brandenburger Tor auf den Pariser Platz gelangte, aber praktisch kein Problem damit hatten, das Adlon abzusperren. Eine Gruppe stürmte zwar kurz ins Nachbargebäude (AdK) und eine andere Gruppe drang ebenso kurz durch den Hintereingang ins Adlon ein, aber danach war schon Rückzug zur HU angesagt, der immerhin Unter den Linden ein kleines Verkehrchaos mit kopflos herumlaufenden und fast ineinanderfahrenden Polizisten auslöste. (Im Nachhinein läßt es sich ja immer noch als “symbolische Aktion” deklarieren.)

Adlon
So nah heranzukommen war: das Adlon, kurz nachdem am Eingang zwei oder drei Leute zwei oder dreimal “Bildung für alle, und zwar umsonst” rufen konnten

Nur zwei Stunden später waren viele der “Ent-Führer” wieder im Kreuzberger Monarch versammelt, wo Toni Negri über “Rebellion und Krise” sprechen und den Interviewband “Goodbye Mr. Socialism” vorstellen sollte. Moderatorin Tania Martini von der taz stellte zunächst einige von Negris Hauptthesen vor: die Selbstorganisation, die den Subjekten heute abverlangt wird, für soziale Kämpfe fruchtbar zu machen; die traditionelle Gegenüberstellung von produktivem Industriekapital und unproduktivem Finanzkapital zu überwinden.

Darauf begann Negri – dessen Äußerungen mir wiederum nur in der Widergabe des Simultanübersetzers verständlich waren – mit dem Hinweis, daß die Produktion auf die Finanzsphäre angewiesen sei, es kein der Finanzsphäre Äußerliches gäbe. Die Frage sei aber, wie der Kampf gegen die Ausbeutung des Gemeinsamen, des “Kommunen”, durch das Finanzkapital aussehe. Vor 20 oder 30 Jahren sei das Zentrum der Produktion die Fabrik gewesen, klassisch habe der Widerspruch zwischen notweniger Arbeit und Mehrwertarbeit gewirkt. Dieser Zusammenhang habe sich verstreut. Das Maß der Zeit spiele für Ausbeutung keine Rolle mehr. (Echt?) Die Ausbeutung betreffe das gesellschaftliche Ganze: Ausbeutung von Schwarzarbeit, migrantischer Arbeit, Wissen, intellektueller und affektiver Arbeit. (Das gab es alles früher noch nicht?) Altmarxisten würden das nicht verstehen, sondern immer noch den korporatistischen Fabrikkapitalismus am Werk sehen und gute Arbeit für alle fordern.

In dieser Krise sei keine Arbeiterklasse zu sehen, die angreifen würde, Parteien und Bewegungen seien desorientiert. Das Finanzkapital sei der Ort der Macht, dort müßten die Organisationen angreifen: “Wir brauchen Räte, Sowjets der Banken.” Geld sei nicht häßlich, es werde durch die Art seiner Verwendung häßlich: “Wir können uns eine Gesellschaft ohne Geld nicht vorstellen. Wir müssen es selbst in die Hand nehmen. Das Geld zu regieren heißt, sich die Macht über die Assoziation der Arbeit zurückzuerobern.” (Wollte er vielleicht nach erfolgreicher Adlon-Entführungskation selbst das Wirtschaftstreffen leiten?)

Ohne hier nachzuhaken, fragte Martini nun nach der “Multitude” als “Erweiterung des marxistischen Begriffs der sozialen Klasse.” Darauf führte Negri sein historisches Schema zur Entwicklung des Proletariats aus. Es gäbe einen Unterschied zwischen der technischen und der politischen Zusammensetzung des Proletariats. Die technische Zusammensetzung sei zu Anfang davon bestimmt gewesen, daß Bauern in die Fabriken getrieben wurden, später habe es dann Facharbeiter gegeben, schließlich die spezialisierten Massenarbeiter des Fordismus. Politisch seien erst die Gewerkschaften als Assoziationen der Ungelernten entstanden; dann die Arbeiteravantgarde, sich äußernd in Fabrikräten und der kommunistischen Bewegung mit dem Ziel der Aneignung der Fabriken durch die Facharbeiter, die die Fabrik besser kannten als die Unternehmer selbst; schließlich habe es die Massenparteien wie die Sozialdemokratie gegeben, für die indirekter Lohn und Transferleistungen zentral wurden. Heute sei technisch die “Produktion von Singularitäten” zu beobachten, ein Netzwerk von Kapazitäten, Dienstleistungen und affektiven Beziehungen. Die “Multitude” sei die Klasse der Singularitäten. Das Problem sei nun, diese technische Zusammensetzung in eine politische Assoziation zu übersetzen.

Martini meinte nun, das Bewußtsein für Differenz werde ausgebeutet und rekuperiert, wodurch sich die Frage nach neuen Konfliktlinien stellen würde. Negri verwies auf die Unis, wo die Kämpfe ’68 antiautoritär und auf Marx bezogen waren, der bewaffnete Kampf kein Angriff, sondern Verteidigung gewesen sei. Heute wären die Proteste nicht in erster Linie antiautoritär. Die Studenten produzierten Wissen, das angeeignet werden soll; ihre Kämpfe richten sich also gegen die Aneigung dieses Wissens. In Italien sei die “Neue Welle” ein Zusammenschluß zwischen Prekären, Industriearbeitern und Studenten, die gemeinsam für ein Existenzgeld kämpfen. Ähnliches sei in Frankreich zu beobachten gewesen, wo sich die Banlieue-Riots mit den Studentneporotesten des gleichen Herbstes verbunden hätten. (Leider keine Belege und keine Nachfragen.) Es ginge darum, das Geflecht der Metropolen zu verknüpfen und zum Kampf werden zu lassen.

Auf Martinis Frage, ob es für das garantierte Mindesteinkommen keine Gegenleistungen geben würde und ob es nicht auch als Mittel funktionieren würde, die Ausbeutung aufrechtzuerhalten, antwortete Negri, auch die Lohnfrage sei für sich genommen keine revolutionäre Frage, würde dazu erst werden, weil sie eine Organisationsfrage aufwirft. Gut gewirkt hätten immer Forderungen, die die Lohnhierarchie sprengten (“Eine Mark mehr für alle”). Die Forderung nach einem Grundeinkommen könnte etwas Verbindendes und Universelles in die Kämpfe tragen.

Die Frage, wie sich der Kapitalismus in der Krise umstrukturieren würde, wollte Negri zunächst gar nicht beantworten: “Wir müssen uns nicht ihre Gedanken machen – wir haben sie doch heute belagert!” (Das folgende Gejohle deutete daraufhin, wie sich die Realitätsverluste von Poium und Publikum deckten.) Die Krise würde keine Selbstreform des Kapitalismus erzeugen, der Kapitalismus stehe vor einer Grenze. Nicht hauptsächlich vor der ökologischen oder vor den Schranken der globalen Konkurrenz, sondern vor der Schwierigkeit der Kontrolle der Produktion, die heute biopolitisch ist. Es gelinge dem Kapital immer weniger, die kognitive Arbeit zu unterwerfen. (Woran macht er das fest?) Vielmehr gäbe es nur Verelendung und dadurch weniger Potential für die Ausbeutung. Für die Kämpfe sei es daher am wichtigsten, Beschleunigung herbeizuführen. (Wie die KP in China?)

Den neuen Buchtitel und Begriff des “Commonwealth” erklärte Negri damit, daß es darum ginge, alles zum Gemeinsamen zu machen, die Luft, das Wasser, die Energie, das Geld und das Ökonomische (also die Banken). “Commonwealth” sei das Gemeinsame jenseits von Eigentum und Aneignung. Das sei nicht wie in der bürgerlichen Vertragstheorie zu denken, etwa wie bei Hobbes oder Locke, sondern eher im Sinne Spinozas als “Verweigerung der Einsamkeit”.

In der Diskussion wurde gefragt, ob auch Militanz wie das Abfackeln von Autos zum anzueignenden Gemeinsamen zu zählen sei, worauf Negri am Beispiel der Wohnungsbesetzungen von Turin der 70er Jahre zu erklären versuchte, daß es immer auf die Kräfteverhältnisse ankomme. Es ginge nicht um individuelle Aneignung, auch wenn es oft individuelle Ausgangspunkte gäbe.

Zur Frage, wie die neue Form von Assoziation denn nun aussehen sollte, gab es wieder nur recht Allgemeines über eine “Sprache, die all diese Identitäten verbindet.” (Frau neben mir darauf: “Englisch?”)

Die nächste Frage war die nach seiner Position zur “Islamisierung”. Negri sieht darin eine Identität, die als Konfrontation auftritt und zwar eine Identität, in der es nichts Emanzipatorisches gibt. Dennoch wären gegenseitige Anerkennung und Toleranz einzufordern. Europa sei nicht das Zentrum der Welt, die europäischen Werte wie Säkularisierung seien nicht sakral. Man müsse vom Eurozentrismus wegkommen.

Die letzte Frage drehte sich um einen politischen Generalstreik in Deutschland, was Negri für “wichtig, unmöglich und utopisch, aber wichtig” erklärte.

6 Responses to “Negri & das Adlon: Gutes Geld, böses Geld”

  1. Aktionskletterer Says:

    Antonio Negri –

    Vor 20 oder 30 Jahren sei das Zentrum der Produktion die Fabrik gewesen, klassisch habe der Widerspruch zwischen notweniger [der Tippfehler könnte von mir sein – LOL] Arbeit und Mehrwertarbeit gewirkt. Dieser Zusammenhang habe sich verstreut. Das Maß der Zeit spiele für Ausbeutung keine Rolle mehr. (Echt?)

    Doch, das kann man ganz konkret daran sehen wie sich beispielsweise die Preise für einen Container Fracht von oder nach China entwickelt haben. Im Fnordismus (dem was die Banken für den Ausweg aus der Krise halten) wird sich der Weltmarkt vorgestellt wie das Internet, die Wege zwischen den verstreuten Teilnehmern scheinen keine Rolle mehr zu spielen. Doch das ist nur deshalb so weil die Verkehrsmittel teilweise mit aus dem Rüstungsetat mitentwickelt und dazu noch riesige Mengen an zivilen Subventionen und Konjunkturpaketen in die Infrastruktur gestopft werden, um gigantische Überkapazitäten etwa beim Automobil oder beim Flugzeug hervorzubringen, welche wiederum hemmungslose Preiskämpfe und maßloses Dumping nach sich ziehen, so dass die Regierung mit den Nebenwirkungen schon kaum mehr klarkommt.

    Ausführlich erklären lassen (einschließlich der Preise für China-Fracht) kann mensch sich das alles bei Winfried Wolf und Jürgen Grässlin (mp3s).

  2. classless Says:

    “Fnordismus” ist ein schönes Wort. Beim Rest ist mir dennoch nicht klar, was das an der Ausbeutung ändert, außer daß es sie möglicherweise verschärft.

  3. Aktionskletterer Says:

    Sowohl das, als auch zerbrechlicher macht: gutes Geld, böses Geld

  4. Wo bleibt das Gemeinsame? Eine Anmerkung zu Negri in Berlin | Ingo Stützle Says:

    […] des Besuchs von Antonio Negri in Berlin und einer ganzen Reihe an Artikeln, kritischen Berichten und Interviews (taz, fr) habe ich mich an eine Replik erinnert, die ich vor ein paar Jahren mit […]

  5. Banausenrepublik » Blog Archive Says:

    […] den Protesten gegen das SZ-Führungstreffen Wirtschaft im Adlon wurde ein 14-jähriger, weil er ein ViSdP vergessen hatte, von Beamten der 5. […]

  6. Antonio Negri - Goodbye Mr. Socialism | Freundeskreis Videoclips Filmkooperative Says:

    […] classless Kulla http://www.classless.org/2009/11/21/negri […]

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